© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

CD: Oratorium
Wort- zu Klangwelten
Sebastian Hennig

Die historische Aufführungspraxis mit ihrem wispernden Instrumentarium und den überdrehten Altus-Stimmen ist derart zum ästhetischen Dogma geronnen, daß eine Barockoper zwar in ein abwegiges Bühnenbild verpflanzt werden darf, aber keinesfalls in einer deutschen Fassung von dem resonanzstarken Orchester der Spätromantik aufgeführt, wie es bis vor vierzig Jahren allgemein üblich war. Eine Mammut-Chorsinfonie von Mahler trägt weit mehr echt barocken Geist in sich als die dürre Authentizität, die die Nachgeborenen aus den Partituren des 18. Jahrhunderts herauslesen.

Der Komponist und Counter-Tenor Roland Kunz läßt alle Skrupel hinter sich und schwingt sich mit seinem Oratorium „Der Seele Ruh“ von der mittelalterlichen Mystik bis zum Bombast neuzeitlicher Film-Musik. Fern vom Gesäusel der Alten Musik läßt er es einmal richtig krachen. Den Auftrag dazu erhielt er 2009 vom Studio Franken des Bayerischen Rundfunks anläßlich des 750. Geburtstages von Meister Eckhart.

Kunz’ wirkungsmächtige Musik-Licht-Performance, die im Juni vorigen Jahres in der Sebalduskirche in Nürnberg uraufgeführt wurde, empfinden viele Fachleute als eine ästhetische Häresie, die ignoriert oder gerügt zu werden verdient. Sie schießen dabei mit dem Luftgewehr auf Elefanten. Man kann dem Komponisten und den Musikern eigentlich nur vorwerfen, daß sie – um ihr Ziel zu erreichen – alle, auch die von der Hochkultur verpönten Mittel ergriffen haben. Der Begleittext rühmt entsprechend ungeniert das musikalische Schlüsselthema als ein „Gebilde von aparter Schönheit, ganz im Geist der Ästhetik zeitgemäßer Soundtracks erfunden“.

Auf der Doppel-CD läßt sich allerdings nur der akustische Teil der Aufführung nachvollziehen. Mit einem Faible für Alliteration hat Kunz sich und seine Band, in der er neben dem Falsett-Gesang auch ein Keyboard ertönen läßt, „Orlando und die Unerlösten“ genannt. Zusammen mit dem Countertenor-Kollegen Andreas Scholl, zwei Perkussionisten an der japanischen Riesentrommel Odaiko, dem Orpheus-Chor München und dem Münchner Rundfunkorchester unter Anu Tali wird Klangkaskade an Klangkaskade geschichtet.

Dazwischen bewahren immer wieder ruhigere Stücke die Spannung. Auf ein flammend sich steigerndes Stück wie „Die Hitze des fures di burnit“ folgt das schlichte Bekenntnis „Gott ist, was er ist.“ Textvorlagen sind ausschließlich Eckharts Verse, überwiegend in neues Deutsch gebracht, aber auch im Original und zwei Stücke in Latein. Das siebte Stück verbreitet eine Parzival-Stimmung, die gleich darauf durch Perkussion gebrochen wird. „War umbe lebest du?“ wird von starken Mahler-Anklängen getragen. Die japanische Trommel leitet den ersten Teil aus. „Die Seele hat Kräfte“ beginnt wie eine Sibelius-Sinfonie, um dann in einen Pet-Shop-Boys-Sound einzumünden. Auf dieses effektvolle Stück ist der Sprechchor ein Reinigungsbad, schon wegen seiner kargen Konzentration auf das Wort. Kunz findet: „Eckharts Wortwelten sind Musik.“

Nachdem die Triebseele ausgiebig gefüttert wurde, endet das Oratorium mit einem Gebet: „…dazu helfe uns Gott. Amen.“ Im Herbst 2012 soll „Der Seele Ruh“ in der Dresdner Frauenkirche zur Aufführung kommen.

Roland Kunz, Der Seele Ruh, Oratorium nach Worten von Meister Eckhart NewPast NP 3721 (2 CD), 2011 www.classicdisc.de

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