© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

Antiklerikale Regungen
Parlamentswahl in Polen: Mit zehn Prozent überrascht Polit-Provokateur Palikot / Deutsche Minderheit behält Sitz im Sejm
Volkmar Reuss

Allen Unkenrufen zum Trotz ist der polnische Ministerpräsident Donald Tusk in seinem Kurs bestätigt worden. Mit 39,2 Prozent der Stimmen konnte seine wirtschaftsliberale PO an den Sieg bei den Parlamentswahlen 2007 anknüpfen. Trotz der überaus geringen Wahlbeteiligung von 47 Prozent (2007: 53,9 Prozent), die ein deutliches Desinteresse an der Wahl offenbarte, ist dies ein Erfolg. Denn bis dato hatte es lediglich ein Szenario gegeben – einmal gewinnen und dann von der politischen Bühne verschwinden.

Dank des unerwarteten Erfolgs seines Koalitionspartners, der bäuerlich-konservativen Polnischen Volkspartei (PSL), die laut Umfragen an der 5-Prozent-Hürde zu scheitern drohte, mit 8,4 Prozen aber einen Achtungserfolg erzielen konnte, verfügt die PO-PSL-Koalition mit 234 Sitzen über eine Mehrheit von acht Sitzen und kann die Arbeit fortsetzen. Dies bedeutet, daß eine Koalition mit der antiklerikalen, linksliberalen Bewegung des Ex-PO-Rebellen Janusz Palikot nicht nötig ist. Der hatte vor der Wahl laut verkündet, daß sich die Kirche den Staat „gestohlen“ hätte, und sich so Publizität verschafft. Die Provokation des erfolgreichen Schnapsproduzenten fruchtete. Mit zehn Prozent gelang der RPP die größte Überraschung. Entsprechend hob Palikot noch am Wahlabend seine Bereitschaft zu Koalitionsverhandlungen hervor. Doch das Interesse in der PO ist gering. Eine „Zusammenarbeit mit jemandem, der in Polen Drogen legalisieren will“, komme nicht in Frage, konterte Tusk.

Vor allem sind die neuen RPP-Abgeordneten die große Unbekannte im Sejm. Denn außer Palikot verfügen lediglich zwei von 40 Abgeordneten über politische Erfahrung. Einer ist Schwulenhauptaktivist, ein anderer ehemaliger katholischer Priester, der die aggressive, antiklerikale Zeitschrift Fakten und Mythen gegründet hat. Beide haben ihre Karriere bei den Postkommunisten (SLD) begonnen, die aufgrund innerparteilicher Querelen und ohne klares Programm ihr schlechtestes Ergebnis nach der Wende erzielt haben – 8,2 Prozent.

Knapp zwei Prozent verloren hat auch Jarosław Kaczyńskis sozialkonservative PiS, sie konnte zwar ihre Stammwählerschafft im Osten Polens halten, doch auch das Ziehen der antideutschen Karte zum Schluß des Wahlkampfes – Kaczyński rückte Merkel in Stasi-Nähe und schoß gegen die deutsche Minderheit – hatten keinen Erfolg (29,9 Prozent).

Dagegen konnte die deutsche Minderheit selbst, die nicht der Fünf-Prozent-Hürde unterliegt, ihren Stimmenanteil (28.014) halten und ist weiterhin mit dem Abgeordneten Ryszard Galla im polnischen Parlament vertreten.

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