© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/11 / 30. September 2011

Roter Oktober
Linkspartei: Vor dem Programmparteitag spitzt sich die Führungskrise zu
Paul Leonhard

Die Niederlage der Linkspartei bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin war der Startschuß. Nun ist der Führungsstreit in der Partei an allen Fronten neu entbrannt. Im Zentrum steht dabei wieder einmal die Doppelspitze aus den Parteichefs Gesine Lötzsch und Klaus Ernst, die für die Niederlage der Partei in Berlin und die verpaßte Regierungsbeteiligung in Mecklenburg Vorpommern verantwortlich gemacht werden. Aber auch an der Fraktionsspitze tobt ein Kampf um den zweiten Fraktionschef-Posten neben Gregor Gysi, der seit Oskar Lafontaines Wechsel an die Spitze der Fraktion im saarländischen Landtag verwaist ist.

Hier hat die in Aussicht gestellte Kandidatur der kommunistischen Abgeordneten Sahra Wagenknecht für heftige Reaktionen gesorgt. Anfang der Woche sprach der Landesvorsitzende von Mecklenburg-Vorpommern, Helmut Holter, mit Blick auf die mögliche Wahl Wagenknechts von einem „verheerenden Signal“. Es würde zeigen, daß sich „die Partei nicht von kommunistischen Überzeugungen gelöst hätte“, sagte er dem Tagesspiegel. Wagenknecht hatte da angesichts der wachsenden Kritik bereits angekündigt, sie werde nur mit Zustimmung von Gysi für die am 8. November angesetzte Wahl kandidieren. Eine Gruppe um Parteivize Katja Kipping hat unterdessen die Abgeordnete Cornelia Möhring für das Amt vorgeschlagen, berichtet der Spiegel. „Sie steht im Gegensatz zu Sahra Wagenknecht für eine neue Linke“, es brauche einen neuen Politikerinnentyp, „der eben nicht als Apparatschik rüberkommt“.

Im Kampf um die Parteispitze halten sich die Kandidaten dagegen bislang noch auffällig zurück. Denn eigentlich gibt es zur Doppelspitze Lötzsch und Ernst derzeit keine Alternative. Die beiden waren der Kompromiß, auf den sich die aus westdeutscher WASG und der PDS gebildete Linke nach dem Abtritt von Lothar Bisky und Oskar Lafontaine geeinigt hatte. Lafontaine gab den parteiinternen Kritikern an der Führung, die eine Neuwahl des Parteivorstandes gefordert hatten, in der Welt denn auch eine Mitschuld an den schlechten Wahlergebnissen der Partei.

Nicht nur Lötzsch und Ernst schauen vor diesem Hintergrund mit Sorge auf den Ende Oktober in Erfurt stattfindenden Programmparteitag. Denn einige Mitglieder wollen dort eine Mitgliederbefragung auf den Weg bringen, um mittels Urwahl die Spitze abzulösen. Dabei soll auf dem Programmparteitag eigentlich die künftige Marschrichtung festgelegt werden. Wem es in Erfurt gelingt, die unterschiedlichen Strömungen und Gruppierungen zu überzeugen, bestimmt künftig auf Jahre die Politik der Linken. Aus Sicht der Dogmatiker spielen Wahlen kaum eine Rolle, aus Sicht der Realpolitiker sind sie dagegen entscheidend für die langfristige Etablierung der Partei.

Dabei ist die Situation grotesk. Der Kapitalismus befindet sich in einer Dauerkrise, an den Finanzmärkten herrscht Chaos, die Bevölkerung sieht verunsichert auf eine hilflos von den Börsen getriebene Bundesregierung. Doch die „Weltverbesserer“ der antikapitalistischen Linken versuchen nicht einmal, daraus politisches Kapital zu schlagen. Hilflos klingt es, wenn Lötzsch fordert, „nicht die Demokratie auszuhebeln, sondern die Finanzmärkte zu entschleunigen“. Oder Ernst die Ablehnung der gesetzlichen Mindestrente durch die Bundesregierung als „zynisch“ bezeichnet. Die sozialistischen Protagonisten der unterschiedlichen Flügel pflegen derweil unverdrossen ihr Lieblingshobby: Sie zerfleischen sich mit Nebenthemen, beschäftigen sich mit sich selbst und dem richtigen Umgang mit dem Erbe der Vergangenheit. Da ist die Diskussion über den Jubel der Zeitung Junge Welt über den Mauerbau und der darauf folgende Streit um einen Anzeigenboykott. Da ist das Glückwunschschreiben an Kubas Ex-Diktator Fidel Castro.

Das Interessante ist, daß das der Partei auf Länderebene nicht einmal schaden muß, wie die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern zeigt. Die Linke erreichte hier mit 18 Prozent sogar einen Punkt mehr, als ihr von den Wahlforschern prognostiziert worden war. Die linken Stammwähler im Norden ließen sich weder von den personellen Querelen abschrecken, noch von der Debatte um Mauerbau und Kommunismus. Daß die Linke in Mecklenburg-Vorpommern trotzdem im Vergleich zu den drei mitteldeutschen Ländern schlecht abschnitt, hängt wohl eher damit zusammen, daß die Menschen bereits ihre Erfahrungen mit einer linken Regierungsbeteiligung gemacht haben.

Das dürfte auch bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus eine Rolle gespielt haben. Hier kamen nicht nur die brennenden Autos, die alltägliche Kriminalität, sondern auch die angekündigten Mieterhöhungen für die Wohnungen landeseigener Gesellschaften für die mitregierende Linke zur Unzeit. Doch damit ist nach zehn Jahren nun eh Schluß. „Wir haben in zehn Jahren die Hälfte unserer Wählerinnen und Wähler verloren“, heißt es dazu in einem Brief von Lötzsch und Ernst an die Landes- und Kreisvorsitzenden der Partei mit Blick auf das Berliner Ergebnis von 11,7 Prozent. Vor zehn Jahren waren es noch 22,6 Prozent. Die als Juniorpartner der Sozialdemokraten getroffenen Kompromisse haben die Wähler nicht überzeugt, die Partei hat den Praxistest nicht bestanden.

Foto: Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine: Warnung vor einem „verheerenden Signal“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen