© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/11 / 30. September 2011

Der Kandidat
SPD-Hoffnungsträger: Peer Steinbrück inszeniert sich als Macher – und kaschiert seine Mitverantwortung an der Finanzkrise / Für die Medien ist er schon Kanzlerkandidat, der linke Flügel wettert gegen ihn
Hinrich Rohbohm

Sein Auftritt war mit Spannung erwartet worden. Aber ein Sehnenriß im Knie führte dazu, daß Peer Steinbrück seine Teilnahme am SPD-Landesparteitag in Düsseldorf am vergangenen Wochenende absagen mußte. Als Redner war der gebürtige Hamburger ohnehin nicht vorgesehen. Aber er hätte sich wohl dennoch zu Wort gemeldet. Denn Peer Steinbrück möchte Bundeskanzler werden. Das war schon im März dieses Jahres zu beobachten, als er im Bundestag mit einer rhetorisch brillanten Rede Angela Merkels Euro-Krisenmanagement zerpflückte.

Der passionierte Schachspieler, der 2005 in einer Schaupartie gegen den damaligen Weltmeister Wladimir Kramnik in 37 Zügen verlor und auch mit Altkanzler Helmut Schmidt die Leidenschaft des Brettspiels teilt, gilt innerhalb der SPD als Rechter. Bei den SPD-Funktionären ist er daher unbeliebt, beim Volk hingegen angesehen.

„Das wäre der ideale Kanzler“, hört man in seinem Bundestagswahlkreis Mettmann I selbst Unternehmer von Steinbrück schwärmen. Und ein Studienrat, der sich selbst als „eher linken Sozi“ beschreibt, sieht seine Partei als gut beraten an, wenn sie Steinbrück als Kanzlerkandidaten aufs Schild hebt. „Er ist eigentlich nicht mein Fall, aber mit ihm können wir es schaffen, weil er Stimmen aus dem bürgerlichen Lager holt“, meint der Pädagoge. Wer jedoch nur vom rechten Wirtschaftsmann Peer Steinbrück als Kanzler träumt, könnte schnell neben der linken Grünen Claudia Roth aufwachen.

Die Vita des 64jährigen untermauert seine ökonomische Kompetenz. 1968 machte Steinbrück sein Abitur an einem Hamburger Wirtschaftsgymnasium. Es folgte der Wehrdienst beim Panzerbataillon 314 in Oldenburg mit anschließender Ausbildung zum Reserveoffizier. 1970 beginnt er, Volkswirtschaft und Soziologie an der Universität Kiel zu studieren, wo er 1975 sein Diplom ablegt. „Ein Pfundskerl“, erinnert sich ein ehemaliger Absolvent. Mit Peer habe man „Pferde stehlen“ können, der habe schon damals viel Humor gehabt.

Der Pfundskerl mit seiner naßforschen Rhetorik und seinem britisch-trockenen Humor schlägt zunächst eine biedere Bürokraten-Karriere ein, beginnt als Referent im Bundesbauministerium zu arbeiten. Bis 1986 folgen weitere Referentenstationen.

Schließlich wird er Büroleiter des damaligen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau, um vier Jahre später als Staatssekretär nach Schleswig-Holstein zu gehen, wo er 1993 zum Wirtschaftsminister ernannt wird. Ein Amt, das er ab 1998 unter Ministerpräsident Wolfgang Clement auch in Nordrhein-Westfalen ausübt, ehe er im Februar 2000 dort das Finanzressort übernimmt.

Erste Flecke auf der weißen Politik-Weste des 1969 in die SPD eingetretenen Hanseaten werden in den Jahren 2001 und 2002 sichtbar, als er verfassungswidrige Haushalte auf den Weg bringt. Steinbrück hatte die Bildung von Rücklagen per Kredit finanzieren lassen, ein Verstoß gegen das Gebot der Wirtschaftlichkeit. 2003 hatte sich während der West-LB-Affäre herausgestellt, daß er bei den Sitzungen des Kreditausschusses mit Abwesenheit glänzte. Steinbrück-Skeptiker weisen zudem darauf hin, daß er bisher noch keinen Wahlsieg vorweisen kann. Wolfgang Clement beerbte er in der laufenden Wahlperiode, die 2005 folgende Landtagswahl ging verloren, Steinbrück wechselte ins Bundeskabinett, seit 2009 ist er Bundestagsabgeordneter. Seinen Wahlkreis hatte er nicht gewinnen können, er zog über die Liste ein. Das Mandat nehme er kaum wahr, halten ihm seine Kritiker vor.

Doch mit pointierten Formulierungen, einer humorgetränkten Rhetorik und seiner immer wieder symbolisierten Nähe zum beliebten Altkanzler Helmut Schmidt punktet Steinbrück, empfiehlt sich als Retter in Zeiten der Wirtschafts- und Währungskrise. Gleichzeitig kaschiert er äußerst geschickt seine Mitverantwortung an der Finanzkrise. Denn während der Großen Koalition konnten einige Kreditinstitute mit ihm wohl mehr als nur „Pferde stehlen“ gehen. Steinbrück, der im Juni dieses Jahres an der Bilderberg-Konferenz in St. Moritz teilnahm, ebnete ihnen den Weg für Verbriefungen. Diese aus Krediten bestehenden handelbaren Wertpapiere waren maßgebliche Ursache für die Finanzkrise.

Ausgangspunkt war ein Forschungsauftrag der rot-grünen Bundesregierung aus dem Jahr 2003, den Steinbrücks Vorgänger Hans Eichel (SPD) der Boston Consulting Group GmbH erteilt hatte. „Optimale staatliche Rahmenbedingungen für einen Kreditrisikomarkt/Verbriefungsmarkt für Kreditforderungen und Risiken in Deutschland“ lautete damals der bandwurmartige Titel, unter dem das Frankfurter Unternehmen am 30. Januar 2004 ein entsprechendes Gutachten fertiggestellt hatte. Das Ergebnis: Die Stärkung des Finanzplatzes Deutschland sei eines der zentralen Ziele des Bundesfinanzministeriums. Und die Förderung des deutschen Verbriefungsmarktes würde ein wesentliches Element darstellen, um dieses Ziel erreichen zu können.

Als Eichel-Flüsterer betätigte sich dabei ein Mann, der ebenfalls das SPD-Parteibuch besitzt: der Volkswirt Jörg Asmussen, der mit der rot-grünen Machtübernahme 1998 als persönlicher Referent des damaligen Staatssekretärs Heiner Flassbeck in das Bundesfinanzministerium gelangte. Obwohl Flassbeck die Fähigkeiten Asmussens nur als „mittelmäßig“ bezeichnete und ihn für hohe Aufgaben nicht zu empfehlen vermochte, stieg der gebürtige Flensburger unter Hans Eichel zum Leiter der Abteilung für Nationale und Internationale Finanzmarkt- und Währungspolitik auf. Mit nur 37 Jahren war er jüngster Ministerialdirektor der Bundesregierung.

Asmussen war es auch, der sich mit Beginn der Großen Koalition für den Ausbau des Verbriefungsmarktes stark gemacht hatte und dafür sorgte, daß dieser Punkt in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde. Zudem sorgte er mit der Forderung nach Abschaffung von bestehenden Finanzregeln dafür, daß die Banken die bisher erforderlichen Eigenkapitalanforderungen umgehen konnten und ihnen gestattet wurde, ihre Kredite mittels Zweckgesellschaften in sogenannte Steueroasen auszulagern. Damit verschwanden die Kredite aus den Büchern der Banken, wodurch Platz für neue Kredite geschaffen wurde.

Darüber hinaus saß Asmussen als Vertreter des Bundes im Aufsichtsrat der Mittelstandsbank IKB, die im Sommer 2007 aufgrund der Krise am amerikanischen Subprime-Markt in Schwierigkeiten gekommen war. Für ihre Rettung hatte die im Bundesbesitz befindliche Förderbank KfW Milliarden zur Verfügung gestellt, nachdem Asmussen sich massiv dafür eingesetzt hatte, fragwürdige Finanzmarktpapiere zu kaufen, die später die IKB-Pleite ausgelöst hatten. Fast schon Randnotiz ist dabei die Tatsache, daß als Präsidentin der KfW Eichels, Steinbrücks und Asmussens Parteigenossin Ingrid Matthäus-Maier fungierte.

Hätte man Eichel noch vorhalten können, sich auf Asmussen verlassen zu haben, weil ihm als gelerntem Gymnasiallehrer die Fachkompetenz gefehlt haben könnte, so ist das bei Peer Steinbrück definitiv nicht der Fall. Der Volkswirt muß sich darüber im klaren gewesen sein, von welcher Tragweite die Forderungen Asmussens waren.

Ebenso war er darüber im Bilde, daß Asmussen als Vertreter des Bundesfinanzministeriums im Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) saß und als Beiratsmitglied der Bankenlobbyorganisation True Sale International GmbH (TSI) wirkte. TSI hatte sich vor der Finanzkrise für die Entwicklung eines deutschen Marktes für forderungsbesicherte Wertpapiere stark gemacht, die sich später zu einer der Hauptursachen der Finanzkrise entwickeln sollten. Kurz gesagt: Asmussen beaufsichtigte über die von ihm geleitete Abteilung im Finanzministerium die Bafin, in dessen Verwaltungsrat er selbst saß. Die BaFin wiederum prüfte die IKB, in deren Aufsichtsrat ebenfalls Asmussen saß.

Obwohl Steinbrück wußte, daß Asmussen eine entscheidende Rolle in der Entstehung der Finanzkrise spielte, ließ er ihn gewähren, beförderte ihn sogar am 1. Juli 2008 zum Staatssekretär. Dabei war der IKB-Aufsichtsrat – und damit auch Asmussen – für das Geschäftsjahr vom 1. April 2006 bis zum 31. März 2007 noch gar nicht entlastet und ist es selbst heute noch nicht. Der Grund: Die Entlastung hängt von einem Gutachten ab, das nach gerichtlicher Anordnung eingeholt werden muß. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte die Berechtigung dafür per Beschluß vom 9. Dezember 2009 bestätigt. Demnach bestehe der begründete Verdacht, „daß der Aufsichtsrat seine Überwachungspflichten in erheblichem Maße verletzt hat.“

Zu nennen ist auch ein Prüfbericht der BaFin vom 18. August 2008, der sich mit Untersuchungen über die Depfa Bank in Dublin auseinandersetzt. Die BaFin hatte 49 Verstöße bei dem „systemrelevanten Finanzkonstrukt“, das Teil der Hypo Real Estate war, festgestellt. Im Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages behaupteten Asmussen und Steinbrück jedoch, sie hätten den Prüfbericht nie zu Gesicht bekommen. Um den Finanzmarkt vor dem Zusammenbruch zu retten, wurde zudem der Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) gebildet. Vorsitzender des Lenkungsausschusses: Jörg Asmussen, der unter Schwarz-Gelb Staatssekretär geblieben ist.

Steinbrück selbst ist auch familiär mit der Bankenwelt verbunden. Sein Urgroßonkel Adelbert Delbrück hatte 1870 die Deutsche Bank gegründet, sein Großonkel leitete als Teilhaber die Privatbank Delbrück, Leo und Co. Deren Nachfolgeinstitut ist seit 2004 die zur niederländischen ABN Amro gehörende Delbrück Bethmann Maffei AG, die auch Lehman-Zertifikate verkauft hatte. ABN Amro kooperiert mit der Londoner Investmentbank NM Rothschild & Sons.

 

Vita

Peer Steinbrück wird am 10. Januar 1947 in Hamburg geboren. Nach dem Abitur 1968 leistet er zwei Jahre Wehrdienst in Oldenburg. 1969 Eintritt in die SPD. Ab 1970 studiert er Volkswirtschaft und Soziologie an der Universität Kiel, wo er 1975 sein Diplom erhält.

Von 1976 bis 1977 Mitarbeiter im Bundesministerium für Forschung und Technologie, zuletzt als persönlicher Referent des Ministers. Von Juni 1978 bis Februar 1981 Tätigkeit im Bundeskanzleramt, anschließend in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin. 1981 bis 1982 persönlicher Referent des Bundesministers Andreas von Bülow.

1986 wird Steinbrück Büroleiter von Ministerpräsident Johannes Rau (SPD) in Nordrhein-Westfalen, 1993 Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, ab 1998 Wirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen. Anschließend wechselt er ins Landesfinanzministerium. 2002 wird Steinbrück zum Ministerpräsidenten gewählt. Nach der verlorenen NRW-Landtagswahl 2005 wird er Bundesfinanzminister (bis 2009).

Im Oktober 2009 zieht er über die Landesliste der SPD in den Bundestag ein.

Steinbrück ist verheiratet und Vater von drei Kindern.

 

Die neue K-Frage

Die Frage, ob in zwei Jahren Peer Steinbrück möglicherweise als Kanzlerkandidat ins Rennen geschickt werden soll, entzweit die SPD. So wetterte jüngst der linke Parteiflügel gegen den Mann, dem am ehesten zugetraut wird, Wechselwähler wieder zur SPD zu ziehen. „Peer Steinbrück verachtet die Partei“, beklagt Juso-Chef Sascha Vogt im Spiegel: „Seine Kandidatur würde die SPD tief spalten, ein Großteil der Mitglieder stünde nicht hinter ihm.“

Bedenken meldet auch Steinbrücks alter Intimfeind Ralf Stegner, SPD-Vorsitzender in Schleswig-Holstein, an: „Wir dürfen uns nicht von einem Medien-Hype treiben lassen“, Steinbrück sei ein „Flügelkandidat“.

Der Gescholtene indes versucht zu deeskalieren, indem er via Bild einer Großen Koalition eine Absage erteilt: „Die klare Präferenz lautet Rot-Grün.“

Foto: Peer Steinbrück als Pop-Art: Der Finanzfachmann der Sozialdemokraten ist momentan in den Medien äußerst populär und bringt sich als Kanzlerkandidat in Stellung

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