© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/11 / 07. Oktober 2011

Unerfüllte Hoffnungen auf einen Neuanfang
Polen vor der Wahl : Nach dem Erdrutschsieg im Jahr 2007 muß Ministerpräsident Tusk um seine Macht bangen / Postkommunisten als mögliche Partner
Volkmar Reuss

Die Erwartungen waren groß. Nach dem Erdrutschsieg von Donald Tusk und seiner wirtschaftsliberalen Bürgerplattform (PO) im Jahr 2007 (41,5 Prozent) hofften viele Polen auf einen radikalen Neuanfang. Vier Jahre später ist davon wenig geblieben und Ministerpräsident Tusk muß am 9. Oktober bei der Parlamentswahl in Polen um seine Wiederwahl bangen. Vor allem da sein Koalitionspartner, die kleine bäuerliche Volkspartei (PSL), um den Einzug ins Parlament zittern muß.

Trotz massiver Medienunterstützung wächst die Enttäuschung über unerfüllte Versprechungen der letzten Wahlkampagne. So war Tusk mit dem Versprechen angetreten, die Steuern zu senken. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer zum 1. Januar stieß viele jedoch vor den Kopf. Sie führt dazu, daß eine Durchschnittsfamilie jährlich um die 150 Euro – für manche ein ganzes Monatsgehalt – verliert.

Parallel dazu sorgen eine stagnierende Wirtschaft, eine hohe Staatsverschuldung (200 Milliarden Euro), steigende Preise sowie eine niederschmetternde Bilanz bei der Verbesserung der Infrastruktur und Bekämpfung der Bürokratie dafür, daß die PO trotz eines umfangreichen Wahlkampfes an Sympathie bei den Wählern verliert. Vor allem ist ein Teil ihrer ehemaligen Stammwähler enttäuscht; die Arbeitslosigkeitsrate unter Hochschulabsolventen – die 2005 die modernistische Anti-Kaczyński-Welle („Nimm der Oma ihren Personalausweis“) getragen hatten – beträgt cirka 40 Prozent.

Wasser auf die Mühlen der Konkurrenz? Das Rennen ist noch völlig offen. Mit 29 Prozent liegt Tusks größter Konkurrent Jarosław Kaczyński mit seiner sozialkonservativen PiS in aktuellen Umfragen hinter der PO (32 Prozent). Doch die PiS wird in Umfragen zumeist unterschätzt, und so zeigt sich Kaczyński zuversichtlich. Dabei setzt der Ex-Ministerpräsident auf eine disziplinierte PiS-Stammwählerschaft (20 bis 25 Prozent) auf der einen Seite sowie auf die wachsende Enttäuschung breiter Massen. So ist es ihm unter der Parole „Die Polen verdienen mehr“ gelungen, einen Teil der älteren, sozialistischen Wählerklientel zu gewinnen, die von ihrer Partei einen konkreten Schutz vor der Verarmung und nicht die Teilnahme an Schwulenparaden erwartet.

Angesicht der Erfahrungen der letzten Wahl unternimmt der Zwillingsbruder des im April 2010 bei einem Flugzeugabsturz bei Smolensk ums Leben gekommenen Präsidenten Lech Kaczyński den Versuch, Abstand vom griesgrämigen „Dinosaurier“-Image zu finden und mit einem lässigen, optimistischen und auf jugendlich getrimmten Wahlkampf bei den Jungen Leuten zu punkten.

Trotzdem geht der PiS-Chef auch im Wahljahr 2011 mit antideutschen Ressentiments auf Stimmenfang. So skandierte er am vergangenen Wochenende in Kottowitz nicht nur die Wahlparole „Die Polen verdienen mehr“, sondern ebenfalls „Der polnische Schlesier verdient mehr“ und sorgte dadurch für große Empörung auf seiten der deutschen Minderheit in Oppeln. Bereits im April dieses Jahres hatte der Verband der Sozial-Kulturellen Gesellschaften der Deutschen in Polen in einem offenen Brief an Kaczyński dessen „Verunglimpfung“ von polnischen Bürgern deutscher Nationalität und Herkunf aufs schärfste kritisiert. Aus Kaczyńskis Aussagen gehe hervor, daß „Deutsche minderwertige Bürger der Republik Polen“ seien und das „Deutschsein eine Person als einen guten Mitbürger disqualifiziere.

Doch viel bewegen wird die deutsche Minderheit, die die 5-Prozent-Hürde nicht betrifft, bei den Wahlen nicht. Sie wird Vertreter stellen. Jedoch wahrscheinlich nicht sieben Abgeordnete, wie vor 20 Jahren, sondern höchstens zwei.

Zünglein an der Waage könnte dagegen die postkommunistische SLD (Nachfolgerin der LiD) sein, die in den Umfragen bei 10 Prozent liegt (2007: 13,1 Prozen). Unter dem Motto „Morgen ohne Sorgen“, gibt sich deren Vorsitzender Grzegorz Napieralski als Beschützer der Unter- und Mittelschicht vor neuer Armut, fordert weitere Sozialisierungen in der Wirtschaft und schielt ungeniert in Richtung PO.

Denn eine Koalition von Postkommunisten und Bürgerlicher Plattform ist in der kommenden Legislaturperiode nicht auszuschließen. Einerseits haben zahlreiche PO-Aktivisten eine postkommunistische Vergangenheit und andererseits balanciert die mitregierende Volkspartei (PSL) am Rande der 5-Prozent-Sperrklausel.

Im Nacken der Postkommunisten tummeln sich zwei unbeschriebene Blätter, von denen wenigstens eines den Sprung ins Parlament schaffen könnte.

Hierbei handelt es sich um die linksliberale Palikot-Bewegung (RPP) des erfolgreichen Unternehmers Janusz Palikot und den konservativ-libertäre Kongreß der Neuen Rechten (KNP) des polnischen Ron Paul, Janusz Korwin-Mikke. Beide Parteien können sowohl auf die Stimmen der Enttäuschten als auch auf das Heer der Unentschlossenen hoffen. 35 Prozent der Wähler wissen immer noch nicht, wem sie die Zukunft des Landes in den kommenden vier Jahren anvertrauen wollen.

RPP-Chef Janusz Palikot ist ehemaliges PO-Mitglied und diente ihr als Mann fürs Grobe. Als die Parteiführung etwas Unkorrektes verbreiten wollte, was ihr schaden konnte, bediente sie sich Palikots. So sind seine schockierenden Auftritte mit Vibratoren und Beleidigungen von PiS-Politikern zu einem festen Bestandteil der politischen Szene geworden. Während seine liberalen Wirtschaftslösungen als akzeptabel gelten (Entlassung der meisten Beamten, Steuersenkungen), sorgen Palikots Vorschläge, Homoehen zu legalisieren oder Polen als Einwanderungsland zu definieren für einige Verwirrung. Interessant ist jedoch Palikots Idee, ein engeres Bündnis mit Deutschland zu schließen und nicht mehr Trojanisches Pferd Amerikas in Europa zu sein. Umfragen zufolge könnte Palikots RPP bis zu acht Prozent erreichen.

Als große Unbekannte gilt dagegen der rechtskonservativ-libertäre KNP. Weitgehend von den polnischen Massenmedien ignoriert, steht sie für einen völligen Neuanfang. Entsprechend fordert deren exentrischer Parteichef Korwin-Mikke, selbst unter kommunistischer Herrschaft oftmals inhaftiert und Mitglied des Konservativ-Monarchistischen Klubs, einerseits die Absetzung der „Viererbande“ der Systemparteien, den Austritt Polens aus der Europäischen Union („wirtschaftlicher Kadaver“) sowie die Abschaffung von Sozialleistungen. Andererseits steht der KNP für extremen Wirtschaftsliberalismus und fordert die Rückbesinnung auf christlich-konservative Werte. Da die staatliche Wahlkommission den Kongreß der Neuen Rechten jedoch ausschließlich in 20 von 41 Wahlbezirken registriert hat, sieht dieser sich diskriminiert und spielt mit dem Gedanken, die Wahl für ungültig erklären zu lassen.

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