© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/11 / 07. Oktober 2011

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Alle gegen Lammert
Marcus Schmidt

Das macht mich fassungslos!“ twittert Frank Schäffler am vergangenen Freitag. Das Entsetzen des FDP-Abgeordneten galt der wachsenden Kritik, die Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) mit seiner Entscheidung auf sich gezogen hatte, Schäffler und dem CDU-Abgeordneten Klaus-Peter Willsch gegen den Willen ihrer Fraktionen in der Debatte um die Griechenland-Hilfe das Wort zu erteilen.

Da die Spitzen der beiden Regierungsfraktionen, die am Donnerstag vergangener Woche mit großer Mehrheit für die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms stimmten, den beiden prominenten Abweichlern Schäffler und Willsch den Wunsch verweigert hatten, sie auf die Rednerliste zu setzen, baten sie Lammert um Hilfe und um Redezeit. Der Parlamentspräsident kam dieser Bitte zum Ärger der Regierungsfraktionen nach und berief sich dabei auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1989, das sich allerdings auf einen fraktionslosen Abgeordneten bezogen hatte.

Doch davon wollte die vereinte Front der parlamentarischen Geschäftsführer von CDU/CSU, FDP, SPD, Grünen und Linkspartei nichts wissen. Denn bislang verteilen sie die den Fraktionen jeweils zustehende Redezeit. Damit konnten Meinungen einzelner Abgeordneter, die von der Fraktionslinie abweichen, unter der Decke gehalten werden. Entsprechend groß war der Zorn über die Parteigrenzen hinweg.Lammert erhielt dagegen unter anderem Unterstützung von seinem Stellvertreter Wolfgang Thierse (SPD). Er sagte der Frankfurter Rundschau, die Fraktionen sollten „auch die Minderheitsmeinungen im Parlament zu Worte kommen lassen“. Thierse forderte aber Regeln „für ein geordnetes Verfahren“, damit es nicht zu Endlosdebatten komme.

Seine ganz eigenen Schlüsse aus dem Streit um das Rederecht zog derweil der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele. „Seit zehn Jahren bemühe ich mich vergeblich, zum Thema Afghanistankrieg einmal im Plenum des Bundestags reden zu dürfen“, sagte er mit Blick auf seine Fraktionsführung. „Sollte mir weiterhin das Rederecht bei Debatten über Kriegsentscheidungen des Parlaments verweigert werden, werde ich mein Recht als Mitglied des Bundestages auf Rede und Gleichbehandlung beim Bundesverfassungsgericht einklagen“, kündigte er an.

Doch zunächst wird nach Absprache zwischen Lammert und dem Ältestenrat des Parlamentes der Geschäftsordnungsausschuß die Rechtslage klären, sagte Lammerts scheidender Sprecher Guido Heinen. Er zeigte sich überzeugt, daß der Bundestagspräsident eine klare Rechtsgrundlage für seine Entscheidung hatte. Heinen verwies auf den einschlägigen juristischen Kommentar zur Geschäftsordnung des Parlamentes, in dem es unter anderem heißt: „Da dem ‘Abweichler’ aber in jedem Fall das Wort zu erteilen ist, bleibt nur die Möglichkeit, die Aussprache entsprechend zu verlängern. Der Präsident ist dazu ungeachtet eines zur Festlegung der Dauer der Aussprache gefaßten Bundestagsbeschlusses berechtigt und verpflichtet.“

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