© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

Der ewige Krieg ums Weib
Zehn Jahre Afghanistan-Krieg: Die Befreiung der Frau zählt zu den Rechtfertigungen des westlichen Feldzugs. Sitzen wir einem alten Mythos auf?
Martin van Creveld

Warum gibt die Bundesrepublik Deutschland Millionen von Euro in Afghanistan aus, warum sollen deutsche Soldaten dort, weit entfernt von der Heimat, kämpfen und sterben? Wer sich jemals diese Frage gestellt hat, sollte einen Blick in den Spiegel (36/2011) werfen. Dort findet sich die Antwort: Wie Joseph Fischer dem deutschen Botschafter in Kabul verriet, sei es für die deutsche Öffentlichkeit „ganz entscheidend“, die afghanischen Frauen vor ihren Taliban-Unterdrückern zu retten.

Auf den ersten Blick mutet diese Antwort recht befremdlich an. Schließlich bekriegen Männer sich vermutlich seit über 15.000 Jahren gegenseitig – lange vor der Erfindung von Feminismus und politischer Korrektheit. Seither zählt das Erbeuten von Frauen zu den wichtigsten Kriegsgründen. Frauen wurden seit jeher als Arbeitskräfte geschätzt. Während männliche Kriegsgefangene oft getötet wurden, wurden Frauen eher versklavt und zum Spinnen, Weben oder Kochen gezwungen. Auch als Gebärmaschinen standen sie hoch im Kurs. Die Pomo und Nisenan im heutigen Kalifornien etwa integrierten regelmäßig weibliche Kriegsgefangene in ihren eigenen Stamm, indem sie diese heirateten und Kinder mit ihnen zeugten. Auch das Alte Testament, insbesondere das Fünfte Buch Mose, berichtet von ähnlichen Gepflogenheiten.

Und nicht zu vergessen die sexuelle Befriedigung, die ihre Körper den Siegern verschafften. Latent spielt sie in den allermeisten Fällen eine Rolle; manchmal wird sie sogar ausdrücklich als Kriegsziel genannt, so etwa im Zweiten Gesang der „Ilias“, wo Nestor seinen Landsmännern rät: „Drum daß keiner zuvor wegdräng und strebe zur Heimkehr, eh er allhier mit einer der troischen Frauen geruhet.“ Bei den alten Wikingern war die gewaltsame Inbesitznahme feindlicher Frauen ein so weit verbreitetes Phänomen, daß sie einen eigenen Begriff dafür schufen: „herfang.“ Am häufigsten war es wohl so, daß Frauen zwar nicht ausdrücklich als Kriegsgrund erwähnt wurden, aber dennoch einen Bonus darstellten, den die Sieger genossen. Das gilt keineswegs nur für primitive Stammesgesellschaften. Man denke etwa an die Vergewaltigungsorgien, die 1527 auf den Fall Roms an die Truppen Karls V. oder 1635 auf die Eroberung Magdeburgs durch Tilly folgten.

Seit Odysseus’ Zeiten gibt sich die schöne Venus oft nur allzu bereitwillig dem Eroberer Mars im Liebesakt hin, auch im ehebrecherischen Liebesakt. Wie Simone de Beauvoir berichtet, waren die deutschen Soldaten, die 1940 Paris einnahmen, sofort von Französinnen umgeben, die sie gerne näher kennenlernen wollten. Aus männlicher Sicht hat dieses Phänomen wohl der Italiener Gabriele D’Annunzio am besten in seinem Erstlingsroman „Lust“ (1889) beschrieben: „Willst du kämpfen? Töten? Ströme Blutes sehen? Große Haufen Goldes? Herden weiblicher Gefangener? – Sklaven? Andre, andre Beute?“

Das 19. Jahrhundert läutete jedoch eine Veränderung ein. Krieg diente offiziell nicht mehr dem Ziel, Frauen gefangenzunehmen oder mit ihnen Geschlechtsverkehr zu haben. Vielmehr bestand sein Zweck nunmehr darin, die Frauen des Feindes von den männlichen Unterdrückern zu befreien, unter denen sie so lange gelitten hatten.

Daß dieser neue Trend von den USA ausging, war kein Zufall. Wie Alexis de Tocqueville anmerkt, genossen Frauen damals in den USA mehr Rechte und Gleichberechtigung als in irgendeinem anderen vergleichbaren Staat. Hinzu kam, daß die USA weniger Angriffe erlebt hatten als irgendein anderes Land in der Weltgeschichte. So konnten sie ihre Kriege nicht mit dem altbewährten Schlachtruf „La patrie en danger“ rechtfertigen, sondern mußten sich etwas anderes ausdenken, die Bevölkerung zu mobilisieren. Und was wäre besser geeignet, an die kriegerischen Instinkte zu appellieren, als die Notwendigkeit, hilflose, möglichst junge, schöne und unschuldige Frauen zu beschützen?

Dieses neue amerikanische Konstrukt kam erstmals im Krieg gegen Mexiko von 1846/48 zur Anwendung. Dieser wurde anscheinend unter anderem deshalb geführt, um katholische Frauen auf dem Gebiet des heutigen Südwestens der USA aus der Tyrannei ihrer Priester zu befreien, damit sie Protestanten angelsächsischer Abstammung heiraten konnten. Seither ist die Rettung der feindlichen Frauen vor Ausbeutung, Mißhandlung, Schändung und Vergewaltigung durch ihre eigenen Männer eine Konstante in beinahe allen Kriegen, an denen die USA beteiligt waren. Im Vorlauf des amerikanischen Bürgerkriegs war dieses Motiv von so großer Bedeutung, daß amerikanische Künstler dem Thema „Sklaverei“ oft halbpornographische Gemälde oder Statuen widmeten, die in Ketten gelegte schwarze Frauen darstellten. Das Schicksal der Männer interessierte selbstverständlich niemanden.

Dreißig Jahre später machte sich der amerikanische Expansionsdrang erneut bemerkbar. Hawaii und Alaska hatten sich die USA zwischenzeitlich bereits einverleibt. Als nächstes Opfer hatten sie sich Spanien ausersehen, insbesondere die alten spanischen Besitzungen Kuba, Puerto Rico und die Philippinen. Es gab sogar den Versuch, die Invasion Kubas mit der Behauptung zu rechtfertigen, die Insel sei aus dem Schlamm des Mississippi entstanden.

Als deutlich wurde, daß dies nicht ausreichte, um die Kampfeslust der Amerikaner anzustacheln, wandten die Meinungsmacher, allen voran die Pressebarone William Hearst und Joseph Pulitzer, ihre Aufmerksamkeit den kubanischen Frauen zu. Diese, so behaupteten sie, würden von den spanischen Kolonialherren in ihrem vergeblichen Bestreben, einen Aufstand zu unterdrücken, oft nackt ausgezogen und ausgepeitscht. Die berühmteste unter diesen Frauen war eine junge Schönheit Evangelina Cisneros, die Nichte des Mannes, der als Anführer der Aufständischen galt. Zur Bestrafung für ihre Rolle bei der Rebellion wurde sie von den Spaniern eingekerkert. Ihre Anschuldigungen gegen den Gefängniswärter, der versucht habe, sie zu vergewaltigen, waren ein gefundenes Fressen für die US-Presse. Hearst schickte einen seiner Journalisten, der sie aus dem Gefängnis befreite. Seine kühne Eskapade sorgte für Schlagzeilen und steigerte den Umsatz enorm. Evangelina selber wurde in New York und Washington als Heldin begrüßt und von Präsident William McKinley höchstpersönlich empfangen.

Es dauerte nicht lange, bis McKinley sein Land in den Krieg führte. Um zu verhindern, daß ihre guten Absichten mißverstanden würden, bemühten sich die USA nach Kräften, in den Gebieten, die sie unter ihre Kontrolle gebracht hatten, für „Anstand“ zu sorgen. Ihre Vertreter vor Ort bestanden darauf, daß Frauen nicht mehr „oben ohne“ herumliefen, führten Scheidungsregelungen ein, schafften „unmoralische“ Bräuche wie Konkubinentum und wilde Ehen ab und versuchten, weiße Frauen aus gutem Haus davon abzuhalten, den Reizen von Männern niederer Rasse und Herkunft zu verfallen. Unterstützt wurden sie dabei von amerikanischen Feministinnen – Vorläuferinnen der heutigen Nichtregierungsorganisationen –, die gegen das Übel der Prostitution kämpften und die betroffenen Frauen wieder auf den rechten Weg führen wollten.

Ein berühmtes amerikanisches Plakat aus dem Ersten Weltkrieg zeigte Belgien als halbnacktes Mädchen in den Krallen eines godzillaartigen Ungeheuers mit Pickelhaube, das als „Kultur“ apostrophiert wurde. Im Zweiten Weltkrieg hingegen scheint das Motiv der wehrlosen Frauen, die vor dem Feind gerettet werden mußten, in der US-Propaganda kaum eine Rolle gespielt zu haben.

Das mag zum einen daran gelegen haben, daß sämtliche Deutsche, Frauen wie Männer, als von Grund auf böse galten. Andererseits wäre es kaum im amerikanischen Interesse gewesen, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf dieses Thema zu lenken, vergalten doch die sowjetischen Verbündeten den blutigen Eroberungsfeldzug der Wehrmacht mit massenhafter Vergewaltigung deutscher Frauen nach der Kriegswende. Vor vielen Jahren ist dem Verfasser ein Dokument unter die Augen gekommen, demzufolge US-Soldaten 1944 innerhalb von sechs Monaten in Frankreich mehr Frauen vergewaltigten als die Wehrmacht in vier Jahren.

Nachdem mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion die einzige ernsthafte Bedrohung verschwunden war, mit der sich die USA seit über einem Jahrhundert konfrontiert gesehen hatten, erlebte das Motiv der holden Jungfer in Bedrängnis einen Wiederaufschwung. Es spielte eine wichtige Rolle bei den US-amerikanischen Interventionen der neunziger Jahre im Irak, Jugoslawien, Somalia und im Kosovo.

Die angebliche Mißhandlung afghanischer Frauen durch die Taliban war den Amerikanern besonders willkommen, lieferte sie ihnen doch einen weiteren Vorwand für die Invasion des Landes. 2004 fand die „Achtung der Frauen“ sogar Eingang in die offizielle amerikanische Sicherheitsdoktrin, die von Condoleezza Rice erarbeitet und von George W. Bush abgesegnet wurde.

Wie in vielen anderen Dingen folgten auch in dieser Hinsicht andere Länder dem Vorbild Amerikas. Vor 1945 kam es häufig vor, daß die mächtigsten Staaten der Welt einander mit allen Mitteln bekriegten. Seitdem hat jedoch kein einziges entwickeltes Land sich in einen Krieg verwickeln lassen, der seine Existenz bedrohte. Statt dessen haben sich die Industrienationen darauf spezialisiert, einen Luxuskrieg in einem gottverlassenen Dritte-Welt-Land nach dem anderen zu führen.

In jedem einzelnen Land, das die Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Verbündeten für eine Intervention auserkoren, haben sie alles getan, um Zwangsehen für Frauen zu verbieten. Sie haben sich nach Kräften bemüht, Bestrafungen von Frauen für sexuelle Fehltritte zu unterbinden, die Praxis der weiblichen Beschneidung zu beenden, Schulen für Frauen einzurichten und so weiter. In Somalia und Afghanistan hat sich aber gezeigt, daß die Ergebnisse bestenfalls mittelprächtig sind. Teilweise wurde sogar das genaue Gegenteil dessen erreicht, was man eigentlich anstrebte.

Niccòlo Machiavelli brachte es auf den Punkt: Eine Besatzungsmacht sollte vermeiden, die Frauen der Besiegten anzutasten. Männer geben eher Götter und Gold preis, als daß sie Eingriffe in jene Teile ihrer Kultur zulassen, die die Beziehungen zwischen den Geschlechtern regeln. Und auch die Frauen selbst können sich nicht dem Einfluß der Kultur entziehen, in der sie aufgewachsen sind. So ist die Wahrscheinlichkeit hoch, daß sie eher mit den eigenen Männern kooperieren als mit den Ausländern, die ihr Land erobert haben, um ihnen zu „helfen“ und dafür im Gegenzug auf eine Belohnung hoffen.

Welche Lehre die Joseph Fischers dieser Welt aus dem Afghanistan-Abenteuer ziehen sollten, liegt auf der Hand. Niemand wird bezweifeln, daß dort, wo Frauen geachtet werden, die Götter wohnen, wie ein hinduistisches Sprichwort besagt. Was genau unter „Achtung“ zu verstehen ist, hängt jedoch von den jeweiligen kulturellen Werten ab, und westliche Feministinnen haben kein Monopol auf eine richtige Auslegung. In jedem Fall läßt sie sich nicht von Außenstehenden erzwingen, erst recht nicht mit Bajonetten oder Bomben.

 

Prof. Dr. Martin van Creveld, 65, beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Frauen und Krieg. 2001 erschien dazu seine „politisch unkorrekte“ (NZZ) Studie gleichen Titels, zwei Jahre später sein provozierendes Standardwerk „Das bevorzugte Geschlecht“. 

Martin van Creveld: Historiker, Stratege, Provokateur

Internationale Bekanntheit erlangte der israelische Militärhistoriker an der Hebräischen Universität Jerusalem 1991 mit seinem Buch „The Transformation of War“ („Die Zukunft des Krieges“), in dem er die Zukunft des asymmetrischen Krieges vorhersagte. Van Creveld beriet die Streitkräfte verschiedener Nationen, darunter auch das US-Verteidigungsministerium.

Martin van Creveld: Frauen und Krieg. Gerling Akademie Verlag, Berlin 2001, gebunden, 324 Seiten, 29,65 Euro

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