© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/11 / 07. Oktober 2011

Pankraz,
Jakob Augstein und der Exportüberschuß

Seit Wochen nun schon zetern linke Politiker und Journalisten (Michael Schlecht von der Linkspartei, Jakob Augstein im Spiegel) über die sogenannten „deutschen Exportüberschüsse“. Sie seien „gigantisch“ (Schlecht), „phänomenal“ (Augstein), und sie seien das eigentliche Übel, zumindest die Hauptursache der Eurokrise.

Das Finanzdefizit der Euro-Partner, so Schlecht und Augstein, sei nicht zuletzt dadurch entstanden, daß diese durch unsere Exportüberschüsse in ihrer Schaffenskraft regelrecht eingeschnürt und zum Schuldenmachen gezwungen worden seien. Parallel dazu hätten die deutschen Regierungen ihre eigenen Arbeitnehmer „zum Lohnverzicht gezwungen, was ihre europäischen Kollegen in die Arbeitslosigkeit trieb“ (Augstein). Deshalb also: Gestattet den deutschen Arbeitnehmern endlich einen ordentlichen Schluck aus der Pulle, dann wird auch den europäischen Kollegen endlich geholfen!

Wie soll man solches Argumentieren nun nennen, unverfroren, illegal, dumm, an sämtlichen Hinweisschildern ökonomischer Vernunft vorbei? Jedenfalls stimmt es, sofort einsehbar, an allen Ecken und Enden nicht. Schon das Wort „Exportüberschuß“ führt in die Irre. Wenn man eine Ware erfolgreich verkauft, dann besteht dafür ein echtes Bedürfnis, das man reell bedient; wieso denn „Überschuß“? Natürlich gibt es modische Bedürfnisse, Begehrlichkeiten, die neu entstehen, aber auch die wollen bedient sein. Das gehört zum ABC jeglichen Handels und Wandels.

Export, also Handel und Angebot über staatliche Grenzen hinweg, gehört an sich zu den Grundforderungen demokratischer Befindlichkeit; Zollschranken, Schutzzölle und andere staatlich verordnete Einfuhrbeschränkungen galten immer als (manchmal vielleicht notwendige) Übel. Innerhalb der EU gibt es seit Mai 2004 keine Zölle mehr und folglich auch keinen „Export“ im juristischen Sinne. Jetzt im Zeichen der Euro-Krise speziell den Deutschen einen EU-internen „Exportzoll“ aufzuerlegen, wäre ein glatter Verstoß gegen jegliches Gesetz.

Im übrigen hat Deutschland seinen „Exportüberschuß“ nicht im internen EU-Handel erarbeitet, sondern im offenen Welthandel, durch äußert lukrative Geschäfte mit China, Rußland, außereuropäischen Schwellenländern. Erst dadurch ist es in die Lage gekommen, seine eigene Verschuldung in Maßen zu halten und tief verschuldeten Euro-Partnern mit „Rettungsschirmen“ beizuspringen. Ob ein anderer Euro-Partner in der Lage wäre, den von Deutschland dominierten (und die EU so kräftig stabilisierenden) globalen Handel aufrechtzuerhalten – daran darf man zweifeln.

Unser Land ist bekanntlich rohstoffarm und räumlich knapp dimensioniert. Es besitzt weder Ölfelder noch Kupfergruben, weder seltene Erden noch üppige Regenwälder, welche sich in Palmölplantagen umwandeln lassen, nicht einmal große, heiße Wüsten, in denen man einsatzfähige Sonnenenergie erzeugen könnte. Sein einziger Reichtum ist das technisch-organisatorische Talent und die Arbeitsdisziplin seiner Bevölkerung, nicht zuletzt das kaufmännische Ingenium seiner traditionellen Wirt-schaftseliten. Wie gefährdet all diese positiven Kräfte in jeder Hinsicht sind, zeigt sich fast jeden Tag aufs neue.

China hat Deutschland mittlerweile als führende „Exportnation“ vom ersten Platz verdrängt. Es ist ein riesiges, mit vielen natürlichen Reichtümern gesegnetes Land, das wohl ruhig in die Zukunft blicken kann. Es betreibt einen äußerst einträglichen Rohstoffhandel, und sein zweites Export-Standbein ist die Billigproduktion. Ungeheure Massen entwurzelter Landbewohner ziehen als „Wanderarbeiter“ im Lande umher und sind jederzeit einsetzbar und zur Herstellung von Billiprodukten anlernbar. Im Export von Textilien, Spielzeugen oder einfachen Bauteilen für komplexere Systeme ist China schon heute uneinholbar.

Deutschland hingegen ist prinzipiell außerordentlich einholbar. Seine Exportwaren sind keine Billigprodukte, keine einfachen Bauteile, sondern hochkomplexe Systeme, ausgedehnte Produktionsanlagen, Autos, Hochgeschwindigkeitszüge, Flugzeuge, pharmazeutische Sachen, medizinische Apparate, praktische Gerätschaften für Haushalt und Garten. Außerdem leidet es an eklatantem Intelligenz-Export. Die an seinen Schulen ausgebildeten jungen Ärzte oder Ingenieure wandern in immer größerer Zahl nach Übersee aus, nach Kanada oder Australien, aber auch nach England oder in die Schweiz.

Dem Staat von Merkel und Steinbrück im Stile von Schlecht oder Augstein „Exportüberschuß“ vorzuwerfen, verfälscht den Stand der Dinge um volle 180 Grad. Eher sollte man von „Importüberschuß“ sprechen, nicht nur was Erdöl, seltene Erden und chinesische Socken betrifft. Dem Export von Ärzten und Ingenieuren steht ein um vieles größerer Import von ungelernten, oft sogar lernunwilligen Bevölkerungen entgegen, die letztlich nur am Sozialsystem des Landes partizipieren wollen und gespenstische Parallelwelten mitten in Berlin aufrichten.

Angesichts dieser Lage wirkt das Augsteinsche Gerede vom Lohnverzicht, der den Leuten in Deutschland angeblich aufgezwungen wird, wodurch dann Arbeitnehmer in anderen Euro-Ländern arbeitslos gemacht würden, besonders grotesk. Fakt ist doch ganz offenbar, daß man sich hierzulande als erster auf die dramatische Schuldenlage eingerichtet hat, die durch die verhängnisvolle Einführung des Euro heranreifen mußte. Nur dank dieser Vorsicht kann man doch jetzt Rettungsschirme aufspannen!

Aber das Kuriose daran ist: Diese Rettungsschirme sind gar keine. Die Pleiten werden durch sie nicht abgewendet, sondern nur hinausgeschoben und dadurch verschärft. Auch das Bild von den Rettungsschirmen ist total schief, genau wie das von den Exportüberschüssen. Schirme halten bekanntlich etwas ab, was von draußen kommt, Wassergüsse zum Beispiel oder Sonnenstiche. Im Falle der Euro-Krise kommt nichts von draußen, sondern nistet gerade unter dem Schirm und kann von dort nicht wegexportiert werden.

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