© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/11 / 23. September 2011

CD: Liszt
Glanz und Geistigkeit
Sebastian Hennig

In „Mein Leben“ berichtet Richard Wagner, wie er Franz Liszt die Idee zu einer Tragödie „Jesus von Nazareth“ nahe bringt: „... nach dessen Mitteilung Liszt ein bedenkliches Schweigen beobachtete, die Fürstin von Wittgenstein jedoch lebhaft gegen das Vorhaben, einen solchen Stoff auf das Theater zu bringen, sich ereiferte.“

Die Oper über den Nazarener als Volkstribun, der die pharisäische Ordnung umstößt, um schließlich von seinem eigenen Volk dem Henker überliefert zu werden, kam nie zustande. Über dem Bündnis zwischen Liszt und Carolyne zu Sayn-Wittgenstein wird zwanzig Jahre später als monumentaler Schlußstein dessen vierzehnsätziges Oratorium „Christus“ stehen.

Lange lebten die beiden in einer Art wilden Ehe in Weimar, dank der Protektion der Großfürstin Maria Pawlowna; ihre einflußreichen Verwandten verhindern die Trauung. In Rom versenken sich beide später in geistliche Übungen. 1865 wurde Liszt tonsuriert und erhielt als „Abbé Liszt“ die niederen Weihen. Mit einem Aufsatz „Über künftige Kirchenmusik“ weckte er die Erwartung, als ein neuer Palestrina der Erretter der Musik zu werden. Seine 1862 abgeschlossene „Legende von der Heiligen Elisabeth“ kann als Vorbereitung zum „Christus“ gesehen werden. In der Verbindung von weltlichem Glanz und inniger Geistigkeit tut er es dem großen Vorbild von Santa Maria Maggiore gleich, die Protektion durch den Klerus bleibt seiner Kunst weitgehend versagt.

Er muß lange warten, bis das Werk aufgeführt wird. Eine beabsichtigte deutsche Fassung des lateinischen Textes aus Heiliger Schrift und Liturgie kommt nie zustande, wohl aber eine erste Aufführung zwanzig Jahre nach Kompositionsbeginn bezeichnenderweise in der protestantischen Herderkirche in Weimar. Dreihundert Sänger und Instrumentalisten aus Weimar, Jena, Erfurt und Sondershausen realisieren den gewaltigen Hybriden aus Elementen selbstherrlicher Romantik und demütiger Gregorianik. Ätherisch säuselt das Überirdische, dann wieder peitschen sich die Wellen einer schroffen Leidenschaft empor.

Der Tonsetzer war viel mehr geborener Virtuose und künstlerischer Demiurg als ein ergebener Mönch in der Art des Beato Angelico. Die Einfalt der alten Kirchentonart verwebt er mit romantischer Programmusik. Bereits im Eingangssatz versteht er das gregorianische „Rorate coeli“ so zu variieren, daß sich ein klangsinnlicher Stammbaum bis zu seiner eigensten Tonkunst entfaltet.

Im neunten Satz „Das Wunder“ schwingt sich dann eine musikalische Dichtung zu expressiven Höhepunkten auf. Im sturmgepeitschten Schiff tadelt der Herr die kleingläubigen Jünger und stillt den Seegang. Hier wird das Oratorium für kurze Zeit zum Drama.

Die vorliegende Aufnahme wurde hundert Jahre später in der Budapester Matthiaskirche eingespielt, wo 1867 zur Erhebung Kaiser Franz Josefs zum ungarischen König eine Krönungsmesse von Liszt erklang. Das Label Hungaroton hat die beispielhafte Aufnahme im Jubiläumsjahr in seiner Klassiker-Reihe als CD aufgelegt.

Wagners Auseinandersetzung mit dem Heiland vollzog sich wesentlich subtiler, als seine frühen Phantasien zum Thema erahnen lassen: Zu Liszts Totenmesse in Bayreuth trug Bruckner dann Motive aus dem „Parsifal“ vor.

Liszt, Christus, Oratorium, Hungaroton, 2011, Klassikcenter Kassel www.classicdisc.de

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