© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/11 / 30. September 2011

Sehnsucht nach der starken Hand
Rußland: Putins dritte Amtszeit wird steiniger denn je
Thomas Fasbender

Die Entscheidung ist gefallen. Wladimir Putin, derzeitiger russischer Premierminister und Präsident der Jahre 2000 bis 2008, tritt im März 2012 erneut als Präsidentschaftskandidat der Regierungspartei an. Der derzeitige Amtsträger Dmitrj Medwedew soll danach als Premierminister agieren und steht an erster Stelle auf der Liste des Einigen Rußland bei den Parlamentswahlen im Dezember.

Die meisten ausländischen Kommentare bedauern Putins neuerliche Kandidatur als Niederlage für die Modernisierer und Liberalen, als Zeichen restaurativer Stagnation. So auch der Tenor der deutschen Medien, die mit Putin ihren Lieblingsfeind zurückerhalten: Patriot, Macho, autoritär und erfolgreich. In allem das Gegenteil der deutschen Politiker.

Ob der Erfolg seiner ersten Amtszeiten ihm treu bleibt, muß sich allerdings weisen. Der künftige Präsident – dessen Wahl getrost unterstellt werden darf – steht vor gewaltigen Herausforderungen. Mit einem schlichten Weiter-so, einem Fortschreiben der Politik seiner ersten acht Jahre wird es nicht getan sein.

Zumal die gesellschaftliche Grundstimmung sich deutlich verändert hat. Ein durchgängig spürbarer Patriotismus – nicht zuletzt Putins eigenes Werk – kontrastiert mit steigender Unzufriedenheit. Die Menschen haben eine wesentlich höhere Erwartungshaltung als Ende der Neunziger, sie sind Wachstum gewöhnt und fordern Rechte und Gerechtigkeit ein, vor allem vom Staat und seiner weithin korrupten, Dienst nach Vorschrift schiebenden Bürokratie.

Gerade die jüngeren Unternehmer vereint ein zunehmender Groll angesichts von Machtmißbrauch, Ineffizienz und Korruption. Das sind jene, die ihre Ferien oft im Ausland verbringen und zornig registrieren, daß selbst in der Türkei die Dinge deutlich besser organisiert sind, als sie es in ihrer Heimat erleben.

Diese Grundstimmung war auch die treibende Kraft hinter den Bestrebungen, Medwedew als vermeintlichem Reformer eine zweite Amtszeit zu sichern. Es war eine krasse Verkennung des Mannes. Er ist nicht aus solchem Holz geschnitzt. Seine Politik erschöpfte sich in schönen Reden, Taten waren kaum erkennbar. Weder im Apparat noch unter der Bevölkerung hat er sich das Gewicht verschafft, das für einen Politiker von Rang unerläßlich ist.

Wladimir Putin hat dieses Gewicht. Der Vorwurf, er habe unter seiner ersten Präsidentschaft die Demokratie abgeschafft, zielt ins Leere. Es gab nie eine russische Demokratie nach westlichen Begriffen. Der Respekt vor Institutionen und Gesetzen ist in Rußland dermaßen unterentwickelt, daß eine solche Demokratie nicht funktioniert. Die überwiegende Mehrheit begrüßt daher eine Ordnung der starken Hand mit demokratisch-populistischen Zügen.

Das Wort Modernisierung, das Medwedew zum Markenzeichen erhoben hat, wird auch mit der Rückkehr Putins an die Macht nicht aus dem politischen Sprachschatz verschwinden. Ohnehin steht es im Russischen seit Zar Peter I. für das Bestreben, westliche Technologien zu kopieren – nicht für den Versuch, wie der Westen zu sein.

Ob Putin im zweiten Anlauf zu einem Peter des 21. Jahrhunderts wird, steht jedoch in den Sternen. Vom weltwirtschaftlichen Umfeld kann er in seiner dritten Amtszeit keinen Rückenwind erwarten. Um so schwerer wiegt, daß seine Vorliebe für langsame Reformen, soziale Wohltaten und einen starken Staat wachsende Haushaltsdefizite heraufbeschwört. An dieser Stelle lauern die größten Gefahren. Finanzminister Alexej Kudrin, Vater der erfolgreichen Sanierungspolitik nach 2000, hat bereits erklärt, ab März 2012 nicht mehr zur Verfügung zu stehen und wurde prompt des Amtes enthoben.

Die Herausforderungen sind in der Tat enorm. Angesichts der im Entstehen begriffenen wirtschaftlichen Allianz aus China, den USA und der EU droht Rußland die Rolle als fünftes Rad am Wagen. Ineffizienz, Korruption und eine marode Infrastruktur sind Probleme im Inneren, die der Staat seit Jahren vor sich herschiebt. Hinzu kommt der Auftritt einer neuen Generation, die Bildung neuer gesellschaftlicher Lager.

Die restaurative Phase ist bereits Vergangenheit, und eine Politik der Stagnation wird der neu-alte Präsident sich nicht leisten können. Wie auch in Europa spürt man in Rußland, daß jetzt erst das neue, im Kern ungewisse Jahrhundert beginnt. Auch wenn die Verfassung ihm zwei je sechsjährige Amtszeiten ermöglicht – ob Putin bis 2024 Präsident bleiben wird, ist alles andere als ausgemacht.

Foto: Präsident Medwedjew (l.) und sein Premier: Auch beim Angeln an der Wolga hat Putin die Nase vorn

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