© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/11 / 23. September 2011

„Die Katze im Sack gekauft“
Belgien: Ein historischer Kompromiß mit Pferdefüßen / Flamen begehren auf
Mina Buts

Als „historischen Kompromiß“ bezeichneten die acht belgischen Parteien die Einigung, die nun über die Teilung des Wahlkreises Brüssel-Halle-Vilvoorde (BHV) erzielt worden ist und die als Voraussetzung für weitere Regierungsverhandlungen gilt. Der mit der Regierungsbildung beauftrage „Formateur“ Elio Di Rupo von den wallonischen Sozialisten, designierter Ministerpräsident Belgiens und derzeit amtierender von Wallonien, wurde noch nachts vom König empfangen, um diesen zu unterrichten.

Der Wahlkreis soll nach 48 Jahren des Ringens endlich geteilt werden. Künftig sollen in Brüssel – wie bislang auch – sowohl flämische als auch wallonische Parteien gewählt werden können, in den neunzehn flämischen Randgemeinden hingegen nur flämische. Aber: In jenen sechs Randgemeinden, die schon heute über eine wallonische Stimmenmehrheit verfügen, bleibt alles beim alten. Die drei bislang nicht ernannten französischsprachigen Bürgermeister von Kraainem, Linkebeek und Wezembeek-Oppem müssen von der flämischen Regierung als „diensttuende Bürgermeister“ anerkannt werden.

Obwohl der Kompromiß als Durchbruch für die Regierungsbildung gilt, hagelt es dennoch Kritik. Der wallonische Le Soir beklagt, der Süden des Landes hätte eine „schwere Geste“ erbracht und die Französischsprachigen in BHV außerhalb der sechs Gemeinden „geopfert“. Auch der bislang noch nicht ernannte wallonische Bürgermeister von Linkebeek, Damien Thiéry ist enttäuscht, die Wallonen hätten keine Kompensation für die Teilung des Wahlkreises erhalten. Er wäre für eine Bürgerbefragung gewesen, die – so läßt sich leicht ausrechnen – zu seinen Gunsten ausgefallen wäre.

Auch die flämisch-nationalen Gruppierungen lehnen den Kompromiß ab. Man habe die Katze im Sack gekauft, so der stellvertretende N-VA-Vorsitzende Ben Weyts. Zwar sei der Kompromiß, anders als befürchtet, kein Alptraum, der Preis aber, den die Flamen dafür zu zahlen hätten, sei hoch und noch nicht einmal genau zu beziffern. Deswegen beteiligte sich seine Partei am vergangenen Sonntag auch an der von der VVB (flämische Volksbewegung) und dem Halle-Vilvoorde-Komitee geplanten Demonstration „Quer durch Linkebeek“. Über 5.000 Flamen demonstrierten für den Erhalt Linkebeeks als flämischer Gemeinde, zum ersten Mal gab es einen sichtbaren Schulterschluß zwischen N-VA und dem rechtsnationalen Vlaams Belang.

Denn nicht nur den beiden Parteien ist klar, daß mit der jetzt gefundenen Neuregelung Wallonien im Falle einer Teilung des Landes einen klaren strategischen Vorteil erlangt. Die Gemeinde Linkebeek würde dann nämlich den Korridor zwischen dem südlichen Landesteil und Brüssel darstellen. Für Flandern hingegen würde es so gut wie unmöglich gemacht, Brüssel noch als Hauptstadt zu reklamieren.

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