© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

Lohn für die Kunst
Literaturnobelpreis für den Lyriker Tomas Tranströmer
Sebastian Hennig

Dante entfesselte einen Feuerregen über Rinaldo Scrovegnis Haupt. Der Sohn des Wucherers stiftete eine Kapelle für den Vater. Aus dem unscheinbaren Bau in Padua mit Giottos Fresken keimte eine neue Kunstepoche hervor. Den Chemiker Alfred Nobel drängte keine dichterische Vision zu seiner Stiftung. Es inspirierte ihn die erste Friedensnobelpreisträgerin, Bertha von Suttner. Laut Vermächtnis gilt der Literaturpreis dem „Herausragenden in idealistischer Richtung“. Seither wird moralinsaure Geschwätzigkeit und kunsthandwerkliches Geschick mit traumhaften Summen belohnt. Weder Rilke noch Ezra Pound wurden bedacht.

Nur wenige Ausnahmen bestätigen die Regel. Zu diesen gehört auch der diesjährige Preisträger Tomas Tranströmer. Der Dichter ist: „Überdrüssig aller, die mit Worten, Worten, aber keiner Sprache daherkommen …“ Dichtung, verdichtete Sprache, läßt sich kaum übertragen in andere Zungen. Immerhin gelingt es der schwedischen Akademie, wenigstens ihre Dichter als solche gelten zu lassen: Lagerkvist erhielt 1951 den Preis für „künstlerische Kraft“, zwanzig Jahre zuvor Erik Axel Karlfeldt für „Erik Axel Karlfeldts Dichtung“.

Nun darf es sein, daß Tranströmer „uns in komprimierten, erhellenden Bildern neue Wege zum Wirklichen weist“. Da schmerzt es wenig, daß Marcel Reich-Ranicki, der amusische Großinquisitor des deutschen Feuilletons, den Dichternamen noch nie gehört hat. (Sogar im Ostberliner Verlag Volk und Welt ist schon 1983 eine Gedicht-Auswahl erschienen.)

Wer wie Tranströmer ein profanes Arbeitsleben hinter sich hat, bevor ihn 1996 mit seinem Gedichtband „Sorgegondolen“ (Die Trauergondel) der Ruhm einholte, dem sollte sein Refugium im Elfenbeinturm nicht bestritten werden. Wer ihm Abkehr von den aktuellen Problemen vorwirft, der bedenke, daß er in seinen Dienstjahren als Psychologe in einem Jugendgefängnis und am Arbeitsamt täglich den Reibungsflächen seiner Zeit ausgesetzt war.

Wie dem schlesischen Mystiker Jakob Böhme die Gegenwart Gottes im Widerschein der Sonne auf einem Zinngeschirr zuteil wurde, so erfaßt der schwedische Lyriker große Zusammenhänge in poetischen Bildern voller Anschaulichkeit. Der Literaturwissenschaftler Lutz Rühling bezeichnet seine Dichtung als „Ausdruck eines Epiphanie-Erlebnisses, das aus der profansten Kleinigkeit des Alltags entspringen kann“. Tranströmer selber faßte es so: „Das Einzige, was ich sagen will, schimmert außerhalb der Reichweite, wie Silber beim Pfandleiher.“

Seit ihn 1990 ein Schlaganfall ereilte ist der Dichter jener Alltagssprache nicht mehr mächtig, der er zeitlebens mit so viel Skepsis begegnete. Sein letzter Gedichtband, „Den stora gåtan“ (Das große Rätsel), erschien 2004.

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