© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

Lockerungsübungen
In Europa angekommen
Karl Heinzen

Der Elektronikkonzern Nokia wird seinen Produktionsstandort im rumänischen Klausenburg zum Jahresende aufgeben. Die Entscheidung überrascht, soll die Fabrik doch noch 2010 einen Gewinn von 43 Millionen Euro erwirtschaftet haben. Zudem liegt ihre Eröffnung gerade einmal drei Jahre zurück. Nokia war seinerzeit mit Steuervergünstigungen dazu bewegt worden, sein einstiges Werk in Bochum zu schließen und die Produktion nach Klausenburg zu verlagern. Dies hatte hierzulande hysterische Reaktionen hervorgerufen und Politiker sogar zu Boykottparolen verleitet.

Unternehmen jedoch können und dürfen keine andere Verpflichtung anerkennen, als das Wohl der Anteilseigner zu mehren. Ihre Entscheidung, ob sie eine Zusage einhalten oder nicht, muß ethische Gesichtspunkte ausblenden und sich ausschließlich auf ein betriebswirtschaftliches Kalkül stützen. Man darf daher davon ausgehen, daß es sich für Nokia rechnet, die mit dem rumänischen Staat getroffenen Vereinbarungen zu brechen. Der Konzern steht dabei unter Druck, da er neueste technologische Entwicklungen der mobilen Kommunikationen verschlafen und seine einst imposante Marktführerposition verspielt hat. Er ist gezwungen, die Kosten der Produktion zu senken und mit dieser näher an die Zukunftsmärkte in Asien heranzurücken.

Für die Rumänen mag es bedauerlich sein, daß in Siebenbürgen 2.200 Arbeitsplätze verloren gehen. Wenn Unternehmen ihnen wegen zu hoher Produktionskosten den Rücken kehren, sollte sie dies aber vor allem mit Stolz erfüllen: Es handelt sich um ein Zeichen, daß sie allmählich in Europa angekommen sind. Länder, die es nötig haben, Investoren anzulocken, damit diese Betriebsstätten zur Warenproduktion errichten, stellen sich selbst ein Armutszeugnis aus. Offenbar geht es ihren Einwohnern so schlecht, daß sie eine derart unattraktive Beschäftigung als Lebenschance ansehen. In Europa haben wir diese archaische Entwicklungsstufe längst hinter uns gelassen. Es macht unser Wohlgefühl aus und ist unserem Umweltbewußtsein gemäß, daß die Produktion immer mehr in die Ferne gerückt ist. Die Rumänen können sich dabei sogar einen Umweg ersparen, den der Westen gehen mußte: Sie dürfen zur Deindustrialisierung schreiten, ohne zuvor eine Industriegesellschaft geworden zu sein.

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