© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

Islamabad zieht die Strippen der islamistischen Gewalt
Die Aktivität des pakistanischen Geheimdienstes wird im Westen völlig unterschätzt: Hein Kiessling bringt Licht ins Dunkel und klärt über Einflüsse der Dienste im Süden Asiens auf
Wolfgang Kaufmann

Anläßlich der Liquidierung Osama bin Ladens in der Nacht zum 2. Mai 2011 verloren die USA einen ihrer hochgeheimen Tarnkappenhubschrauber. Kurze Zeit später tauchten Fotos des Wracks in pakistanischen und ausländischen Medien auf. Mitte August stellte sich dann außerdem noch heraus, daß die Pakistanis diversen Agenten fremder Mächte, darunter Chinas, Zugang zu den Resten des Hightech-Helikopters gewährt hatten. Verantwortlich für diese Aktionen, die schnell als Retourkutsche für das nicht angekündigte Kommando-unternehmen der Navy Seals interpretiert wurden, war der pakistanische Geheimdienst ISI (Inter-Services Intelligence), der de jure als Auslandsnachrichtendienst wirken soll, inzwischen aber auch innerhalb Pakistans allgegenwärtig und omnipotent ist.

Bekannt wurde der ISI in den neunziger Jahren als Mentor der radikal-islamischen Taliban. Die Protegierung dieser Fundamentalisten stellt freilich nur die Spitze des Eisbergs dar. Wie Hein G. Kiessling, früher Repräsentant der Hanns-Seidel-Stiftung in Pakistan, in seiner aufschlußreichen Studie über den ISI und dessen indischen Widerpart R&AW (Research & Analysis Wing) darlegt, förderte und fördert der ISI auch zahlreiche andere militante oder terroristische islamistische Gruppierungen in Europa und Asien.

Zu nennen wären hier beispielsweise die Indian Mujahideen, die Bhindranwale Tiger Force of Khalistan, die Jammu & Kashmir Liberation Front, die United Muslim Liberation Front of Assam, die Islamic Resurgence Groups in Kambodscha, die philippinische Moro Islamic Liberation Front, die Bangladesh-Sektion der Harkat-ul-Jihad-al-Islami, die Lashkar-e-Taiba-Ableger in Nepal und im Kosovo sowie die Elitebrigade 055 von al-Qaida in Bosnien, die tschetschenischen Mujahideen Forces of the Caucasus und so weiter und so fort. Nicht zu vergessen auch die türkische Insani Yardim Vakfi, welche unter anderem als Initiator der sogenannten „Solidaritätsflotte“ für Gaza in Erscheinung trat. Außerdem ist anzunehmen, daß die Strippenzieher Islamabads auch hinter einigen der „Rebellenbewegungen“ in Nordafrika stehen, welche derzeit vom Westen noch genauso naiv gefeiert werden wie einstmals die afghanischen „Freiheitshelden“.

Die Unterstützung der genannten Dschihad-Organisationen wurde und wird in erheblichem Maße durch Drogengelder finanziert. Nach Schätzungen des United Nations Drug Control Programme belaufen sich die jährlichen Einnahmen des pakistanischen Geheimdienstes durch „Beteiligungen“ am Handel mit afghanischem Heroin, also quasi durch die Erhebung von Schutzzöllen, auf satte 2,5 Milliarden US-Dollar pro Jahr! Ebenso hat der lange Zeit florierende Nuklearhandel mit Nordkorea, Libyen und dem Iran reichlich Geld in die Kriegskasse des ISI gespült.

Mit Blick auf die finanzielle Potenz sowie den politischen Einfluß des Inter-Services Intelligence, prägte der Geheimdienstexperte Sean Winchell die Formel „ISI – The Invisible Government“. Ein wesentliches Ziel dieser Geheimregierung ist dabei offenkundig die Destabilisierung möglichst vieler nicht islamisch geführter Staaten durch Stärkung und Unterstützung der muslimischen Untergrundbewegungen dort. Insofern handelt es sich beim ISI nicht nur um einen äußerst umtriebigen, sondern auch brandgefährlichen Geheimdienst.

Und seine Aktivitäten und Ziele lassen die strategische Allianz zwischen Pakistan und den USA, welche besonders im Kampf gegen den islamistischen Terror Ergebnisse zeitigen soll, als Verbindung erscheinen, für die selbst die Bezeichnung „verlogene Zweckehe“ noch deutlich zu euphemistisch daherkommt. So hatte der ISI doch zweifellos auch Kenntnis von der jahrelangen Anwesenheit von Amerikas Staatsfeind Nummer eins in Abbottabad – immerhin obliegt ihm die Überwachung der Einwohnerschaft in dieser hochwichtigen Garnisionsstadt!

Dahingegen stellt der regionale Hauptgegner des ISI, der indische R&AW, keine nennenswerte Gefahr für die Welt außerhalb des Subkontinents dar. Jedenfalls seitdem der Kalte Krieg vorbei ist, in dessen Verlauf der KGB die Politik Neu-Delhis durch Koffer voller Bargeld steuerte, welche unter anderem im Büro von Premierministerin Indira Gandhi gelandet sein sollen (wobei Augenzeugen schwören, „daß Mrs. Gandhi nicht einmal die Koffer zurückgab“).

Wenn der R&AW heute noch jemanden in Bedrängnis bringt, dann wohl vor allem Indien selbst, wie die verheerenden Anschläge von Mumbai (Bombay) 2008 beweisen, in deren Vorfeld entscheidende Informationen ignoriert worden waren. Ansonsten macht dieser Dienst eher durch einen paranoiden Geheimhaltungswahn von sich reden. So konfrontierte er das indische Monatsmagazin Force mit dem Vorwurf, es habe durch den Abdruck eines Fotos des indischen Armeechefs die nationale Sicherheit gefährdet. Deshalb ist Kiessling auch im Falle des R&AW für seine Rechercheleistung Anerkennung zu zollen, obgleich die Präsentation der Befunde streckenweise etwas redundant wirkt und verschiedene Flüchtigkeitsfehler aufweist.

Hein G. Kiessling: ISI und R&AW. Die Geheimdienste Pakistans und Indiens. Konkurrierende Atommächte, ihre Politik und der internationale Terrorismus. Köster Verlag, Berlin 2011, broschiert, 420 Seiten, 29,80 Euro

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