© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/11 / 14. Oktober 2011

Mehrfachverwertung in eigener Sache
Die Journalistin Alice Schwarzer hat auf ihr Leben zurückgeschaut – schon wieder / Eingeweihten kann die um sich selbst kreisende Ikone der Emmazipation mit wenig Neuem aufwarten
Ellen Kositza

Sie halte es auch in Zukunft mit Ludwig Börne, so beschloß Alice Schwarzer 2008 ihre Dankesrede als Börne-Preisträgerin: „Nicht meine persönlichen Angelegenheiten sind meine Welt, sondern die Welt ist meine persönliche Angelegenheit.“ Und doch: Schwarzer hat schon wieder Autobiographisches verfaßt, „Lebenslauf“ betitelt. Es gibt also nach zwei Biographien (einer feindlichen, einer freundlichen), einer „Zwischenbilanz“, einer kürzlich erschienenen Kurzautobiographie („Journalistin aus Passion“), intimen Briefwechseln und Gesprächsbänden, einer mit Persönlichem durchsetzten Emma-„Biographie“ noch Mitteilungsbedarf!

Dieser ist so groß, daß Schwarzer den Weihrauchkessel Mitte der siebziger Jahre anhält. Sie läßt Kindheit, Jugend und Kampfzeit Revue passieren, die etablierten Jahrzehnte sollen in einem weiteren Band folgen. Wer einige ihrer Bücher kennt und gelegentlich in die Emma, ihr 34jähriges papiernes Kind, schaut, darf weite Strecken überblättern. Die Schwarzer ist seit je eine große Mehrfachverwerterin ihrer Texte, und allzuvieles hat man schon andernorts gelesen: Daß ihre eigene Mutter – wie auch die Groß- und die Urgroßmutter – „wenig Talent zur Mütterlichkeit“ hatte und sich bald nach der Geburt verabschiedete. Daß es ihr Großvater ist, der das „Flaschenkind“ Alice in Wuppertal-Elberfeld zärtlich umsorgt, während die sozialphobische Großmutter lieber liest, „statt Windeln zu wechseln oder Breichen zu kochen“. Auch über ihren weiteren Werdegang weiß, wer es denn wissen will, man einigermaßen Bescheid, die Handelsschule, Au-pair in Frankreich, später Korrespondentenstelle dort, Kontakt mit frühen Feministinnen in Paris und – eher negativ erlebt – in Deutschland, die Stern-Kampagne „Wir haben abgetrieben“ 1971 und der Durchbruch zur Prominenz mit dem Verkaufsschlager „Der kleine Unterschied“ 1975, zu dem Martin Walser das Vorwort schreiben wollte, was sie ablehnte.

Auch, daß wegen eines „ironischen“ Artikels über den „rechtsradikalen Intellektuellen“ Armin Mohler Ärger mit ihrem Chef bei den Düsseldorfer Nachrichten Ärger ins Haus stand. Nein, ein neuerlicher Tabubruch sind diese Lebenserinnerungen nicht, auch wenn sie als solcher nun gefeiert werden. Gut, Schwarzer bekennt sich erstmals knapp dazu, mit einer Frau zu leben – ein offenes Geheimnis. Interessanter sind Form und Richtung der Selbstdarstellung sowie das, was sie ausläßt. Zweifel äußert die mittlerweile 68jährige allenfalls an der Oberfläche, wenn es um taktische Scharaden geht, sie schreibt auch nichts über die Aufnahme ihres Verhältnisses zur leiblichen Mutter, die immerhin als Mitunterzeichnerin der Abtreibungs-selbstbezichtigung fungierte.

Unklar bleibt auch, was die Schwarzer dazu brachte, ihr Geschlecht als das unterdrückte zu begreifen. Bis zur Zuspitzung – etwa durch die Abtreibungsfrage und die Orgasmusdebatte – konnte sie karrieretechnisch passabel durchstarten, veranstaltete mit ihrer quicklebendigen Frauenclique Wettbewerbe, wer abends mit den meisten Kerlen knutschte, kniff in „schummrigen, engen Gassen“ schon mal „gutgelaunt“ fremden Männern in den Hintern. So, gezeichnet als fröhliche femme fatale, gefällt sich die Schwarzer im Rückblick, sie nennt ihre „Traummaße“ damals, verweist auf die Modelabels, deren Schneiderei ihre schicken Kleidchen entsprangen und schildert zum wiederholten Male genüßlich, wie sie als linke „28jährige Blondine in sehr hochgerutschtem Minikleid mit bloßen Beinen vor Sartre“ sitzt, mit dem und vor allem mit dessen Frau, der Ur-Feministin Simone de Beauvoir, sie eine innige Freundschaft eingehen wird.

Im übrigen seien es die vielfachen Anmachversuche auf der Straße („durch eine gewisse Sorte Männer, die hier in Paris stärker vertreten sind als in anderen Großstädten“) gewesen, die sie dazu geführt hätten, ihr Äußeres so „abweisend“ – aber stets gehüllt in teure Marken, das ist ihr wichtig – zu gestalten. Wir erfahren nicht, was Schwarzer, die nach eigener Aussage nie schwanger war und ihre Kinderlosigkeit nie bereute, im Inneren dazu getrieben hat, sich mit solcher Vehemenz für die „sanfte, schonende (!) Abtreibungsmethode“ einzusetzen. Am 9. März 1974, Frauentag, steht sie einer dreifachen Mutter, „34jährige Hausfrau und Katholikin“, bei („ich halte ihre Hand“), die vor laufender Kamera einen sogenannten Eingriff vornehmen läßt. Der Beitrag für die ARD-Sendung Panorama, der die „Harmlosigkeit der Methode“ veranschaulichen sollte, wird nicht gesendet. Für Schwarzer ist das noch heute „der krasseste Fall von Zensur in der Geschichte der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten“.

Auf neun Zeilen bringt die Autorin andernorts diese zwei persönlichen Erschütterungen unter: a) daß die „schmerzfreie“ Absaugmethode in Deutschland weitgehend unbekannt ist, und b) daß sie den progressiven französischen Absaugarzt am nächsten Tag aus Gedankenlosigkeit nicht zu dessen Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau begleitet hat – sie kann sich letzteres „bis heute nicht verzeihen“.

In ihrer Rede zum Börne-Preis hatte Schwarzer die Juden- und die Frauenfrage so dezidiert wie skandalös miteinander verknüpft. In dieser Ausdrücklichkeit tut sie das hier nicht, auf die angebliche Stellung beider als Parias, denen ihre Sympathie gegen alle Widerstände gehört, spielt sie wiederholt an.

Eine gewisse Stutenbissigkeit schimmert hingegen laufend durch, gelegentlich nicht ohne Grund: In den Siebzigern wurde die Wortführerin der Emanzipation, die sich nie einer der zahlreichen Frauengruppen anschloß, nicht nur von außen (die Angriffe der Massenmedien setzten unterhalb der Gürtellinie an), sondern auch intern angefeindet. Die Schwarzer kompensiert das in ihrem Rückblick durch Ergüsse von Eigenlob. Jeder Gegenspieler wird von ihr als „tragische Figur“ abgewertet, eine Interpretation, die sie bis heute (Verona Feldbusch, Eva Herman, Charlotte Roche et al.) zur Hilfe nimmt. Bemerkenswerterweise bezieht Schwarzer gegen den akademischen Genderdiskurs Stellung. Mit der behaupteten Austauschbarkeit von Sex und Gender werde in einer lebensfernen Weltsicht eine Utopie zur Realität erklärt. Fest steht für sie dennoch: „Kultur sticht Biologie“, das soziale Geschlecht mit seinen Rollenzuweisungen sei eine Konstruktion. Man muß ihr lassen: Vor ein paar Jahrzehnten hätte keiner auch nur begriffen, wovon sie redet. Heute, nicht zuletzt durch Schwarzers Zutun, ist diese Erkenntnis bis in die letzte Dorfgrundschule durchgedrungen.

Alice Schwarzer: Lebenslauf. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011, gebunden, 464 Seiten, Abbildungen, 22,99 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen