© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/11 / 07. Oktober 2011

„Ach, der Strache von der FPÖ war das?“
Österreich: Mit seinem ruhigen, trockenen Schmäh begeisterte Thilo Sarrazin das Grazer Publikum
Hans B. von Sothen

Er kommt überraschend gut an als Norddeutscher bei den Österreichern: Das Grazer Publikum mochte Thilo Sarrazin sichtlich – und zwar nicht nur wegen der Dinge, die er sagte, sondern auch aufgrund dessen, wie er es sagte. Sarrazin hat Schmäh. Keinen österreichischen natürlich: also schnell, liebenswürdig und gemein, sondern einen sehr ruhigen und trockenen Schmäh. Das kommt an.

Er lächelt nicht, vor allem nicht über die eigenen Pointen. Und er schaut vor allem danach nicht applausheischend ins Publikum. Da wird ihm sogar der geradezu klassische Fauxpas ohne Gelächter oder gar Pfiffe verziehen, wenn er sich während seiner Rede „hier in Klagenfurt“ wähnt.

Das Publikum in Graz ist gutbürgerlich. Meist mittleren Alters, sichtbar etabliert. Das durfte man auch erwarten, denn schließlich mußte der stolze Eintritt von 60 Euro berappt werden. Dennoch war bereits Tage vorher – und das, obwohl nicht öffentlich eingeladen wurde – der Tagungssaal, die Grazer Seifenfabrik mit ihren mehr als 700 Sitzplätzen, restlos ausverkauft. Auf dem Weg mußte man sich durch eine Handvoll Antifa-Leute, deren Anzahl sich in umgekehrtem Verhältnis zu dem von ihnen produzierten Lärm befand, hindurchwinden. Das ging aufgrund des beachtlichen Polizeieinsatzes recht unkompliziert. Gleichzeitig versammelten sich etwa 200 Demonstranten bei einer Kundgebung auf dem Hauptplatz der Hauptstadt der Steiermark. Für dieses „Interkulturelle Volxfest“ gegen Sarrazin wurde übrigens auf der offiziellen Netzseite „Kulturserver Graz“ geworben.

Zur Sarrazin-Lesung geladen hatte der Bauernbund der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) sowie dessen Vorsitzender Fritz Grillitsch, dem die linke Wiener Tageszeitung Der Standard bescheinigt hatte, er habe „immer schon wenig Hehl aus seiner Neigung zum nationalen Lager gemacht“. In den ersten Reihen fanden sich die bekannteren Namen: neben dem Gastgeber unter anderem der frühere österreichische Wirtschaftsminister Martin Bartenstein (ÖVP), der ÖVP-Fraktionsvorsitze Werner Amon sowie von der FPÖ deren Chef Heinz-Christian Strache. Schließlich sah man auch den Redakteur des Massenblatts Krone, Claus Pándi.

Ebenso bemerkenswert war, wer fehlte: der steirische ÖVP-Chef Hermann Schützenhöfer und der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP). Der linke „Caritas“-Flügel der ÖVP fehlte ganz. Ebenso die Grünen, mit denen es von links-katholischer Seite besonders in der Einwanderungsfrage eine erhebliche Übereinstimmung gibt. Daß auch sie keine Lust verspürten, Sarrazin anzuhören, war kaum überraschend, hatten diese doch schon im Vorfeld erklärt, daß „Rassismus keine Meinung“ ist. Parallel dazu erklärte der Sprecher der Jungen Grünen: „Daß der Bauernbund einen Rassisten einlädt, um über Migration zu diskutieren, ist beschämend.“ Der Angegriffene nahms gelassen: kein Kommentar.

Der FPÖ-Chef wurde von Sarrazin in Graz zwar nicht geschnitten, aber doch weitgehend ignoriert. Gegenüber dem Boulevardblatt Österreich, das Sarrazin als „Volksverhetzer Aufputscher und Bestseller-Autor“ vorstellte, gab sich Sarrazin überrascht: „Ach, der Strache von der FPÖ war das? Ich möchte aber nichts mit Parteien zu tun haben.“ Straches Kommentar über Sarrazin hörte sich dagegen bedeutend herzlicher an: „Er spricht offen und fundiert über das, worauf wir seit Jahren hinweisen – wir brauchen bessere Zuwanderungspolitik.“ Strache: „Sarrazin ist immer eine Reise wert.“ Der FPÖ-Chef kam mit einem eigens mitgebrachten Exemplar des Buchs „Deutschland schafft sich ab“ und wartete geduldig, bis er mit einer Unterschrift an die Reihe kam.

Wie stark sich die Konsequenzen, was denn mit denjenigen zu geschehen habe, die bereits da sind, tatsächlich gleichen, blieb indes ungewiß. Die FPÖ hat sich bislang stets für den konsequenten Entzug von Aufenthaltsgenehmigungen und Abschiebung von straffälligen und arbeitslosen Nicht-EU-Bürgern ausgesprochen. Bei Sarrazin hörte sich das etwas anders an. Seine Forderungen: Integration der Eingewanderten, Stopp der weiteren Einwanderung von Muslimen sowie die Forderung nach verstärkter Einwanderung „fähiger“ Einwanderungsgruppen nach dem Vorbild der USA, Kanadas oder Australiens.

ÖVP-Bauernbund-Funktionär Gerhard Wlodkowski argumentierte schließlich offenbar ohne Rücksicht auf die von Sarrazin angemahnte „Qualität“ der Einwanderer aus dem Blickwinkel der Wirtschaft durchaus folgerichtig: „Wir brauchen ja Erntehelfer in der Landwirtschaft.“

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