© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/11 / 30. September 2011

Tabubrecher mit Makeln
Frankreich: Mit harscher Kritik an der multikuturellen Gesellschaft sorgte der sozialistische Präsidentschaftskandidat Manuel Valls für Schlagzeilen, nun rudert er zurück
Oliver Renault

Vielen gilt Manuel Valls als der französische Sarrazin. Der sozialistische Politiker kritisiert die mangelnde Integrationsbereitschaft der Einwanderer aus Nord- und Schwarzafrika und setzt sich für eine rigide Einwandererquote ein. Spätestens als er sich vor zwei Jahren mit offenen Worten despektierlich – „ich will mehr Weiße sehen!“ – über die multikulturelle Realität äußerte, platzte der Knoten.

Die Parteivorsitzende der Sozialistischen Partei (PS), Martine Aubry, war außer sich und forderte Valls zum Austritt aus der Partei auf. Dessen politische Einstellungen und Sprüche widersprächen den Werten und Grundsätzen der PS und paßten besser zum Front National. Doch Valls blieb und stellte sich quer. Die Sozialistische Partei müsse endlich von Grund auf renoviert werden. Seit dreißig Jahren hätten immer dieselben Leute die Führung der Partei in ihrer Hand gehabt. „Es reicht !“ sagte er empört. Überhaupt machte er bis dato nie einen Hehl daraus, daß die politische Elite Frankreichs zu altmodisch daherkommt. Valls will ein neues Frankreich sehen.

Nun bewirbt sich Valls neben Aubry und vier weiteren Anwärtern als Kandidat der Sozialisten für die französische Präsidentschaft 2012.

Valls wurde im Jahre 1962 in Barcelona geboren. Er kommt aus einer Familie von Künstlern. Sein Vater, Xavier Valls, war Maler und floh während des Spanischen Bürgerkrieges nach Frankreich, seine Mutter ist eine Schauspielerin aus dem italienischen Teil der Schweiz.

Mit knapp 18 – immer noch ohne französische Staatsbürgerschaft, die er erst im Jahr 1982 erhielt –, startet Manuel Valls seine politische Karriere bei den Sozialisten. Er wird Berater von Premier Michel Rocard und Pressesprecher im Kabinett von Lionel Jospin. Im März 2001 wird er zum Bürgermeister von Évry, einer Vorortstadt und Migrantenhochburg südlich von Paris, gewählt. Sechs Jahre später bestätigen die Einwohner mit 60 Prozent Valls politischen Kurs.

Ein französischer Journalist beschrieb Manuel Valls dann auch als ziemlich streng in seinem Verhalten: „Der Löwe läuft und sitzt gerade. In seiner Wohnung sind alle Sachen in Ordnung. Auf einem Tisch vor dem Plasmabildschirm sind drei Fernbedienungen. Alle drei säuberlich in einer Reihe angeordnet.“ Und ein Genosse fügte hinzu: „Manuel Valls trägt die Energie der spanischen Sonne und der katalanischen Revolte gegen die Unterdrückung in sich – und besonders die Energie des Egoismus.“

Entsprechend sprach er Tacheles und bewies sich als Experte der Provokation. Bürgermeister Valls ließ ein Geschäft schließen, das nur Halal-Produkte, also kein Schweinefleisch, keinen Alkohol („inakzeptable Auswahl der Produkte“) verkaufte. Im Jahr 2009 machte er auf dem von vielen Schwarzen frequentierten Marktplatz von Évry seine berühmte Aussage „Wo sind die Weißen?“ Ein anderes Mal besuchte Valls die Banlieues der Trabantenstadt Créteil. Migranten versuchten ihn zu blockieren. Die Situation drohte zu eskalieren. Doch Valls – selbst Kind einer Einwandererfamilie und daher in seiner Attitüde und Kritik authentisch – blieb kühl und setzte seinen Gang durch das Ghetto fort.

Nun ist der „Sarkozy der Linken“ seit Wochen auf Wahlkampftour. Ganz „Löwe“ attackiert er Sarkozys Wirtschaftskrisensemantik in altbewährter Manier: „Wie kann man die Franzosen anlügen, daß sie weniger Steuern bezahlen müssen? Daß sie weiterhin mit 60 Jahren in Rente gehen werden? Natürlich werden sie mehr Steuern bezahlen, weil der Statt extrem verschuldet ist.“ Parallel dazu propagiert er bei einem Besuch im Elsaß die Dezentralisierung Frankreichs und fordert die Kürzung des Salärs des französischen Präsidenten und der Minister um mindestens zwanzig Prozent.

Kritische, ja unbotmäßige Worte in puncto Migration sind dagegen nicht mehr zu vernehmen. Plötzlich ist das Enfant terrible der Sozialisten vom Gros der Genossen kaum noch zu unterscheiden. Valls sieht die Einwanderung als Chance, fordert mehr Rechte und verbesserte Bildungschancen für Migranten, eine Änderung des rigiden Asylrechts und läßt vor allem kein gutes Haar an der „verheerenden“ Ausländerpolitik der Regierung Sarkozy.

Woher der Wandel? Ein später Sinneswandel angesichts steter Vorwürfe, er würde mit seiner Position zu sehr dem Front National in die Hand spielen?

„Ich kenne Manuel Valls“, erklärt ein Unterpräfekt unter der Hand, „er spricht nunmal so extrem.“ Letztlich wolle er aber auch nichts anderes, als die Regierung Sarkozy seit langem plane: Auflösung der Konzentration von Nord- und Schwarzafrikanern in den Banlieues und Verteilung der Einwohner auf ganz Frankreich. Auch eine ehemalige Kommilitonin unterstützt die Heißspornthese: „Manuel Valls ist extrem ehrgeizig.“

Nun scheint der Ehrgeiz und der Wille zum Tabubruch zumindest in der Ausländerpolitik erloschen und manch Kriker erinnert sich plötzlich wieder an Manuel Valls Umfaller in der Europapolitik. Stemmte er sich noch im Jahr 2005 vereint mit dem Front National mit Händen und Füßen gegen den EU-Verfassungsvertrag, so vollzog er zwei Jahre später eine Kehrtwende, die viele Wähler, die sich Monate zuvor in einem Referendum gegen den Vertrag ausgesprochen hatten, irritierte.

Doch Valls zeigt sich ungebrochen: Man dürfe die Fragen von Nation und Vaterland nicht allein „der Rechten überlassen“, erklärt der 49jährige und hofft darauf, seine Umfragewerte, die zur Zeit mit neun Prozent weit hinter den sozialistischen Kandidatinnen Ségolène Royal (30 Prozent) und Martine Aubry (25 Prozent) liegen, zu verbessern.

Foto: Manuel Valls: Als Experte der Provokation bekam der „Sarkozy der Linken“ den Unmut der Parteiführung der Sozialisten oftmals zu spüren

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