© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/11 / 07. Oktober 2011

Sturmgeschütz gegen alle Despoten
Stefan Wincklers Biographie des konservativen ZDF-Journalisten Gerhard Löwenthal
Günther Deschner

Wie kein zweiter Nachkriegsjournalist versetzte Gerhard Löwenthal, der 19 Jahre lang – von 1969 bis 1987 – in 585 Sendungen das „ZDF Magazin“ leitete und moderierte, das geteilte Deutschland auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs in Wallung. Er beschäftigte sich vor allem mit Menschenrechtsverletzungen in der DDR, den brutalen Repressionsmaßnahmen gegen Ausreiseantragsteller, der Verfolgung politischer Gegner und Dissidenten, den unmenschlichen Haftbedingungen für politische Häftlinge.

Der offiziellen DDR, wo er selbstverständlich Einreiseverbot hatte, galt er als „Staatsfeind Nummer 1“. Bei den Genossen war er der meistgehaßte West-Journalist, gerade weil er auch bei der eigenen „Bevölkerung“ außerordentlich populär war und hohe Einschaltquoten erzielte. Das berühmte Stakkato aus der Intrada des Konzertes für Orchester von Witold Lutosławski dürfte jedesmal Angstschweiß in Ost-Berlin ausgelöst haben. Insbesondere mit seiner 1975 begonnenen Rubrik „Hilferufe von drüben“, die Briefe und Appelle von politisch Verfolgten und von Ausreisewilligen verbreitete, fesselte er bis zu fünfzig Prozent der DDR-Bürger an die Bildschirme. Kein Wunder, daß Löwenthal für Mielkes Stasi bald zum „Feindobjekt“ wurde, für dessen „Bearbeitung“ 83 Inoffizielle Mitarbeiter unter Führung einer eigenen hauptamtlichen Arbeitsgruppe zuständig waren.

Löwenthal sah sich als „kämpfender Journalist“ gegen den Kommunismus, gegen das SED-Unrechtsregime im besonderen. Diese Haltung bestimmte auch die Berichterstattung seines Magazins über innenpolitische Themen der Bundesrepublik. Immer wieder bezog er Stellung gegen eine Politik, die die DDR als kommunistischen Staat anerkannte und völkerrechtlich „hoffähig“ machte. Die Ostpolitik Willy Brandts lehnte er deswegen strikt ab, eine Annäherung an die DDR kam für ihn einem Verrat gleich. Vor allem deswegen, aber auch wegen der Bildungs- und Gesellschaftspolitik nahm er Linke und Linksliberale der regierenden SPD/FDP-Koalition ins Visier, was ihm deren teils unsachliche polemische Kritik und andererseits lauten Beifall der damals noch konservativen CSU und der Blätter des Hauses Springer einbrachte.

Der Sohn eines jüdischen Kaufmanns aus Berlin, dessen Familie großenteils von den Nationalsozialisten ermordet worden war und der das Dritte Reich nur mit viel Glück überlebt hatte, scherte sich kaum um die Meinungen anderer, obwohl ihm ein wenig Anerkennung alter Widersacher nach der Wiedervereinigung wohl gut gefallen hätte: „Es ist doch nun mal so, daß ich recht behalten habe.“

Als einer der wenigen überlebenden Berliner Juden, die nach 1945 in Deutschland blieben, begann Löwenthal zunächst ein Medizinstudium an der wiedereröffneten Humboldt-Universität im sowjetischen Sektor und arbeitete nebenher als freier Reporter für den RIAS, den Rundfunksender im amerikanischen Sektor. Die Machtübernahme kommunistischer Funktionäre im Ostteil der Stadt empfand er als eine zweite Gleichschaltung. Seine studentische Freiheit ebenso wie seine Reportertätigkeit wurde zunehmend eingeschränkt, so daß er das Studium im Ostsektor abbrach. In West-Berlin wurde er einer der studentischen Mitbegründer der Freien Universität. Als ihm 1947, trotz seiner geringen Berufserfahrung, der RIAS eine eigene Sendereihe anbot, den „RIAS-Hochschulfunk“, gab er sein Studium ganz auf und wurde endgültig Journalist. In seiner Sendung machte er sich zum journalistischen Anwalt von Studenten, denen ihr Widerstand in der Ostzone und Ost-Berlin Verfolgungen einbrachte. Immer wieder ließ er politisch verfolgte Studenten selbst zu Wort kommen.

Nach Zwischenstationen in Paris und Brüssel (als erster ZDF-Korrespondent) sah er sich ab 1969 im „ZDF Magazin“ – nach der Erfahrung von Nationalsozialismus und Kommunismus – als „Missionar“ für Freiheit und Menschenrechte, als „Anwalt des Rechtsstaates“ Bundesrepublik Deutschland und als Vertreter der deutschen Einheit gegenüber den „Spaltern“.

Fast alle die Stationen und Erfahrungen dieses ungewöhnlichen Lebens sind schon längst öffentlich gemacht, nicht zuletzt durch Gerhard Löwenthals eigene Erinnerungen, die unter dem Titel „Ich bin geblieben“ bereits 1987 im Münchner Herbig-Verlag in mehreren Auflagen und 2005 in einer Neuausgabe im Verlag der JUNGEN FREIHEIT erschienen sind.

Zum ersten Mal werden nun in einer umfänglichen Studie des Politikwissenschaftlers Stefan Winckler Werdegang und politische Hintergründe des streitbaren Moderators des „ZDF Magazins“ wissenschaftlich umfassend beleuchtet, bis in kapillare Verästelungen hinein mit Dokumentenauszügen und Quellenhinweisen belegt und – heutzutage in diesem Land besonderer Erwähnung wert – ohne „zeitgeistige“ Scheuklappen in die publizistische und politische Entwicklung Nachkriegsdeutschlands eingeordnet.

Stefan Winckler, 1967 in Franken geboren, studierte Publizistik, Politikwissenschaft sowie Mittlere und Neuere Geschichte in Münster und Mainz, machte danach bald mit ersten Veröffentlichungen im Bereich der staatsbürgerlichen Bildungsarbeit, etwa über „Bewahrung und Gefährdung des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats“ und über politische Kommunikation auf sich aufmerksam. Wiederholt hat Winckler auch mit dem Bonner Politikprofessor Hans-Helmuth Knütter zusammengearbeitet, unter anderem bei der kritischen Untersuchung des Inlandsgeheimdienstes „Der Verfassungsschutz“, 2000 beim Universitas Verlag in München, erschienen, und beim „Handbuch des Linksextremismus. Die unterschätzte Gefahr“, das 2002 beim Grazer Stocker Verlag herauskam. Besondere Aufmerksamkeit fand Winckler 2005 mit einer Untersuchung über Entstehung, Position und Wandlungen einer „neuen konservativen Intelligenz“ mit dem Titel „Die demokratische Rechte“.

Mit Gerhard Löwenthal hat sich Winckler bereits in seiner Magisterarbeit „Ein kritischer Journalist aus Berlin: Gerhard Löwenthal“ befaßt, die er 1994 vorlegte. Nach Erschließung umfassenderer Archivbestände – unter anderem des „Archivs für christlich-demokratische Politik“ der Konrad-Adenauer-Stiftung, des Unternehmensarchivs des ZDF und des Deutschen Rundfunkarchivs erarbeitete er im Umfeld des Lehrstuhls „Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“ der Technischen Universität Chemnitz seine Dissertation über Löwenthal, mit der er 2010 bei Frank-Lothar Kroll promovierte.

Als Eröffnungsband einer von Kroll initiierten neuen Reihe „Biographische Studien zum 20. Jahrhundert“ ist die überarbeitete Studie jetzt erschienen – und eine wissenschaftliche Leerstelle über eine Symbolfigur des Kampfes gegen gleich zwei Erscheinungsformen des Totalitarismus in Deutschland ist damit geschlossen.

Stefan Winckler: Gerhard Löwenthal. Ein Beitrag zur politischen Publizistik der Bundesrepublik Deutschland. Verlag Bebra Wissenschaft, gebunden, 406 Seiten, Abbildungen, 46 Euro

Fotos: Gerhard Löwenthal 1972 im ZDF-Studio: Feindobjekt für die Stasi mit 83 auf ihn angesetzten Spitzeln; Eingangsbild mit Stakkatomusik: Genossen in Angst

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen