© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

„Kulturgeschichte der Gewalt“
Bundeswehr: Mit dem umgebauten Militärhistorischen Museum in Dresden geht die deutsche Armee einen ganz eigenen Weg
Paul Leonhard

Mit dreijähriger Verspätung eröffnet Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) an diesem Freitag das umgestaltete Militärhistorische Museum der Bundeswehr (Kommentar Seite 2). Schon vor seiner Eröffnung sorgte das Konzept und die Architektur des Museums, das auf rund 13.000 Quadratmetern Fläche mehr als 9.000 Exponate präsentiert, für kontroverse Diskussionen.

Zwischen 1874 und 1877 wurde der jetzige Museumsbau im spätklassizistischen Stil als Arsenal der sächsischen Armee errichtet. Aus dem Waffenlager wurde bald ein Museum. Die königlich-sächsische Armee und die ihr folgenden stellten hier ihre Schmuckstücke zur Schau: Gewehre, Uniformen, Kanonen, aber auch Plastiken, Zeichnungen und Grafiken. Zu DDR-Zeiten zog – da mochte die Ausstellung noch so ideologiebeladen sein – vor allem die umfangreiche Sammlung deutscher Militärtechnik interessierte Besucher an.

Nach 1990 wurde die Offizierschule des Heeres nach Dresden verlegt, und das Armeemuseum wurde von der Bundeswehr übernommen. 2001 fiel der Entschluß, den Komplex zum militärhistorischen Leitmuseum umzubauen. Künftig sollte es sich nicht mehr allein um das Militärtechnische drehen, sondern eine Welt des Militärs dargestellt werden, in der der Mensch und die von ihm ausgehende Gewalt im Mittelpunkt stehen.

Den europaweit ausgeschriebenen Architekturwettbewerb gewann der amerikanische Architekt Daniel Libeskind. Dessen Entwurf, ein den denkmalgeschützten Altbau zerschneidender Keil aus Beton und Metall, weist so schon äußerlich auf ein Anliegen des Museums hin: das Nachdenken über organisierte Gewalt. Allerdings wird die aus Sicht der Bundeswehrführung „aufregende und kühne Konstruktion“ nicht nur von der Mehrheit der Dresdner, sondern auch von vielen Denkmalpflegern und Architekten als „schändlich“ abgelehnt. Schließlich mußte dafür denkmalgeschützte Altbausubstanz abgerissen werden, ein im kriegsversehrten Dresden nach 1990 einmaliger Vorgang. Bitter stieß den Dresdnern auch auf, daß der Keil quasi den anglo-amerikanischen Bombern ein Denkmal setzen sollte, die die Stadt 1945 zerstörten.

Auch den mit der Umsetzung beauftragten Baufirmen hat der Libeskind-Entwurf Kopfschmerzen bereitet. Es gab Probleme bei der Schalung der teilweise schrägen und in verschiedene Richtungen geneigten Sichtbetonwände, aber auch bei der Verdichtung. Dies sowie angestiegene Materialpreise sorgten für eine Kostenexplosion. 62,5 Millionen Euro kostet den Steuerzahler der Umbau eines intakten Museumsgebäudes. Dafür sollte in Architektur, Gestaltung, Konzeption und Größe etwas völlig Neues entstehen: „Multiperspektivisch, kritisch modern und auf der Höhe der Forschung, so möchten wir Militärgeschichte begreifen und erzählen“, heißt es auf der Internetseite des Museums: „Wir verstehen unser Museum nicht primär als technikgeschichtliches, sondern als modernes kulturhistorisches Museum.“ Kriegsgeschichtliches Museum wäre eigentlich der richtige Begriff. Daß die Schau sich der aktuellen politischen Korrektheit unterordnet, dafür garantieren unter anderem der Museumsgestalter Hans-Günter Merz sowie Museumsdirektor Oberst Matthias Rogg, ein promovierter Historiker. Sie wollen eine „Kulturgeschichte der Gewalt“ sichtbar machen, „deren Wesen und Ursache alle Ausstellungsbereiche, aber auch die bauliche Konzeption durchdringt.“ So ließ Gorch Pieken, wissenschaftlicher Leiter des Museums, aus dem Konzentrationslager Majdanek 30 Paar Schuhe und aus Griechenland eine Galgenschlinge holen, mit der deutsche Soldaten 15 Menschen im Zweiten Weltkrieg töteten.

Speziell im Libeskind-Keil wird das Militär als Faktor wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens dargestellt. Den Besucher erwartet hier, beginnend im Obergeschoß, ein „Erlebnisparcours“. Anhand aufwendig inszenierter Exponate und Installationen wie von der Decke hängende Geschosse wird er mit epocheübergreifenden Themen wie „Politik und Gewalt“, „Leiden am Krieg“, „Tiere und Militär“ oder „Krieg im Kinderzimmer“ konfrontiert. In einem abgeschotteten Raum werden beispielsweise „Humanexponate“ wie der Schädel eines Soldaten gezeigt, der Selbstmord beging

Eher traditionell, aber um so ansprechender und greifbarer kommt die Ausstellung im historischen Teil des Gebäudes daher. Hier sind 700 Jahre deutscher Militärgeschichte vom Spätmittelalter bis zum Afghanistaneinsatz der Bundeswehr dargestellt. Dabei konnten die Ausstellungsmacher aus den übervollen Arsenalen schöpfen. Das Museum besitzt 7.500 Hand- und Faustfeuerwaffen, 4.400 Hieb-, Stich- und Stangenwaffen, rund 70.000 Uniformteile, über 1.100 Gemälde und rund 150.000 Schriften. Dazu kommen Raketen, Panzer und sogar ein Kriegselefant. Im Museum sind mit dem „Brandtaucher“ ein U-Boot von 1850 sowie der Landeapparat des Raumschiffes „Sojus 29“ von 1979 mit dem Raumanzug des ersten deutschen Kosmonauten, Sigmund Jähn weitere spektakuläre Objekte zu sehen.

Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, Olbrichtplatz 2, 01099 Dresden. Öffnungszeiten: Montag 10 bis 21 Uhr, Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, mittwochs geschlossen. www.mhmbundeswehr.de

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