© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/11 / 07. Oktober 2011

So naß wie vorher
Euro-Krise: Der Rettungsfonds EFSF ist ein trauriger Verein aus Lahmen, Blinden und Dummen
Wolfgang Philipp

Vorige Woche wurde es mit überwältigender 85prozentiger Mehrheit beschlossen – nur die geschlossene Linksfraktion und ein paar versprengte Bundestagsabgeordnete aus dem rot-grünen und dem Regierungslager votierten dagegen: Die im Juni 2010 in Luxemburg als Aktiengesellschaft gegründete Europäische Finanzstabilisierungsfazilität AG (EFSF) wird qualitativ und quantitativ gewaltig erweitert, obwohl sie spätestens ab 1. Juli 2013 von einem neuen Gebilde namens Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM) abgelöst werden soll.

Nützen wird das alles nichts. Auch die erweiterte EFSF ist ein trauriger Verein, hinter dem weder ein schlüssiges Arbeitskonzept noch ein leistungsfähiger Gesellschafterkreis steht. Die der EFSF übertragenen zusätzlichen qualitativen Aktivitäten bestehen darin, daß jetzt auch der Aufkauf von Staatsanleihen, die Verwendung der Darlehen zur Rekapitalisierung privater und öffentlicher Banken und die Bereitstellung von „vorsorglichen Kreditlinien“, das heißt von Kontokorrentkrediten erlaubt ist. Das Konzept bleibt aber untauglich, wenn der Empfängerstaat nicht nur zahlungsunfähig, sondern auch überschuldet ist. Infolgedessen mußten zwangsläufig die bisherigen „Hilfen“ fehlschlagen: Die Schulden schwellen an, die Kurse griechischer Staatsanleihen fallen weiter.

Die EFSF soll am Kapitalmarkt bis zu 440 Milliarden Euro verzinslich aufnehmen. Dazu fehlt ihr aber die Kreditwürdigkeit, sie hat nur ein Kapital von rund 30.000 Euro. Deshalb sollen die 17 Euro-Staaten, die ihre Aktionäre sind, den Kreditgebern weiterhin als Bürgen haften und dadurch mittelbar eine Kreditwürdigkeit der EFSF herbeiführen. Diese „Sicherheit“ für die Gläubiger sieht so aus: Von den 17 Staaten fallen mindestens fünf von vornherein als Bürgen aus: Griechenland, Portugal, Irland, Italien und Spanien, die zusammen 35 Prozent des Bürgschaftsvolumens ausmachen. Von den restlichen zwölf Staaten haben nur sechs das höchste Rating „AAA“, nämlich Deutschland, Frankreich, Finnland, Österreich, die Niederlande und Luxemburg. Bei Frankreich und Österreich wird hinter den Kulissen schon über eine Abstufung diskutiert. Deshalb haben die Ratingagenturen verlangt, das Kreditvolumen von 440 Milliarden Euro quantitativ durch einen Haftungsrahmen von 780 Milliarden Euro zu versichern. Die (noch) leistungsfähigen Staaten haften dann nicht nur für ihre eigene Quote, sondern auch für die Quote anderer unsicherer Staaten.

Deutschland ist mit rund 27 Prozent beteiligt, bezogen auf 780 Milliarden Euro sind das 211 Milliarden Euro. Dazu kommt dann noch ein im Gesetz schon verankerter „Puffer“ von weiteren 20 Prozent – das ergibt zusammen 250 Milliarden Euro. Bezogen auf die Kreditsumme von 440 Milliarden Euro sind das 57 Prozent. Darin ist die Haftung für Zinsen, welche die EFSF am Kapitalmarkt bezahlen muß, nicht eingeschlossen. Bei 3,5 Prozent hat die Deutsche Bank eine Haftungsquote Deutschlands von rund 400 Milliarden Euro errechnet.

Da die vier kleineren Länder wenig ins Gewicht fallen und zumindest Frankreich mit einiger Wahrscheinlichkeit sein „Triple A“ verlieren wird, bildet man sich ein, Deutschland werde schon alles zahlen. Kein Bundeshaushalt kann aber auch nur annähernd solche Summen zur Verfügung stellen, eine Deckung für die Bürgschaftszusagen gibt es nicht. Soeben hat die Ratingagentur Standard & Poors angesichts der Bürgschaftslasten das deutsche Rating von „AAA“ schon vorsichtig in Frage gestellt. Die Versicherung von Kreditforderungen gegenüber dem deutschen Staat (CDS) hat sich bereits verteuert.

Illusorisch ist auch die Annahme, die EFSF werde am Kapitalmarkt mit 3,5 Prozent Zinsen davonkommen. Wenn die Ratingagenturen der EFSF nicht mehr lange das „Triple A“ zugestehen, muß auch sie höhere Zinsen zahlen. Da die Darlehen an die notleidenden Länder auch mit 3,5 Prozent Zins vergeben werden sollen, kann eine Zinsdifferenz zu Lasten der EFSF entstehen, die diese zur Vermeidung von Verlusten an die Darlehensnehmer weitergeben muß.

Der Kreis schließt sich, die Empfängerländer sind hinsichtlich der Zinsen „so naß wie vorher“: Das unschlüssige Projekt einer Aktiengesellschaft ohne Kapital, deren Gesellschafter aus Lahmen, Blinden und Dummen bestehen: Aus Lahmen, weil fünf von ihnen von vornherein nicht zahlungsfähig sind, aus „Halblahmen“, weil weitere sechs Staaten von Ratingagenturen bereits negativ beurteilt werden, aus Blinden insgesamt, weil sie die Unschlüssigkeit des Projekts nicht durchschauen, und schließlich aus Dummen, deren Regierungen sich „solidarisch“ bis zum eigenen Untergang für fremde Schulden zur Kasse bitten lassen.

Die Bundesregierung behauptet, wegen der von der EFSF zu verhängenden Auflagen sei nicht damit zu rechnen, daß Deutschland aus den Bürgschaften in Anspruch genommen wird. Das ist angesichts der Realitäten nicht nachvollziehbar. Auch muß sich das Merkel-Kabinett fragen lassen, warum es dann bei dem nächsten Projekt, dem im Januar 2012 zu verhandelnden dauerhaften ESM von der Bürgschaftslösung zu der für die einzelnen Staaten unendlich viel teureren Lösung übergeht, das Geld als „Eigenkapital“ vorher anzuschaffen.

Das ist nur logisch, wenn man mit hohen Ausfällen rechnet. Als der legendäre Deutsche Bank-Chef Hermann Josef Abs einst gefragt wurde, wie er die Fusion zweier großer Gesellschaften, die beide in großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckten, beurteile:, antwortete er: „Wenn ein Blinder auf einem Lahmen reitet, dann kommen sie nicht weit.“ Genau so ist es.

Foto: Dauerbaustelle Euro-Rettung: Bis zum eigenen Untergang für fremde Schulden haften

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