© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

Wowereit und der Tanzbär
Berlin: Nach dem vorzeitigen Aus für Rot-Grün kann die CDU ihr Glück kaum fassen
Ronald Berthold

Die grüne Seele sinnt auf Rache: „Wowereit hat falsch gespielt, aber das werden wir uns merken“, drohte Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck. Und Fraktionschefin Renate Künast wütete: „Kein Grüner wird das der SPD vergessen!“ Die grüne Spitzenkandidatin bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus ist von den Sozialdemokraten vorgeführt, ja sogar erniedrigt worden.

Statt stärkster Partei ist für Künast nur der dritte Platz herausgesprungen und statt Regierungsbeteiligung erneut nur Opposition. Amtsinhaber Klaus Wowereit ließ Rot-Grün platzen. Im wiedervereinigten Berlin haben es die Grünen nach einer Wahl noch nie auf die Regierungsbänke geschafft. Eine furchtbare Bilanz für eine angebliche Hochburg. Als Wowereits unverzichtbare Braut wähnte sich die Partei zu sicher. Alles schien für sie zu sprechen: Die SPD-Basis wünschte sich sehnlichst Rot-Grün, und das Signal, das von der Hauptstadt in den Bund ausstrahlen sollte, ließ eine andere Konstellation praktisch nicht zu, wollte man in zwei Jahren das Merkel-Kabinett ablösen.

Der Streit um den 3,2 Kilometer langen Ausbau der Berliner Stadtautobahn war für Wowereit nur der willkommene Anlaß, um die Hochzeit mit Renates Truppe platzen zu lassen. „Wenn wir dort nachgegeben hätten, wäre es beim von uns geforderten Klimaschutzgesetz zum Knall gekommen“, heißt es bei den Grünen. „Wowereit wollte uns das Genick brechen.“

Die Einschätzung der Grünen scheint nicht unbegründet. Der SPD-Politiker hat zum dritten Mal in Folge ein Bündnis mit den Grünen ausgeschlagen. Zweimal entschied er sich für die heute Linkspartei genannte PDS und diesmal wohl für die CDU. Warum? Zum einen nahm der eitle Wowereit den Grünen den angekündigten Sturm auf das Rote Rathaus persönlich übel. Zum zweiten ist dem Machtmenschen die rot-grüne Ein-Stimmen-Mehrheit zu knapp.

Der 58jährige spielt mit dem Gedanken, in zwei Jahren in die Bundespolitik zu wechseln. Dann soll SPD-Partei- und Fraktionschef Michael Müller ins Rote Rathaus nachrücken. Während der rot-roten Regierungszeit ging zwischen Müller und den Grünen aber viel Porzellan zu Bruch. Der 46jährige agiert ähnlich selbstherrlich wie sein Vorbild Wowereit und kanzelte die Grünen mehrfach ab.

Die SPD hat sich  unter Zugzwang gesetzt

Beide fürchten, daß der Stabwechsel mitten in der Legislaturperiode bei der knappen Mehrheit scheitern könnte. Die CDU bringt zehn Abgeordnete mehr mit und gilt dazu von Natur aus als zuverlässiger als die aus der Sponti-Bewegung stammenden Grünen. Sie ist auch nicht so widerborstig wie die Grünen. Das Regieren wird mit der Union einfacher sein, weil sie um der Macht willen gern den Tanzbär gibt.

Mit der Parole „Damit sich was ändert“ warben die Berliner CDU und ihr Spitzenkandidat Frank Henkel um Stimmen. Trotz negativen Bundestrends legten sie um zwei Prozentpunkte zu. Nun steht die Partei bei den Koalitionsverhandlungen in der Pflicht, ihr Wahlversprechen umzusetzen und die Landespolitik inhaltlich zu ändern. Daß dies in einem Bündnis mit der alten Regierungspartei nicht hundertprozentig möglich sein wird, dürfte klar sein und bei der eigenen Klientel verstanden werden.

Allerdings befindet sich die CDU in einer äußerst komfortablen Situation. Nach dem rot-grünen Aus ist sie die einzig verbliebene Option der SPD. Wollen die Sozialdemokraten nicht als nicht regierungsfähig dastehen, müssen sie sich mit der Union einigen. Entsprechend stark könnte die CDU auftreten und wirkliche Änderungen durchdrücken. Doch es steht zu erwarten, daß Henkel und seinen Parteifreunden hierzu gegenüber Wowereit die Durchsetzungsfähigkeit fehlt. Lediglich in der Frage der Inneren Sicherheit dürfte die SPD der Union Zugeständnisse machen, um ein brisantes Thema zu entschärfen.

Doch die CDU müßte mehr fordern und etwa das Verkehrsressort und die Umweltverwaltung für sich reklamieren. Dann könnten rote Ampelwellen, unsinnige Tempo-30-Zonen und die Umwidmung der Fahrbahnen in Radwege geändert werden. Und zum anderen könnte ein CDU-Umweltsenator das von SPD, Linken und Grünen gewünschte und von den meisten Berlinern immer noch unterschätzte Klimaschutzgesetz verhindern. Die globale Temperatur müßte dann nicht im Alleingang von Berliner Mietern und Hauseigentümern gesenkt werden. Mehrere zehntausend Euro teure Zwangs-Dämmungen, die viele Familien an den Rand des Ruins treiben werden, würden überflüssig.

Im Sinne ihrer Wähler sollte die CDU auch den Bildungssenator stellen. Das kontraproduktive, aber ideologisch gewollte jahrgangsübergreifende Lernen von Erst- bis Drittkläßlern und die von Rot-Rot durchgesetzte Einheitsschule könnten so zurückgedreht werden. Doch die Erfahrung lehrt, daß die Union nicht die Änderungspartei ist. Sie steht im schlechtesten Sinne für Kontinuität. Optimisten hoffen, Henkel und Freunde könnten ihre Wähler endlich eines Besseren belehren.

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