© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

Europa braucht keinen Euro
Finanzkrise: Die von der Bundesregierung geplante Finanzdiktatur ist nicht alternativlos / Wechselkursunion und Parallel-Euro denkbar
Bruno Bandulet

Die Tatsache, daß der Euro, der früher einmal Europa retten sollte, jetzt selbst gerettet werden muß, bedeutet noch nicht, daß er bald verschwinden wird. Politiker sind es nicht gewohnt, gescheiterte Experimente abzubrechen. Wenn der Euro nicht zur EU paßt, muß die EU eben so lange geändert werden, bis sie zum Euro paßt. Ein ungedecktes, beliebig vermehrbares, synthetisches Geld – das ist der Euro – kann man sehr lange auf der Intensivstation am Leben erhalten. Notfalls kann die Europäische Zentralbank (EZB) „mehrere Billionen Euro“ an Staatsanleihen aufkaufen, was der britische Economist kürzlich vorgeschlagen hat. Dann braucht Griechenland nicht zur Drachme zurückzukehren, dann wird der Euro selber eine.

Es gibt mehrere Alternativen zum bisherigen Euro-Kurs

Auch die Bundesregierung will nicht die Währung an die Realität anzupassen, sondern die Realität an die Währung. Ihre Pläne laufen auf eine Art von Euro-Finanzdiktatur hinaus: Strenge Schuldenregeln, deren Verletzung bestraft wird; zentrale Überwachung der Finanz- und Wirtschaftspolitik der Euro-Staaten; Souveränitätsverzicht der beteiligten Nationen; Zwangsverwaltung, wenn sich Länder wie Griechenland nicht an die Vorschriften halten; Harmonisierung (Gleichschaltung) der Steuer- und Sozialsysteme. Kurzum: Zentralisierung und Wirtschaftslenkung statt nationaler Souveränität und Wettbewerb. Am Ende hätten die Nationen im Euro-Land weniger Rechte als die Schweizer Kantone.

Ob sich das alles durchsetzen läßt, ist zu bezweifeln. Zudem wird völlig übersehen, daß auch Frankreich Zahlmeister sein soll – und zwar mit 20,4 Prozent der Bürgschaften und Bareinzahlungen in den permanenten Rettungsfonds ESM. Ein brennendes Haus ohne Ausgang – so könnte man die Euro-Zone umschreiben – muß man irgendwie verlassen. Es gibt folgende Alternativen:

1. Da ist zunächst der Vorschlag von Hans-Olaf Henkel, dem früheren Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Er favorisiert die Teilung der Währungsunion in einen Nord- und einen Süd-Euro. Ich bin skeptisch, weil das sofort die Frage aufwirft, zu welchem Euro Frankreich gehören soll. Damit wäre ein großer Krach zwischen Berlin und Paris programmiert, doch ein gutes deutsch-französisches Verhältnis muß weiterhin einen hohen Stellenwert genießen.

2. Eine elegante Lösung des Problems bestünde im Austritt Deutschlands aus der Euro-Zone. Dann würde die neue D-Mark aufwerten, die Binnenkonjunktur würde zu Lasten der deutschen Exportwirtschaft gestärkt, die Bundesbank würde Euros kaufen, dadurch den Euro stützen und eine übermäßige Aufwertung der D-Mark bremsen – und die Deutschen hätten die Möglichkeit, nach chinesischem Vorbild einen Staatsfonds aufzubauen, in den die Exportüberschüsse und die Erlöse aus den Devisenmarktinterventionen fließen. Frankreich und die anderen Euro-Länder müßten nichts tun. Sie bekämen die Abwertung, die sie brauchen, automatisch.

Würde Paris das akzeptieren? Das ist nicht völlig auszuschließen. Immerhin kam in der ersten Hälfte der neunziger Jahre, als das damalige Europäische Währungssystem (EWS) unter Druck stand, aus Paris die Idee, daß Deutschland im Alleingang vorübergehend austreten könnte. Damit hätte die Aufwertung der D-Mark den anderen die Abwertung erspart. Die Idee wurde schnell wieder fallengelassen. Allerdings ist die Chance, daß sich Berlin dazu entschließt, derzeit gleich Null. Europäismus ist nirgendwo so sehr Bestandteil der Staatsideologie wie in Deutschland.

3. Für realistischer halte ich das Szenario, daß in den kommenden Jahren einzelne kleinere Euro-Länder ausscheiden, weil sie die Kosten der Euro-Rettung nicht mehr tragen und den eskalierenden Souveränitätsverlust nicht mehr akzeptieren wollen. Potentielle Austrittskandidaten sind die Slowakei, Finnland, Portugal und sicherlich auch Griechenland. Wobei das Thema Griechenland überschätzt wird. Es stimmt, der Euro hat aus dem Land einen gescheiterten Staat gemacht. Aber an der Diagnose, daß der Euro eine Fehlkonstruktion darstellt, würde sich auch nach einem Austritt Griechenlands nichts ändern.

4. Wilhelm Hankel sieht den Haupt-fehler des Euro-Experimentes darin, daß er nicht als Wechselkursunion, sondern als Währungsunion konstruiert wurde, daß er die nationalen Währungen nicht auf feste Wechselkurse festgelegt, sondern sie abgeschafft hat. Sein Vorschlag: ein neues, verbessertes EWS, in dem die Wechselkurse nicht nominal, sondern real (inflationsbereinigt) fixiert werden. Der Vorteil liegt in der Flexibilität. So könnte jedes EWS-Mitglied selbst entscheiden, ob es etwas mehr oder weniger inflationiert, etwas mehr oder weniger Schulden macht – ohne daß sich gefährliche Spannungen und Ungleichgewichte wie unter dem Euro entwickeln können. Der Euro müßte deswegen nicht abgeschafft werden. Er könnte als Recheneinheit für die EU-Behörden und für die nationalen Notenbanken beibehalten werden. Ein solches System könnte funktionieren.

5. Mein Vorschlag, gedacht als Alternative zum einseitigen Austritt Deutschlands ist eine geordnete, gründlich ausgehandelte und vorbereitete Rückkehr zu den nationalen Währungen kombiniert mit einem harten Euro. Damit ist gemeint, daß der harte Euro nie abgewertet werden darf. Abgewertet werden können nur die nationalen Währungen. Wenn die EZB oder ein Europäischer Währungsfonds den harten Euro in Umlauf bringt, indem er nationale Währungen ankauft, wird die Geldmenge in diesem EWS insgesamt nicht aufgebläht – es ändert sich nur ihre Zusammensetzung. Ein solcher Euro wäre eine ernsthafte Alternative und Konkurrenz zum US-Dollar – und so etwas haben sich die Europäer ja immer gewünscht. Ein solches Konzept wurde schon in der ersten Hälfte der neunziger Jahre vom englischen Premier John Major vorgeschlagen. Auch die Deutsche Bundesbank, die unter Karl-Otto Pöhl den in Maastricht beschlossenen Euro ablehnte, konnte sich damit anfreunden. Es spricht nichts dagegen, den Euro in der bisherigen Euro-Zone oder auch in der EU der 27 oder sogar im Rest Europas als Zahlungsmittel kursieren zu lassen – sofern die Öffentlichkeit ihn akzeptiert. Die Skandinavier, die Osteuropäer und sogar die Briten hätten kein echtes Problem damit, sich an einem solchen Währungssystem zu beteiligen. Die Spaltung Europas in Euro- und Nicht-Euro-Länder würde beendet.

Eine Währungsunion aufzulösen ist ungleich schwieriger, als sie zu beginnen. Dennoch hinkt der Vergleich mit dem Omelett, das man nicht in das Ei zurückverwandeln kann. Man kann sehr wohl ein ungenießbares Omelett wegwerfen und ein neues Menü zubereiten. Kompliziert ist die Situation wegen der heillosen Verfilzung zwischen Staatsschulden, Bankbilanzen und der EZB, ja sogar wegen der Verfilzung innerhalb des Euro-Systems, wenn man bedenkt, daß bei der Deutschen Bundesbank Forderungen an andere nationale Euro-Notenbanken in der phantastischen Höhe von 400 Milliarden liegen.

Chance zur Gesundung des aufgeblähten Finanzsystems

Einen Austritt und die Insolvenz Griechenlands würden die deutschen und französischen Banken verkraften. Würde jedoch reiner Tisch gemacht (ein Ende mit Schrecken ist dem Schrecken ohne Ende vorzuziehen), dann stünde mehr als eine unterkapitalisierte europäische Großbank vor dem Bankrott. Dann müßten solche Institute aufgefangen und verstaatlicht werden, damit der Zahlungsverkehr aufrecht erhalten wird. Später wird man sie wieder privatisieren. Der Staat müßte die Kundeneinlagen garantieren, nicht aber die Verbindlichkeiten der Banken untereinander.

In dem unbestreitbaren Risiko versteckt sich zugleich die Chance, die Finanzblase aufzustechen und das System zu sanieren. Das globale nominale Volumen der Derivate beläuft sich auf 600.000 Milliarden Dollar, ein Vielfaches der jährlichen Leistung der Weltwirtschaft. Davon entfallen allein auf die Deutsche Bank 59.000 Milliarden. Brauchen wir das? Natürlich nicht. Das kann weitgehend auf Null gestellt werden. Jedenfalls bietet die Euro-Krise die historische Chance, nicht nur zu einer Währungsordnung zurückzukehren, die Europa vitalisiert und Wachstum anstelle von Stagnation und Depression bringt, sondern sie bietet auch die Chance, die Reform der Währung mit einer Gesundung des Finanzsystems zu verbinden und – nicht zuletzt – den Zentralisierungswahn zu beenden und ein Europa der Vaterländer zu bauen, auf das wir wieder stolz sein können.

 

Dr. Bruno Bandulet ist Herausgeber des Finanzdienstes „Gold & Money Intelligence“. Der Artikel basiert auf einem Vortrag anläßlich des deutsch-französischen Euro-Forums am 7. Oktober im Institut d’Études Politiques de Lyon. www.bandulet.de

 

Lyoner Forum zur Währungsordnung

Am 7. Oktober trafen sich in Lyon erstmals deutsche und französische Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler, um auf einer Konferenz über Alternativen zur Europäischen Währungsunion (EWU) zu diskutieren. Organisiert wurde das Diskussionsforum im Institut d’Études Politiques de Lyon von dem früheren Kabinettsmitglied Roland Hureaux und dem Unternehmer Michel Robatel. Von französischer Seite waren die Professoren Gabriel Colletis (Toulouse), Jean-Pierre Vespérini (Rouen), Jean-Jacques Rosa (IEP Paris), Alain Cotta (Paris-Dauphine), Jacques Sapir (EHESS Paris) und Gérard Lafay (Panthéon-Assas Paris II) vertreten. Aus Deutschland waren die durch ihre Euro-Klage bekannten Professoren Wilhelm Nölling und Joa­chim Starbatty sowie der Finanzexperte Bruno Bandulet angereist. Das Forum in Lyon zeigte, daß sich auch unter französischen Ökonomen wachsender Widerstand gegen den Euro formiert. Politischen Ausdruck findet die Kritik bislang allerdings nur im rechten Front National (FN) und im Umfeld des Ex-Sozialisten und früheren Ministers Jean-Pierre Chevènement.

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