© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/11 / 07. Oktober 2011

Das entheiligte Kaisertum
Macht im Wandel: Zur Salier-Ausstellung in Speyer
Hans-Georg Meier-Stein

Nach der vielbesuchten Staufer-Ausstellung in Mannheim (JF 51/10–1/11) ist jetzt und noch bis Ende Oktober eine Ausstellung zu den Saliern in Speyer zu sehen. Speyer bietet sich als Ort einer solchen Schau unbedingt an, denn im hiesigen Dom liegen bekanntlich die salischen Kaiser bestattet. Und so hatte man schon 1992 eine opulente Ausstellung zur Geschichte der Salier und ihrer Zeit gezeigt.

Der Anlaß ist dieses Mal ein dreifacher: Zunächst ist da das Jubiläum der Domweihe von 1061, die sich also im Herbst 2011 zum 950. Mal jährt. Vor 900 Jahren, im April 1111, wurde Heinrich V. als letzter Salier in Rom zum Kaiser gekrönt. Und dann ist da noch die Erinnerung an die privat- und finanzrechtlichen Privilegien, die Speyer 1111 zugestanden wurden und die als Voraussetzung zu sehen sind für die Entwicklung der bürgerlichen Selbstverwaltung in der Freien Reichsstadt.

Die salische Epoche umfaßt die Zeit von 1024 bis 1125, in der vier Könige und Kaiser das römisch-deutsche Reich regierten: Konrad II., Heinrich III., IV. und V. Die Salier, eine alte fränkische Dynastie, kamen ursprünglich aus der Moselregion und haben ab dem 9. und 10. Jahrhundert Worms und Speyer zu ihren Machtzentren ausgebaut. Im Rahmen eines Gesamtporträts der Salier tritt uns mit Konrad dem Roten (gefallen in der Schlacht auf dem Lechfeld 955) zum ersten Mal eine namhafte geschichtliche Gestalt entgegen; sein Grab liegt im Wormser Dom. Genealogische Verbindungen mit den Karolingern, Ottonen und Staufern gaben der Dynastie die politische Legitimität für ihren Herrschaftsanspruch.

Der Glanz der Staufer geht den Saliern ab. Es fehlen ihnen herausragende Profilfiguren wie Barbarossa oder Friedrich II., die, umgeben von der Aura des persönlich Bedeutenden und der Einzigartigkeit, in Sagen und Legenden, im Denkmalskult des 19. Jahrhunderts und in Bilderbuchreminiszensen oder in einer Geschichtsschreibung von hohem literarischen Wert (man denke nur an Ernst Kantorowicz) als treue Erinnerungen idealisiert wurden. Und was sonst aus staufischer Zeit im deutschen Gedächtnis weiterlebt und woran sich ergreifende nationale Sentiments gewinnen ließen, da wären anzumerken: der ehrgeizige Burgenbau mit seiner imposanten zyklopischen Massigkeit, oder das, was man die „staufische Klassik“ nennt, nämlich die höfische Ritterdichtung mit dem Minnesang, die großen, hochemotionalen Epen von Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg und Hartmann von Aue; das alles auch verbunden mit einer verfeinerten Hofkultur.

Vergleichbares aus der salischen Epoche ist im deutschen Allgemeinverständnis nicht zurückgeblieben; hier haften die Erinnerungen an Canossa als der großen politischen Verlegenheit und personalen Schwäche Heinrichs IV., von dem Karl Hampe schreibt, daß sein Leben „zu den unglücklichsten zählt, von denen die Weltgeschichte zu berichten weiß“.

Dabei fällt in die salische Zeit der Anfang des mit forcierten Anstrengungen betriebenen großen romanischen Kirchenbaus, der von der Erhabenheit des antiken Rom seinen Ausgang nahm. Natürlich stand dahinter die Idee, die Schutzherrschaft des salischen Kaisertums über die Christenheit repräsentativ zu preisen und in den Sinnzusammenhang der göttlichen Weltordnung zu stellen. Vor allem teilt sich in der monumentalen Klostergründung Limburg am Ort der salischen Stammburg und in den Dombauten zu Worms und Speyer ein neues salisches Haus- und Dynastenbewußtsein mit, zeigt sich doch dabei das Bestreben, Macht, Glanz und Gravität der Salier für alle Zeiten Ausdruck zu geben. Der Speyerer Dom, steinernes Symbol für den Absolutheitsanspruch und die Autorität der Salier, wird in der Ausstellung mit Hilfe einer digitalen Rekonstruktion in seinen verschiedenen Bauphasen von den Anfängen (1030 bis 1061) bis zu seiner Zerstörung durch die Franzosen in Pfälzischen Erbfolgekrieg und dem Wiederaufbau im 19. Jahrhundert durch Heinrich Hübsch gezeigt.

Natürlich kann eine Ausstellung auf so begrenztem Raum nicht alles zeigen, was „die Salier“ und ihre Zeit ausmacht: die ganze disparate Welt mit ihren großen und kleinen Quanten, Stimmungen, Mentalitäten, Bewegungen, Veränderungen, Verwandlungen, Entwicklungen und Kräftediagrammen, von denen die Epoche erfaßt war: etwa dem großen Sinnschauspiel der monastischen Reformbewegung, der Abkehr von den gewachsenen imperialen Ordnungen und der Rechtmäßigkeit des Kaisertums, das in eine traditionsreiche Vergangenheit eingesenkt war, oder die anhebende bürgerlich-geschäftlich-kaufmännische Welt in dem nun auch nördlich der Alpen beginnenden Städtewesen.

Die Schau in Speyer setzt deshalb signifikante thematische Schwerpunkte und beleuchtet wichtige Aspekte, um so den geschichtlichen Hintergrund der salischen Epoche verständlich zu machen: Städte, Burgen, Klöster, der Wandel der Macht, die Kaisergräber und die Päpste werden in den Fokus genommen. Dabei fällt der Blick mit Notwendigkeit auch auf den Investiturstreit, der ausgelöst wurde durch die große gregorianische oder cluniazensische Reformbewegung und der den brüchigen Charakter der salischen Herrschaft sichtbar werden ließ.

Diese Bewegung hatte die ungeheure Suggestions- und Schubkraft einer millenarischen Hoffnung und bezog ihr Pathos aus den endzeitlichen Sehnsüchten und den chiliastischen Träumen, die den Aufbruch begleiteten. Das Bild der Zeit, ihre Antriebsenergien und kriegsähnlichen Stimmungen sind indes auch bestimmt durch den ostentativen und anmaßenden Charakter der sich gegenüberstehenden arglistigen Gegner und den bösartigen Zynismus auf beiden Seiten sowie das überhitzte agitatorische Spektakel der Kontrahenten. Da sind auf der einen Seite die Fixierung der beiden letzten Salier auf ihre Machtdemonstration, auf der anderen erheben sich als führende Erscheinungen der selbstbewußten Papstkirche Gregor VII. und Urban II. mit ihrem hochmütigen Klerikerstolz, ihrer Unduldsamkeit und oraterischen Unerbittlichkeit mit den theologischen Aufpfropfungen zur Bekräftigung ihrer Unterwerfungs- und Machtansprüche.

Dieser die Welt erschütternde Gegensatz zwischen weltlicher und geistlicher Universalgewalt mit seiner verwirrenden, oft tragödienhaften Dramaturgie hat das Kaisertum entheiligt. Mit der theokratisch begründeten Oberhoheit des deutschen Imperiums war es nun vorbei. Canossa gehört zu den Ohnmachtserfahrungen Heinrichs IV.

Aber 1111, nach erfolgreichem Italienfeldzug Heinrichs V. und der Eroberung Roms, schien die kaiserliche Macht auf dem Höhepunkt zu sein. Papst Paschalis II., gefangengenommen und in demoralisierender Haft gehalten, machte in dieser Notlage der unerbittlichen Entschlossenheit des salischen Herrschers weitreichende Zugeständnisse. Die Investitur der geistlichen Ämter war nun ganz auf das persönliche Regiment des Königs zugeschnitten. Am 13. April 1111 wurde schließlich die Kaiserkrönung vollzogen. Im August zog Heinrich, erfaßt vom Rausch des Erfolges, mit allem Pomp des historischen Siegers in Speyer ein.

Die Überwältigung der Papstkirche hatte indes keine dauerhafte Wirkung. Nicht lange nachdem das deutsche Heer aus Rom abgezogen war, machte Paschalis die zu erwartende Kehrtwendung; er verwies auf den erpresserischen Charakter der Verhandlungen und erklärte alle Abmachungen für ungültig. Das vorläufige Ende der Fronen kam erst mit dem Pontifikat Calixtus II., der von seiner Entourage zum Nachgeben gedrängt wurde. Müde der ewigen Kämpfe und Verwicklungen und in der Erkenntnis, daß die Kräfte überspannt waren, fanden sich beide Seiten endlich zu einer Übereinkunft zusammen. Am 23. September 1122 wurde das Wormser Konkordat unterzeichnet. Nutznießer des Investiturstreits waren die Städte, Ministerialen, der niedere Adel und die untergeordneten Vasallen, denen die Salier, um sich deren Wohlwollen zu versichern, im Kampf gegen den Hohen Adel, dem Episkopat und gegen die Auflösung der Ordnung im deutschen Imperium Zugeständnisse machen mußten.

Die Annäherung an die Vorstellungswelten jener Zeit, an die komplexen Geschehenszusammenhänge und die Vielartigkeit kontroverser Charaktere ist uns heute nur schwer möglich. Die Ausstellung läßt uns aber mit dem, was gezeigt und erklärt wird, den Zugang leichter finden. Präsentiert werden eine Kopie des Wormser Konkordats aus dem frühen 12. Jahrhundert (das Original ist verschollen) oder die „Dictatus papae“: Das sind 27 Leit- und Grundsätze, mit denen Papst Gregor VII. die Stellung des Papstes in der Welt und im Verhältnis zum Königtum bestimmte. Zu den besonders wertvollen Leihgaben zählen die Thronlehnen und der „Krode-Altar“ aus der Kaiserpfalz Goslar, das Heinrichskreuz aus der Pfalz Fritzlar, die Emailtafel mit Investiturdarstellung, die um 1170 in Köln entstand, oder Höhepunkte der Buchkunst. Unbedingt sehenswert sind aber auch die Beigaben zu den Kaisergräbern, die 1900 geöffnet wurden, etwa die schlichten Grabkronen der Herrscher, der Reichsapfel Heinrichs III. oder ein Fingerring von Heinrich IV.

Darüber hinaus lohnt ein Besuch der Stadt Speyer allemal, denn Speyer hat viele bauliche Kostbarkeiten, wie die protestantische Dreifaltigkeitskirche aus dem frühen 18. Jahrhundert, reizvolle Bürgerhäuser aus der Zeit des Barock bis zum Historismus oder die Gedächtniskirche im neugotischen Stil, die an den Reichstag zu Speyer 1529 erinnern soll.

Im Geburtshaus des Malers Anselm Feuerbach ist eine Gedenkstätte eingerichtet. Wer die Zeit für einen Ausflug hat, sollte noch die imposante Ruine des Klosters Limburg oberhalb von Bad Dürkheim besuchen; hier liegt Königin Gunhild, die erste Gattin von Heinrich III., bestattet. Von hier aus, wo die salische Geschichte ihren Anfang genommen hat, hat man den weiten Blick über die pittoreske Pfälzer Weinlandschaft bis nach Speyer, wo eben diese salische Geschichte zu ihrem Ende gekommen ist.

Die Ausstellung „Die Salier – Macht im Wandel“ ist noch bis zum 30. Oktober im Historischen Museum der Pfalz Speyer, Domplatz, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Info: 0 62 32 / 62 02 22

Das zweibändige Begleitbuch (Edition Minerva München) mit zusammen 640 Seiten und etwa 600 größtenteils farbigen Abbildungen kostet im Museum 39,90 Euro.

www.museum.speyer.de

Foto: Speyerer Evangelistar, um 1220: Das überaus prachtvoll ausgestattete Evangelistar gehörte ursprünglich zum Speyerer Domschatz. Im Jahr 1792 wurde die kostbare Handschrift in die Bruchsaler Residenz der Speyerer Bischöfe gebracht, 1803 gelangte sie nach Karlsruhe. Nach nunmehr 219 Jahren ist das Evangelistar nun erstmals zurück nach Speyer gekommen

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen