© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

Die Inszenierung eines Krieges
Der Kriegseintritt der USA wurde nicht zuletzt durch systematische Arbeit britischer Agenten vorbereitet
Helmut Simon

Im Herbst 1941 hatte sich eine zweite Pattsituation im immer noch europäischen Krieg mit mediterranem Nebenschauplatz eingestellt. Weder war Großbritannien im Jahre des Falles Frankreichs aus dem Krieg ausgeschieden, noch die Sowjetunion nach deutschem Ansturm im Sommer zusammengebrochen. Bewegung auf dem Kriegstheater würde nur der Auftritt der in den Kulissen zuwartenden Seemächte Japan und USA erbringen.

In Nachahmung des erfolgreichen englischen Vorbildes der Kriegführung durch Stellvertreter – „war by proxy“ – hatte der Navalist Franklin Delano Roosevelt den unbedingten Kriegswillen Winston Churchills durch geschickte Förderung geschürt und ermöglicht. Doch fand die Politik der massiven Einmischung in einen außeramerikanischen Krieg ihre Grenze an einer Tradition, die tiefer lag als der die enorme Industrialisierung des Halbkontinents begleitende interventionistische Internationalismus.

Die im Anschluß an den Crash von 1929 weltweiten Wirtschaftsverwerfungen hin zu zwischenstaatlichen Tauschbeziehungen und bilateralen Währungsverrechnungen hatten den Handel zwischen den Agrar- und Rohstoffproduzenten in Lateinamerika und den deutschen Technikexporteuren lukrativ gemacht. Es gelang dem Deutschen Reich, in eine Domäne einzubrechen, die den Nordamerikanern, aber vor allem noch den Briten, vorbehalten zu sein schien. In dem Maße, wie der Außenhandel expandierte, gewann auch das politische System an Ansehen bei den yankeebedrängten Lateinamerikanern. Die Lufthansa erhielt zum Entsetzen der Roosevelt-Administration Einflußauf südamerikanische Fluggesellschaften und deren Routen und Knotenpunkte.

Die deutschen Minderheiten, die „Bindestrich-Deutschen“, im Gegensatz zu Nordamerika nicht im Ersten Weltkrieg zwangsassimiliert, wurden mit Erfolg von der Auslandsorganisation (AO) angesprochen. Viele ihrer jungen Männer dienten, wie auf Regisseur Petersens „Boot“ der Erste Wachoffizier, als überzeugte Nationalsozialisten in der Wehrmacht.

Die Anfangserfolge der Deutschen stießen auf massive, untergründige Abwehr der Amerikaner und Engländer. Am 30. November 1936 berief Präsident Roosevelt eine Pan-Amerika Konferenz nach Buenos Aires ein. Wenn auch südamerikanisches Mißtrauen keine direkten Ergebnisse zeitigte, wurde doch faktisch die Monroe-Doktrin aus ihrer unilateralen Isolation gelöst und auf alle südamerikanischen Staaten übertragen.

1938 schuf Roosevelt ein interministerielles Komitee, um die Politik der Achse im Auge zu behalten und zu konterkarieren. Washington ging mit politischen und ökonomischen Maßnahmen scharf zu Werke. Das Deutsche Reich konnte mit keiner klaren Politik aufwarten, da Auswärtiges Amt, Auslandsorganisation und die Dienststelle Ribbentrop unterschiedliche Auffassungen hatten. Dutzende von Kurzwellensendern berichteten in spanischer und portugiesischer Sprache von einer deutschen fünften Kolonne, die über gezielte Zernierungspläne hinaus Angriffe auf Mittel- und Nordamerika beabsichtige. In Argentinien erschienen so genannte Patagonien-Dokumente, die von einer beabsichtigten Besetzung Südargentiniens handelten, und in Bolivien kursierte die Fälschung eines Briefes des bolivianischen Militärattachés in Berlin, um die Stimmung gegen Deutschland zu schüren. Meinungsmultiplikatoren wurden argumentativ, vor allem aber finanziell unterstützt, um an die „demokratischen Ideale“ der USA zu glauben. Regierungen bekamen Anleihen aus einem beträchtlichen Reptilienfonds.

Systematisiert wurde diese Vorgehensweise durch das „Office for Coordination of Commercial and Cultural Relations“, an dessen Spitze Präsident Roosevelt Nelson Rockefeller stellte, den Enkel des berühmten Industriellen John D. Rockefeller, der Wettbewerb haßte und mehr als 7.000 Prozesse geführt haben soll. Rockefellers  ausschwärmende young boys waren die tatsächliche fünfte Kolonne in Südamerika. Sie erstellten eine „Schwarze Liste“, auf der alle Firmen verzeichnet waren, die mit der Achse in Handelsbeziehungen standen, welche den Nordamerikanern verboten waren.

Gleichzeitig erwarben sie Kenntnisse der englischen Handelsnetze, die sie über die Lend-Lease-Vorschrift, keine vergleichbaren Waren zu handeln, die sie von den USA bekamen, unterbrachen und die Briten damit aus dem südamerikanischen Markt warfen. Die wenig originelle Amerikapolitik Hitlers beruhte nur auf einem Pfeiler: den Produktionsriesen USA aus dem Krieg herauszuhalten – so lange wie möglich.

Mehrfach untersagte er es der Marineleitung, den Fehler der Reichsleitung von 1917 zu wiederholen. Auch sollte sich nicht der noch größere diplomatische Fauxpas wie jener einer „Zimmermann-Depesche“ ereignen, mit der der deutsche Gesandte Arthur Zimmermann mit 1917 über eine Koalition des Deutschen Reiches mit Mexiko gegen die USA sinnierte und außenpolitisch großen Schaden anrichtete. Aber er rechnete nicht mit der hinterhältigen Raffinesse, die Churchill bereits von Ribbentrop und später seinem Sohn als kriegsentscheidend avisiert hatte. Eine neue „Zimmermann-Depesche“ wurde einfach erfunden, weil die erste bereits soviel Erfolg eingebracht hatte.

In der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober wurde der einem britischen Konvoi zu Hilfe eilende amerikanische Zerstörer „Kearny“ von einem deutschen U-Boot torpediert. Die Vereinigten Staaten beklagten die ersten elf Opfer eines Krieges, an dem sie bisher noch nicht offensiv teilnahmen. In seiner Ansprache zum „Navy Day“ erklärte Präsident Roosevelt, „daß der Schießkrieg begonnen und nunmehr in die Annalen der Geschichte einginge, wer den ersten Schuß abgefeuert habe“.

Um die tief sitzende Tradition der Nichteinmischung, wie sie die „America Firsters“, von den katastrophalen Folgen der Versailler „Friedenspolitik“ bestätigt, vertraten, mußten Angriffe auf Amerika konstruiert werden, um die Wirkung der Zimmermann-Depesche noch zu übertreffen. Immer noch waren zwei Drittel der Amerikaner von einem Kriegseintritt nicht überzeugt. Deshalb legte der Präsident am 27. Oktober am „Navy and Total Defense Day“ nach: Er habe eine geheime Landkarte in seinem Besitz, die in Deutschland von den Planern der „Neuen Weltordnung“ in Hitlers Regierung angefertigt worden sei. Sie widerlege die Behauptung der Nationaldsozialisten, sie hätten in der westlichen Hemisphäre keine Ambitionen. Hitlers „Neue Weltordnung“ sähe die Reorganisation Lateinamerikas in fünf Vasallenstaaten unter direkter NS-Herrschaft vor. Außerdem besäße er noch ein weiteres Dokument, aus dem in allen Einzelheiten das Vorhaben der Liquidierung aller bestehenden Kirchen und ihres Klerus, sowie die Schaffung einer „Internationalen Nazikirche“ hervorginge. „Mein Kampf“ werde die Stelle der Heiligen Schrift einnehmen und das Kreuz Christi durch das Hakenkreuz und das nackte Schwert ersetzt werden. Der Gott von Blut und Eisen werde den Platz des Gottes der Liebe und der Gnade einnehmen. Er prophezeie, daß die kontrollierte Presse und das Radio der Achse dieses heftig dementieren werde.

Roosevelts Version des „Kearny“-Zwischenfalls hatte zusammen mit der „geheimen Landkarte“ den gewünschten Effekt auf die Öffentlichkeit und den Kongreß. Dieser stimmte umgehend dem Vorschlag des Präsidenten zu, Handelsschiffe zu bewaffnen und amerikanische Schiffe auch in die nordatlantischen Kampfgebiete fahren zu lassen. Es handelte sich praktisch um die Aufhebung der Neutralitätsgesetzgebung.

Dieser historische Stellungswechsel war von der „Special Operation Executive“ (SOE) eingefädelt worden, jener berüchtigten Organisation, der Churchill zu Beginn des Krieges den Befehl erteilt hatte, „Europa in Brand zu setzen“. Ihre amerikanische Unterabteilung, die „British Security Coordination“ (BSC), hatte mit Wissen des Weißen Hauses auch die Szene der Kriegseintrittsgegner, der Isolationisten und „America Firsters“ unterwandert, sie mit Verleumdung, Erpressung und Bestechung aufgemischt und mundtot gemacht.

Führende Republikaner wie der Kongreßabgeordnete Hamilton Fish, die einflußreichen Senatoren Burton Wheeler und Gerald Nye wurden des Antisemitismus und heimlicher NS-Neigungen bezichtigt. Auch vor Mord – unter den Augen des FBI – schreckten sie nicht zurück. Nie wäre der antiisolationistische republikanische Präsidentschaftskandidat Willkie – „no hope Willkie“ – auf dem Nominierungsparteitag gewählt worden, wenn nicht während einer Sitzung der Vorsitzende des Organisationskomitees, Ralph E. Williams, plötzlich verschieden wäre. Die Autopsieberichte seiner Leiche verschwanden. Sein Nachfolger war der geheimdienstverbandelte Sam Pryor, der über Eintrittskarten- und Mikrophonmanipulation die Stimmung der Szenerie zu verändern verstand. Die Rede des interventionskritischen Ex-Präsidenten Hoover konnte so nicht vernommen werden. So gelang es, den Ablauf der gesamten Veranstaltung zugunsten „no hopes“ zu manipulieren.  Die durch den späteren Werbekönig David Ogylvie manipulierte Meinungsbefragungsfirma Gallup tat in der Presse das ihrige.

Der Geschichte ist sogar der Name des Erfinders dieser Art von Agitprop bekannt. Es war der SOE-Agent John „Ivar“ Bryce von der Lateinamerika-Abteilung der BSC gewesen, der mit Zustimmung seines Chefs William Stephenson, des legendären „man called Intrepid“, Vorbild der James Bond-Figur Ian Flemings, das Dokument bei der Fälschungsabteilung in Toronto anfertigen ließ. Aber die britischen Agenten ereilte schnell die Nemesis: Am Tage nach Pearl Harbor ließ Präsident Roosevelt Lend Lease aufheben, und FBI-Chef Edgar Hoover drohte den britischen Dunkelmännern mit Verhaftung. Der Mohr hatte seine Schuldigkeit getan.

Foto: US-Präsident Franklin D. Roosevelt gibt 1941 Amerikas Kriegseintritt bekannt: Geschürte Stimmung

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