© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

Zerstobene Hoffnung auf Entspannung
Ägypten: Seit dem Sturz Mubaraks sehen sich die Kopten zunehmenden Repressalien ausgesetzt / Gewalteskalation vor den Wahlen
Günther Deschner

Acht Monate nach dem Sturz von Präsident Husni Mubarak ist es in Ägypten erneut zu schweren religiösen Unruhen gekommen. Aus einer zunächst friedlichen Demonstration koptischer Christen gegen einen Brandanschlag radikaler Muslime auf eine Kirche entwickelten sich Szenen wie im Bürgerkrieg: Vor dem Gebäude des Staatsfernsehens eskalierte die Gewalt! Die Demonstranten gerieten mit Bewohnern der umliegenden Wohnviertel und dem Militär aneinander. Die Armee schoß scharf, ließ gepanzerte Fahrzeuge mitten in die Menge fahren. Mindestens 24 Menschen kamen nach offiziellen Angaben bei der Straßenschlacht ums Leben, mehr als 200 weitere sollen verletzt worden sein. Die Ausschreitungen in Kairo waren die schwersten im Land seit Mubaraks Sturz. Regierungschef Essam Scharaf sprach sogar davon, das Land sei „in Gefahr“.

Auflagen für Kirchen, die für Moscheen nicht gelten

Zu einem Zeitpunkt, da über die Modalitäten der ägyptischen Parlamentswahl vom 28. November beraten wird, richtet sich der Blick der Welt zugleich darauf, wie groß die inneren Spannungen in der ägyptischen Gesellschaft sind und wie prekär auch die Situation der großen christlichen Gemeinschaft des Landes ist.

Dabei war das moderne Ägypten lange Zeit stolz darauf, daß die muslimische Mehrheit und die koptisch-christliche Minderheit, die mit ihren acht Millionen Menschen etwa zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung ausmacht, nicht klaglos, aber doch deutlich besser als in anderen muslimischen Ländern miteinander auskamen. Doch dieser staatstragende Konsens zwischen beiden Religionsgemeinschaften ist schon seit Jahren brüchig. Unbestreitbar begünstigt wird er durch die ägyptische Gesetzgebung, die Muslime gegenüber den Kopten deutlich bevorzugt. Paragraph 2 der ägyptischen Verfassung stellt klar, daß der Islam Staatsreligion und die Scharia Grundlage der Rechtsprechung ist; das Gesetz über die Errichtung religiöser Bauten sieht für den Bau einer Kirche Auflagen vor, die für Moscheen nicht gelten. Auch die Medien vertiefen seit Jahren eher die Kluft zwischen den Glaubensgemeinschaften, als sie zu überbrücken.

Daß die Spannungen zwischen Muslimen und Christen zunahmen, hatte sich bereits im Jahr 2010, dem letzten vollen Jahr der Herrschaft Mubaraks, am Umgang der Sicherheitskräfte mit dem Delikt „Interreligiöse Gewalt“ gezeigt: Auf behördlichen Druck hin endeten die meisten derartigen Konflikte mit einer außergerichtlichen Versöhnung: Schon für 2010 wurden 52 Fälle gewaltsamer „interreligiöser Auseinandersetzungen“ ausgewiesen, die sämtlich auf diese Weise beigelegt wurden, bei denen sich die Täter also bis heute nicht vor Gericht verantworten mußten. Diese und andere Tatbestände sind eine der Ursachen dafür, daß sich über die Jahre die Ressentiments zwischen den Glaubensgemeinschaften aufgestaut hatten.

Nach dem Abgang Mubaraks hatten die Christen darauf gehofft, die Revolution werde das Klima entspannen und Ägypten auch für sie nachhaltig zum Positiven verändern. Doch stattdessen nahmen die Zwischenfälle zu: Im April wurde einem Kopten im oberägyptischen Kena von einer Straßenbande aus einem muslimischen Viertel das rechte Ohr abgeschnitten, im Mai steckte eine Gruppe Salafisten im Kairoer Stadtteil Imbaba eine Kirche in Brand – aufgehetzt von einem Einpeitscher, der auf seine Mannesehre schwor, in Klöstern und Kirchen nach der muslimischen „Schwester“ zu fahnden, von der er behauptete, daß man sie zur Konversion gezwungen habe und nun in einem christlichen Gotteshaus versteckt halte.

Die jüngsten blutigen Zusammenstöße in Kairo – wieder entzündet an einer Kirchenbrandstiftung, diesmal im oberägyptischen Assuan – haben die Hoffnung auf Entspannung der Lage Lügen gestraft. Daß die Sicherheitslage in Zeiten von Systemwechseln ohnehin zu wünschen übrigläßt, hat das Massaker noch zusätzlich begünstigt: Nicht nur Kopten und Muslime gerieten aneinander, auch auf seiten der Armee gab es Tote und Verletzte.

Immer mehr Christen sehen die Vorgänge als Menetekel an der Wand. Tausende Kopten haben seit dem Umsturz ihre Heimat in Richtung Amerika und Europa verlassen – und mehr wurden umgebracht als in jedem anderen Jahr. Zwar ist Ägypten nicht der Irak, doch haben die Außenminister der EU durchaus recht, wenn sie die Ereignisse am Nil in einen größeren Zusammenhang stellen: Die Lage der Christen hat sich im gesamten Nahen Osten in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten dramatisch verschlechtert.

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