© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

Der Sieger kriegt gar nichts
Er hat die Literatur aus den Studierstuben, Salons und Cafés geholt: Ein opulenter Bildband zu Ernest Hemingways Leben
Markus Brandstetter

Hemingway war das Kind einer untalentierten, despotischen Walküre mit künstlerischen Ambitionen, deren erstes Probesingen an der New Yorker Met ihr letztes war. Gekränkt und verunsichert, aber lodernd vor Ehrgeiz spielte sie von da an der ganzen Welt die große Malerin und Musikerin vor, obwohl sie über sentimentale Salonstücke und röhrende Hirsche nie hinauskam. Ihr Versagen auf der Bühne zahlte sie ihrem Ehemann, einem physisch starken, aber charakterschwachen Landarzt heim. Der ließ sich so lange piesacken und demütigen, bis er sich nach 32 Ehejahren endlich erschoß.

Ernest Hemingway hat früh erkannt, daß seine Mutter seinen Vater fertigmachte, aber er hat auch erkannt, daß sein Vater dies klaglos erduldete und seine Wut dann an seinen Kindern ausließ. In der Erzählung „Der Doktor und seine Frau“ (1925) schildert Hemingway minutiös, wie die Frau den Doktor erst ausfragt wie ein kleines Kind, um ihm dann mit einem Bibelzitat den Mund zu verbieten. In der Geschichte „Väter und Söhne“ (1933) heißt es über Hemingways Alter ego Nick Adams: „Sein Vater war sehr nervös. Er war auch ziemlich sentimental, und wie die meisten sentimentalen Menschen war er zugleich grausam und mißbraucht. Er hatte auch viel Pech gehabt, aber nicht immer war er selber daran schuld.“

Hemingway hat von seinem Vater jagen und fischen gelernt, und dafür war er ihm ein Leben lang dankbar. Seine Mutter aber bezeichnete er immer nur als Schlampe („Bitch“), hatte oft über Jahre keinen Kontakt mit ihr und blieb ihrer Beerdigung fern.

Bewunderung für den Vater, Haß auf die Mutter, ein früh entwickeltes Talent für Stil und Klang der Sprache, eine wache Intelligenz, eine enorme Arbeitskraft und ein noch größerer Ehrgeiz – das war die Grundausstattung, mit der Ernest Hemingway, keine zwanzig Jahre alt, in die Welt hinauszog, um sie mit Schreibmaschine, Gewehr und Angelrute zu erobern. Die ersten zwanzig Jahre, bis etwa 1940, waren die besten. Er entwickelte den knappen, kondensierten Stil harscher, realistischer Prosa, der mehr verschweigt, als er sagt; ein Stil, der unverkennbar Hemingway ist und wie kein anderer die Literatur ins 20. Jahrhundert gebracht hat.

 „Im Spätsommer jenes Jahres wohnten wir in einem Haus auf dem Dorf, das den Fluß und die Ebene bis zu den Bergen hin überblickte. Im Flußbett lagen Kieselsteine und Felsblöcke weiß und trocken in der Sonne, während das Wasser klar und reißend durch Rinnen daneben blau hindurchschoß. Soldaten zogen am Haus vorbei und die Straße hinunter, und der Staub, den sie aufwirbelten, puderte die Blätter an den Bäumen. Die Stämme der Bäume waren auch staubig, und in diesem Jahr fielen die Blätter früh ab, und wir sahen, wie die Soldaten die Straße entlang marschierten, wie der Staub aufstieg, sahen, wie die Blätter, die der Wind aufgewirbelt hatte, zu Boden fielen, sahen die Soldaten marschieren, und danach lag die Straße, bis auf die Blätter, verlassen und weiß da.“ (Beginn von: „In einem anderen Land“).

Dieser Anfang ist so gut, daß Gabriel Garcia Márquez ihn am Beginn von „Hundert Jahre Einsamkeit“ wörtlich zitiert. Zwischen den Weltkriegen hat keiner besser geschrieben als Hemingway, nicht einmal James Joyce in den „Dubliners“. Hemingway hat die Literatur aus den gotischen Studierstuben, den Adelssalons und den Absinth-Cafés herausgeholt und ihr die Forellenbäche Navarras, die Stierkampfarenen Andalusiens, die Großwildjagden Afrikas und die Sportfischerei des Golfstroms gegeben. Seine Anti-Helden sind einsame Männer, die schießen, jagen, fischen und Stiere umbringen, und das theoretisch nicht begründen können. Zugrunde gehen tun sie am Alkohol, ihrer Einsamkeit, ihrem altmodischen Ehrbegriff und manchmal auch an ihren Frauen. Heute gilt das als unmodern und politisch unkorrekt, aber einmal war es frisch, gut und berauschend.

Ruhm und Reichtum kamen nach den frühen Jahren in Paris rasch und ausgiebig. 1940, als der Durchschnittsamerikaner 2.000 Dollar im Jahr verdiente, kam Hemingway auf das Zwanzigfache, hatte Häuser, Frauen, Affären und Jachten, war weltberühmt, weitgereist und Veteran dreier Kriege. Von Ehefrau eins und zwei – beide älter, beide Ersatzmütter – war er bereits geschieden, und die Werke, die ihm einen Platz in der Literaturgeschichte sichern („In unserer Zeit“, „Männer ohne Frauen“, „Fiesta“, „In einem anderen Land“), waren geschrieben.

Es blieben ihm nochmal zwanzig Jahre, in denen er kein gutes Buch mehr zustande brachte, Ehefrau drei (taffe Emanze) und vier (stille Dulderin) fand und dabei immer mehr seinem eigenen Mythos hinterherlief. 1952 erschien „Der alte Mann und das Meer“, sein berühmtestes Werk und gleichzeitig eines seiner schlechtesten: eine sentimentale Novelle, die mit „lyrisierender Sprache“ und „allegorisierender Figurenzeichnung“ (Umberto Eco) nur die Binsenweisheit anzubieten hatte: Im Leben wird einem mehr genommen als gegeben. Eine letzte Safari in Kenia und eine Tour der spanischen Stierkampfarenen waren vergebliche Versuche, die alten Quellen der Inspiration noch einmal anzuzapfen. Weder der Pulitzer- noch der Nobelpreis konnten Hemingway nun von den Depressionen befreien, die ihn immer öfter heimsuchten.

Einziges Gegenmittel war der Alkohol. Jahrelang trank er jeden Tag zwei Flaschen Whiskey, die er mit einem Liter Wein und vielen Daiquiris und Martinis hinunterspülte. Die Folgen blieben nicht aus. Seit den 1950er Jahren litt er an Bluthochdruck, erhöhtem Cholesterin, Diabetes und einer Leberzirrhose. Seit seiner Verwundung im Ersten Weltkrieg hatte er sich mehrfach Wirbel, Rippen und Gliedmaßen gebrochen, Brände, Flugzeugabstürze und diverse Unfälle mit Autos und Motorbooten überlebt, an Gehirnerschütterungen, Amöbenruhr und Nierenversagen gelitten.

Der Tod hatte also seit Jahren schon an seiner Tür geklopft, er hat ihn nur nie eingelassen. Am 2. Juli 1961 jedoch nahm Hemingway um sieben Uhr morgens eine Schrotflinte aus dem Waffenschrank und öffnete endlich, nachdem er sich so viele Jahre lang mit aller Kraft dagegengestemmt hatte, dem Mann mit Hippe und Stundenglas die Türe, um den Weg anzutreten, den sein Vater ihm vorangegangen war und den dereinst noch zwei seiner Geschwister gehen sollten.

Zehn Jahre nach seinem Tod wurde er rasch und nachhaltig unmodern. Seine Biographen verachteten ihn; junge Autoren imitierten lieber Kafka, Joyce und Faulkner, während Kritiker, für die Mensch und Werk identisch waren, in seinen Büchern das fanden, was sie vorher hineingelesen hatten: Antisemitismus, Homophobie und Misogynie. Eine Gesamtausgabe seiner Werke, von einer historisch-kritischen Ausgabe ganz zu schweigen, gibt es bis heute nicht, seine vielen Briefe sind nur in Auszügen bekannt, und sein deutscher Verleger bietet seit nunmehr sechzig Jahren unverändert die inkompetenten Übersetzungen einer Frau an, die weder Englisch noch Deutsch konnte.

Hemingway ist bis heute der bekannteste amerikanische Autor überhaupt. Nicht alles, was er gesagt, geschrieben und getan hat, verdient unsere Bewunderung – unseren Respekt aber durchaus.

Ein neuer Bildband, von klugen Texten begleitet, zeigt uns den Autor nun in einer Qualität und Vollständigkeit, wie wir es bisher nie gesehen haben.

Mariel Hemingway: Ernest Hemingway – Sein Leben in Bildern und Dokumenten. Edition Olms, Zürich 2011, gebunden, 208 Seiten, Abbildungen, 49,95 Euro

Foto: Ernest Hemingway im Red Cross Hospital in Mailand, JulI 1918; in Ostafrika etwa 1947 beim Schreiben für das „Look“-Magazin; undatierte Porträtaufnahme Hemingways

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