© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/11 / 23. September 2011

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Bildungsbericht in loser Folge XIII: Ein pensionierter Grundschuldirektor in einem Leserbrief zur steigenden Zahl von Analphabeten, vor allem in den Bundesländern Hamburg, Bremen und Berlin: der Vorgang lasse sich nur damit erklären, „daß mittlerweile Idioten in Führungspositionen gelangt sind“ (FAZ vom 9. September 2011).

Die Herausgeber des „evangelischen Magazins“ Chrismon haben sich von ihrem Chefredakteur distanziert, weil der im Vorfeld des Papstbesuchs kritisch über Heiligenverehrung, Hierarchie und Zölibat im Katholizismus schrieb. Man muß das nicht besonders ernst nehmen; der Angegriffene, Arnd Brummer, bohrt keine dicken Bretter, hatte nur nicht aufgepaßt, als die Toskana-Theologen neben den üblichen linksprotestantischen Summs, Öko und den Sympathiebekundungen im Hinblick auf die „Geschwisterreligionen“ nun auch das Wohlwollen für Rom gepackt hat.

Solcher Tendenz darf man Peter Gauweiler nicht zuschlagen, den als Bayern, Trachtträger und CSU-Mann kaum jemand für einen Protestanten hält, der es aber ist und der nun erklärte, daß Papst Benedikt neben Luther zu seinen „Kirchenvätern“ zähle. Schwer zu sagen, was das konkret bedeuten soll – aber mag es hingehen als Stoßseufzer des heimatlosen Lutheraners.

Bildungsbericht in loser Folge XIV: „Die deutschen Universitäten sind nicht durchgängig korrupt.“ (Gert Krell)

In Großbritannien wird ein Bericht diskutiert, demzufolge die Anglikanische Kirche in einer Generation nicht mehr existieren wird. Das hat mit der Säkularisierung, der Überalterung, aber auch mit dem Widerwillen der Frommen gegenüber dem zeitgeistkonformen Gebaren ihrer Theologen zu tun. Wer sich nicht irgendeinem konservativen Bischof in Schwarzafrika unterstellen will, der kehrt nach Rom zurück. Daß das vielleicht der letzte Ausweg für diejenigen Evangelischen sein wird, die ihren Glauben ernst nehmen, hat der lange vergessene Lutheraner Hans Asmussen schon vor fünfzig Jahren für wahrscheinlich gehalten. Dabei ging es Asmussen nur am Rand um liturgische Neigungen, eher um die Krisenerfahrung in der NS-Zeit und die internen Kämpfe der EKD nach 1945. Beides hatte ihn über die mangelnde Klarheit der Evangelischen in zentralen Fragen belehrt, das Schriftprinzip, das Amts- und das Kirchenverständnis betreffend. Vor allem aber verstand Asmussen unter Ökumene etwas ganz anderes als die Mehrheit der Kirchenführer. Seiner Meinung nach mußte einem veränderten „Kirchengefühl“ Rechnung getragen werden: „Wir können des anderen Sache nicht mehr als Teufelswerk ansehen. Daraus müssen sich früher oder später Folgerungen ergeben, wenn wir auch im Augenblick diese Folgerungen noch nicht übersehen können.“

Man weiß nicht, ob die neue Biographie Herbert Reineckers wirklich Aufschlußreiches liefert, insbesondere wenn dabei in erster Linie auf die Prägung durch die NS-Zeit abgehoben wird. Den Erfolg Reineckers erklären kaum irgendwelche subtilen Entlastungen von Kollektivtrauma oder die Kollektivschuld, sondern seine Fähigkeit, den Zeitgeschmack zu treffen. Das hatte er zwischen 1935 und 1945 als Jungvolk-, dann als SS-Propagandist getan, das tat er weiter in der Phase des Wiederaufbaus und dann bis in die siebziger und achtziger Jahre hinein. Als Denunziation ist das nicht gemeint, sondern als Feststellung. Reineckers Karriere hatte mit Anpassungsfähigkeit – und insofern mit Normalität zu tun – und nicht mit dem Hitler in uns allen. Deshalb entsprach der „Kommissar“ der Durchschnittsauffassung der Bundesrepublikaner von Staat, Recht und Ordnung in der Nachkriegszeit; daß die Dinge ins Rutschen kamen, konnte man feststellen, als sich Kommissar Keller (Erik Ode) plötzlich mit dem küchenpsychologischen Täterverstehen von Kriminalinspektor Grabert (Günther Schramm) herumschlagen mußte, und während bis dahin das Verbrechen auch auf dem Bildschirm stattfand, wo man seinen Herd zu Recht vermutete, bekam man es bei Kellers Nachfolger, dem gleichfalls von Reinecker kreierten „Derrick“ mit einer Dichte an High-Society-Delikten zu tun, die dem neuen linken Trend in Münchener Moderation entsprach.

Allen mechanistischen Vorstellungen von Ökumene haftet etwas Lebloses an. Irgendwelche „Unionen“ hat man seit den Zeiten von Leibniz ersonnen, ohne jeden Erfolg. Wirkliche Anziehungskraft könnte nur eine echte Synthese gewinnen: „Der Protestantismus soll erkennen, daß er bloß Übergang, Vermittlung, daß er nur etwas in bezug auf das noch Höhere ist, das er zu vermitteln hat. Aber eben darum hat er allein eine Zukunft, die für die erstarrte petrinische Kirche abgeschnitten ist, die selbst endlich nur durch Hilfe des Protestantismus in diese Zukunft gelangen kann“ (Friedrich Wilhelm Schelling).

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 7. Oktober in der JF-Ausgabe 41/11.

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