© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/11 / 07. Oktober 2011

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Richard Herzinger hat in seiner Welt-Kolumne einen Bericht über einen Moscheebesuch in der Hauptstadt gebracht, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt: ein tobender Imam mit verstümmelten Händen, der seiner Gemeinde – vor allem aber den Ungläubigen – ewige Höllenstrafen androht, kein Unterschied im Fanatismus bei gebildeten und äußerlich Assimilierten wie bei denen, die zäh an Tracht und Sitte ihrer Heimat festhalten. Daß der Text erst nach der Berlinwahl erschien, ist so wenig Zufall wie das Generalthema, um das es geht, nämlich die antizionistischen – recte: antisemitischen – Verschwörungstheorien, die in diesem Milieu verbreitet sind. Es stört Herzinger weniger die Problematik als solche, sondern die Behauptung, daß sein eigenes Blatt von einem Juden Axel Springer gegründet worden sei und heute von einer Jüdin, dessen Witwe Friede Springer, geleitet werde, die zur großen Konspiration mit Israel und dem Scheitan USA gehörten.

Daß sich die Lage ändert, kann man daran erkennen, daß Legitimitätsfragen diskutiert werden.

Das Anthropologiedefizit der heutigen Politik ist auch feststellbar an der Entschlossenheit, mit der man nicht nur übergeht, was Erfahrung und Lebensklugheit lehren, sondern auch das, was die Forschung sagt. Wenn es zutrifft, daß sich die Adoleszenz in den Industrieländern mittlerweile vom zwölften bis zum dreißigsten Jahr ausdehnt und mit erheblichen – im Grunde nur psychotherapeutisch kurierbaren – seelischen Belastungen einhergeht, sollte man fragen, wer eigentlich dauernd für die Senkung des Wahlalters eintritt, obwohl die Jungen unzurechnungsfähig sind.

Wenn die Grünen in Hamburg jetzt einen pacte civil planen, eine Art „Ehe light“, leicht zu schließen, leicht zu trennen, so muß man das auch als Indiz für die paradoxe Entwicklung auf diesem juristischen Feld betrachten. Einerseits haben wir es zu tun mit einer immer weitergehenden Verrechtlichung gerade der intimsten Beziehungen, andererseits versucht man mit allen Mitteln, formelle Hürden zu senken und das Rechtsinstitut Ehe und Familie als solches zu schwächen.

Die Tendenz von Herzingers Text ist kein Zufall. Er gehört zur bürgerlichen Fraktion der Anti-Deutschen und verdient sein Brot damit, immer neue Brandherde der Westfeindlichkeit zu entdecken und auszutreten. Das begann in der Zeit nach der Wiedervereinigung, als er sich im ersten „Kampf gegen Rechts“ Verdienste erwarb, und endet vorläufig bei dem Dauerhymnus auf die USA und Israel und die Vorzüge der Amerikanisierung und der Dauerwarnung vor der deutschen und islamistischen Gefahr, die sein Blatt abdruckt.

Die Forderung der BBC-Leitung, die Datumsbestimmung mittels BC (Before Christ) und A. D. (Anno Domini) zu ersetzen durch BCE (Before Common Era) und CE (Common Era), um „niemanden vor den Kopf zu stoßen“, geht keinesfalls weit genug. Man sollte mindestens die islamische (622 n. Chr. = 1) und jüdische (3761 v. Chr. = 1) Zeitrechnung hinzunehmen, andere Minderheiten würden sich angesprochen fühlen durch Datierung nach dem französischen (1789 n. Chr. = I) oder dem faschistischen (1922 n. Chr. = I) Revolutionskalender, der Errichtung von Stonehenge (1805 v. Chr. = 1 n. St.) oder dem germanischen Sieg am Teutoburger Wald (9 n. Chr. = 1 n. T.). Eine gewisse Unübersichtlichkeit wäre dabei in Kauf zu nehmen und ließe sich noch vermehren durch die Verwendung der jeweils gebräuchlichen Monatsnamen und der rationalen Dekade oder bolschewistischen Fünf-Tage- anstelle der irrationalen Sieben-Tage-Woche. Zur Bewältigung des Durcheinanders braucht man nur einen wohldotierten Kalenderbeauftragten, der uns immer sicher sagen könnte, in welchem Jahr nach der Hedschra, nach Erschaffung der Welt, nach dem Sturm auf die Bastille oder dem Marsch auf Rom oder den wichtigen Ereignissen in der frühen Geschichte wir uns gerade befinden.

Dereinst werden die fünfzig Jahre zwischen 1961 und 2011 als Ausnahmezeit gelten, eine Art Verschnaufpause der Weltgeschichte.

Der Fremde, der in deiner Mitte wohnt, steigt immer höher nach oben, hoch über dich hinaus, und du steigst immer tiefer hinab. Er leiht dir aus und du kannst ihm nichts ausleihen. Er wird zum Kopf und du wirst zum Schwanz. (5. Mose 28.43f.)

Was jemandem wie Herzinger und allen anderen Beschwörern des alten wie des neuen Antisemitismus nie in den Sinn kommen würde, ist dessen strukturelle Ähnlichkeit mit jenem Antigermanismus, dem sie selbst anhängen. Hier wie dort geht es um Weltvölker mit ausgeprägtem Sonderbewußtsein und ebenso ausgeprägtem Selbsthaß, um politisch Unbegabte und um solche, die in der Krise schwanken zwischen dem Versuch, sich unsichtbar zu machen, und dem, unbedingt ihr Anderssein zu behaupten.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 21. Oktober in der JF-Ausgabe 43/11.

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