© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

Das will ich, das will er
Aus dem Herz und dem Unterleib direkt aufs Blatt: Charlotte Roches Roman „Schoßgebete“
Ellen Kositza

Kein deutschsprachiges Buch ist je mit einer solchen Startauflage auf den Markt gekommen. Binnen zweier Wochen haben eine halbe Million Kunden Charlotte Roches „Schoßgebete“ erworben. Ähnlich wie bei „Feuchtgebiete“, dem ebenfalls erfolgreichen Vorgänger der Autorin, rekrutieren sich die Käufer Buchhändlerinnen zufolge neben jüngeren Frauen zu beträchtlichen Anteilen aus einer Klientel, die nicht gerade Stammgast ist in den Läden für Gedrucktes: Ältere Herren in Hawaii-hemden hangeln sich dem Vernehmen nach ein Buch vom Stapel, um es (verlegen-jovialer Spruch an die Kassenfrau) nach Hause zu tragen.

Falls sie, angefixt von sensationskündenden TV-Berichten, „Erotik“ der härteren Sorte erwarten sollten – sie würden enttäuscht. Sexy sind diese „Schoßgebete“ beileibe nicht, nicht einmal neckisch. Das Innerste nach außen kehren, reden, reden und noch mal reden, das ist Charlotte Roches Rezept gegen all die Fährnisse, die das Leben ihr zumutet. Motto: (mit)geteilter Ekel verliert seinen Schrecken – zumindest ansatzweise für das leidende Subjekt.

Aus drei Kapiteln besteht der Roman, an drei Tagen nehmen wir teil am Leben der Ich-Erzählerin. Am ersten hat sie vormittäglichen ehelichen Geschlechtsverkehr, der kaum ansprechender geschildert wird als ihre peinliche Entdeckung am Abend: Sie hat Darmparasiten, kleine Würmer. Am zweiten Tag plant sie gemeinsam mit ihrem Mann einen Bordellbesuch, der am dritten Tag unternommen wird.

Nee, klar: Elizabeth, die traurige Heldin der „Schoßgebete“ ist natürlich nicht zu verwechseln mit Charlotte Roche! Alice Schwarzer, die im Buch als Monstermischung aus Haßfigur und Gewissenswärterin zum Aufruf kommt, hat das in einem ihrer berüchtigten „offenen Briefe“ getan und ihre alte „Freundin“ Roche (die sich nur an zwei rein professionelle Kontakte mit der Emma-Chefin erinnert) empfindlich erwischt.

Nun: Elizabeth ist so alt wie Roche, hat wie Roche einen wesentlich älteren, nicht eben attraktiv zu nennenden, wohlhabenden Mann und wie Roche eine Tochter im Grundschulalter, hat eine mehrfach geschiedene, feministische Mutter, stammt aus England, unterzieht sich regelmäßig psychotherapeutischen Redekuren – wie Roche.

Von den beiden inhaltlichen Kernen, die das Buch prägen, entzieht sich der eine – Elizabeths Sexualexperimente – naturgemäß der Abgleichung mit Roches Privatleben, im anderen kommen Romanfigur und Autorin zur Deckung: Wie Roche hat Elizabeth drei jüngere Brüder bei der Anfahrt zur (dann freilich abgesagten) Hochzeit der Schwester verloren. Sie sind bei einem Unfall „spurlos“ verbrannt.

Wer würde an einer solchen Familientragödie nicht jahrelang laborieren? Der Tod, so Elizabeth in habituell munter-sarkastischem Ton, sei ihr bester Kumpel. (Bei Roche verhält sich das lange so, der Emma erzählte sie bereits vor einem Jahrzehnt von ihrer „echten Todessehnsucht“.) Apropos Erzählton: Aus Elizabeth spricht es absichtslos. Die Worte fallen ihr aus dem Herz und dem Unterleib direkt aufs Blatt. Ihre mal derbe, mal zarte Naivität, die keine gespielte ist, richtet sich nur gelegentlich an einem Korsett auf: an den Interpretationshilfen, besser: Indoktrinationen, die ihr die einerseits geliebte, andererseits „Scheißtherapeutin“ zuführt.

Elizabeths Modus des Fühlens und des Redens darüber fügt sich ein in das Erbe tagebuchähnlicher Frauenliteratur, wie wir es in den Zeugnissen von Sylvia Plath, Maxie Wander, Karin Struck und Brigitte Reimann haben. Elizabeth wie Roche erscheinen intelligent, aber illiterat. Doch finden sich gar Anklänge zu Ingeborg Bachmanns „Undine geht“, das mit diesem abgrundtiefen Seufzer anhebt: „Ihr Ungeheuer mit dem Namen Hans! Mit diesem Namen, den ich nie vergessen kann. Ja, diese Logik habe ich gelernt, daß einer Hans heißen muß, daß ihr alle so heißt, einer wie der andere aber doch nur einer.“ Liz (Roches reale Mutter), Elli (die Buchmutter), Eliza-
beth, Tochter Liza: der schwach variierte Name steht für eine schicksalhafte Rolle, für ein Erbe in mütterlicher Linie, das bereits die lebensmüde Großmutter (Elizabeths wie Roches) als Joch mit sich trug. „Krank und kaputt“ war Elizabeths Familie schon lange.

Die Protagonistin sieht drei Möglichkeiten, das Unheil ihres Geschlechts zu beenden: durch Selbsttötung, durch die unbedingte, grenzenlose Liebe ihres Mannes oder durch Abbruch der genealogischen Linie. Sie hegt mit schlechtem Gewissen auch Todeswünsche gegen ihre Tochter; ein weiteres „Kind der Liebe“ wird abgetrieben. Sie wollte es gern bekommen, aber die Gattenliebe obsiegte: „Ich wollte jeden Tag heulend nur ein einziges Mal den Satz hören: daß es ihm leid tue um unser Baby. (…) Er sagte nichts Nettes, immer nur wieder den Satz, das muß weg, das paßt grad nicht.“

Diese Szene ist nur einer der zahllosen Belege dafür, wie sehr Elizabeth sich auf Friedrich Nietzsches Rezept des Eheglücks einläßt: „Das Glück des Mannes heißt: ich will. Das Glück des Weibes heißt: er will.“ Elizabeths „Gebirge in der Brandung“ ist der Gatte, und deshalb hat alles „im Zeichen des Immer-zusammen-bleiben-Müssens“ zu stehen. Dem Gatten gefällt es, daß Elizabeth ihn zu Bordellbesuchen begleitet. Sie erleidet Durchfallattacken schon beim Gedanken daran, ihr ist es peinlich, daß einige dieser kostspieligen Verkehrskonstellationen wegen ihrer Eifersuchtsanfälle abgebrochen werden mußten. Elizabeth findet, es sei „egal, ob ich das jetzt will oder mein Mann. (…) Die Unterteilung in ‘das will ich, und das will er’ ist schwer.“

Ihre Therapeutin unterstützt die hilflos Liebende dabei, sie von „lebensversauenden Problemen, beispielsweise dem Glauben an Monogamie“ zu befreien. Ein Schelm, wer hier an Karl Kraus’ Diktum denkt, wonach die Psychoanalyse die Krankheit sei, für deren Heilung sie sich hält!

Hart rechnet Elizabeth mit ihrer Mutter ab, sie selbst will um jeden Preis eine bessere Ehefrau und Mutter sein (die Tochter wird in ritualbetonter Strenge erzogen: „Manieren, Manieren!“): „Das bedeutet, nicht ständig die Männer zu verlassen, umziehen und ein Schlampenleben zu führen, das das Kind nachträglich so geistesgestört macht, wie ich es heute bin. Ich bin die Summe aller Fehler meiner Eltern.“

In ihrer Kindheit erlebte sie immer das gleiche Muster: Die Mutter zog „immer der Libido nach“, „zog mit uns Kindern ins Haus eines Mannes, Vaterersatz, seid lieb zu ihm, nehmt ihn als Vater an, zwei Jahre Familienshow, Sex weg, Liebe weg, ausziehen, er wurde für tot erklärt.“ Mit dem Sex stirbt die Liebe, das hat Elizabeth behalten. Und von ihrer Therapeutin hat sie gelernt, daß sie durch Hypersexualität zumindest vordergründig angstfrei leben kann. So gesellt sich diese Besessenheit zu all den anderen Obsessionen. „Ich mache alles für ihn, bis zur Selbstaufgabe. Für immer. (…) Er soll aber nicht merken, daß es Selbstaufgabe ist, ist ja unsexy.“

Das Feuilleton hat sich gründlich an dem Buch abgearbeitet. Rezensentinnen (mit Ausnahme dezidierter Feministinnen, denen mißfällt, wie widerstandslos hier in der „Frauenfalle“ verharrt wird) scheint es eher zu gefallen als ihren männlichen Kollegen. Ijoma Mangold bezeichnete es in der Zeit als „konservativen Sexroman“ und hält es für einen „furios übersteuerten Hilfeschrei nach Verwurzelung, Geborgenheit, Verläßlichkeit und Treue“.

 Roche selbst würde das Etikett „konservativ“ freilich zurückweisen. Ihr „ist aufgefallen, daß ich immer in Männer verliebt bin, die links sind. Ich könnte wahrscheinlich gar nicht schlafen mit jemandem, der konservativ eingestellt ist“, sagte sie dem Freitag. „Rechts“, das sind in ihrem kleinen, angestrengten Weltbild die Leute von der Bild und Bayern-Fans. Es tut wenig zur Sache.

Man vergleiche das Phänomen Roche der Viva-Ära mit der eigenwilligen Stil-Ikone, die sie heute abgibt: Damals präsentierte sich der Jungstar des deutschen Musikfernsehens mit Punkschnitt, die Haare standen als abgefressene Zipfel um den Kopf, die Klamotten waren schrill, ein dicker Ring ging durch die Lippe. Seit Jahren präsentiert sich Roche nun in Kleidern, die aus einer Welt und Zeit gefallen scheinen, in der ihr jetziger Gatte gerade die Schwelle zur Pubertät überschritt. Frauliches Schuhwerk mit leichten Absätzen, altmodisch gemusterte Kombinationen ohne grellen Effekt; nicht einmal Rüschenkragen und Trachtenartiges sind der bekennenden Hosengegnerin fremd, genausowenig wie Zopffrisuren. Ein Gran Koketterie mag mitspielen, doch ihre Körpersprache spricht Bände; diese eigenwillige Mischung aus Schüchternheit und trotziger Schlagfertigkeit! Man kann diese Frau sympathisch finden.

Charlotte Roche: Schoßgebete. Roman. Piper, München 2011, broschiert, 282 Seiten, 16,99 Euro

Foto: Charlotte Roche am 17. August 2011 in der Talkshow „Markus Lanz“: Schüchtern und schlagfertig

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