© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

Kriegserklärung an Obama
USA: Die „Occupy Wall Street“-Bewegung sieht sich als Sprachrohr der Masse, doch nicht alle folgen
Ralph Schoellhammer

Wir sind die 99 Prozent“ steht auf unzähligen Plakaten in New York, Los Angeles und angeblich weiteren 188 Städten in den USA. Getragen werden die Plakate von den Mitgliedern der „Occupy Wall Street“-Bewegung, welche sprichwörtlich versuchen, die Wall Street zu „besetzen“. Sie verstehen sich als das Sprachrohr jener 99 Prozent der US-Bevölkerung, welche nicht Teil des Finanzapparates sind und zu den großen Verlierern der Wirtschaftskrise zählen. Obwohl die Kluft zwischen Arm und Reich in den USA immer größer wird, ist zweifelhaft, ob sich die 99 Prozent tatsächlich von den Demonstranten vertreten fühlen.

Präsident Obama wird von seinem Milieu eingeholt

Nicht zufällig haben die Organisatoren Städte an der Ost- und Westküste ausgewählt, während die revolutionäre Energie nur langsam ins Landesinnere vordringt. Besonders Los Angeles und New York stehen für das liberale, sich nach links orientierende Amerika, welches politisch von jenen dominiert wird, die auch einen Großteil der Demonstranten ausmachen: Studenten, Gewerkschaften, Lehrerverbände und Bürgerrechtsorganisationen. Weitab von den glitzernden Metropolen und den Universitätscampus ist das andere Amerika, in welchem die konservative Tea-Party-Bewegung den Diskurs dominiert.

Während die Meinungsseiten der New York Times die Wall-Street-Besatzer als Vertreter eines amerikanischen Frühlings bezeichnen und damit direkte Parallelen zu den Umbrüchen in der arabischen Welt ziehen, sehen die Vertreter der Tea Party etwas anderes: Für sie findet in New York nicht die amerikanische Version des arabischen Frühlings statt, sondern der Beginn eines griechischen Herbstes, eine Anspielung auf die Ausschreitungen in Griechenland im Zuge der Euro-Krise.

Sollten die Ereignisse von New York tatsächlich der Beginn einer neuen politischen Bewegung sein, so würde Präsident Obama von seinem ursprünglichen Milieu eingeholt: Die Demonstrationen zeigen auch die Unzufriedenheit der amerikanischen Linken mit der Regierung. Während sich demokratische Abgeordnete wie Dennis Kucinich bereits auf die Seite der Besatzer geschlagen haben, gibt es diese populistische Option für Obama nicht.

Nur verhalten äußerte der Präsident am vergangenen Mittwoch sein „Verständnis“ für die „Frustration der jungen Leute.“ Der Präsident muß den Spagat schaffen, einerseits seine finanziellen Unterstützer in den Chefetagen der Finanzkonzerne nicht zu verlieren, und andererseits auch die mächtigen Gewerkschaften, welche sich zusehends für die Ziele der Demonstranten aussprechen, auf seiner Seite zu halten.

Nicht nur die wachsenden sozialen Unterschiede spalten die amerikanische Gesellschaft, sondern auch ein zunehmender Kulturkampf, wie ihn die USA seit den 1960er Jahren nicht mehr erlebt haben. Dies wurde klar, als die „Occupy Wall Street“-Organisatoren ihre Forderungen veröffentlichten: freier Bildungszugang, allgemeiner Schuldenerlaß, staatliche Investitionen für Infrastrukturprojekte und Umweltschutz in Höhe von zwei Billionen Dollar und eine Öffnung der Grenzen.

Für das konservative Amerika ist dies eine sprichwörtliche Kriegserklärung, in ihren Augen stehen die Forderungen der politisch Linken vor allem für eines: mehr Staat. So wie die Verfasser des Forderungskataloges den Staat als Retter aus der Krise betrachten, lehnt die Tea Party jegliche weitere Ausweitung des Staates in das Wirtschaftsleben ab. In ihren Augen ruiniert der Sozialstaat jeglichen Unternehmergeist und ist damit der ultimative Gegenpol zum amerikanischen Traum.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen