© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/11 / 21. Oktober 2011

„Zu uns fassen die Bürger Vertrauen“
Er ist der neue Stern am Himmel der europäischen Rechtsparteien: Timo Soini und seine „Wahren Finnen“ waren die Überraschung der finnischen Wahlen im April. Und ihr Aufstieg setzt sich fort, Umfragen sehen die Partei inzwischen auf Platz zwei. Nun will Soini gar Staatspräsident werden EU.
Moritz Schwarz / Anni Mursula

Herr Soini, 2012 wollen Sie Staatspräsident werden. Haben Sie wirklich Chancen?

Soini: Ja, sicher. Im April waren wir der Überraschungssieger der Wahl, im Sommer laut Umfragen sogar stärkste Partei. Ich denke, es wird zwei Wahlgänge geben, und ich glaube, im zweiten habe ich durchaus Chancen zu gewinnen.

Nach langen Jahren völliger Bedeutungslosigkeit ist Ihrer Partei nun ein kometenhafter Aufstieg gelungen. Was ist das Geheimnis der „Wahren Finnen“?

Soini: Es gibt einige Gründe für unseren Erfolg, vor allem ist es wohl die Fehlfunktion der Euro-Zone. In Dänemark und Schweden gab es Volksabstimmungen über den Beitritt zum Euro, und in beiden Ländern entschieden sich die Bürger dagegen. Die Finnen aber wurden, wie die Deutschen, nicht gefragt, obwohl sie sich, vermutlich wie die Deutschen auch, ebenso gegen den Euro entschieden hätten.

Aber fast 15 Jahre lang blieben die „Wahren Finnen“ erfolglos. Es muß sich doch etwas Grundlegendes in Finnland verändert haben, das Ihren politischen Sturmlauf von Null auf Hundert ermöglicht hat.

Soini: Ja, es ist viel passiert, die Meinungsumfragen haben uns inzwischen sogar noch über unseren Überraschungssieg vom April hinausgetragen. Und seit 2006 konnten wir unsere Präsenz in lokalen, dem nationalen und dem Europaparlament ausbauen. Ich glaube, wenn man erstmal beweisen kann, daß man zu seriöser Politik in der Lage ist, wenn man also die Chance hat, sich zu bewähren, dann fassen die Bürger auch Vertrauen.

Was soll „Wahre Finnen“ eigentlich bedeuten?

Soini: Oh, so nennen wir uns nur noch in Finnland, unseren englischen Namen haben wir vor kurzem geändert, weil man uns diese Übersetzung „Wahre“ verpaßt hat. Auf englisch heißen wir jetzt „Finn‘s Party“, also Finnische Partei.

Wie würden Sie denn Ihren Namen „Perussuomalaiset“ übersetzen?

Soini: Unseren finnischen Namen kann man nicht so einfach übersetzen. Die Übersetzung „Wahre Finnen“ führte aber immer zu dem impliziten Vorwurf, wir würden anderen vorwerfen, keine echten Finnen zu sein. Was wir tatsächlich mit unserem Namen ausdrücken wollen ist, daß wir für Finnland einstehen.

Konkret?

Soini: Nun, für finnische Werte und finnische Kultur sowie, daß wir eine Partei für alle Finnen sind, egal ob Bauern, Arbeiter, Angestellte oder Unternehmer.

Als Sie im April überraschend drittstärkste Kraft wurden, sahen die meisten Kommentatoren Sie schon in der Regierung. Daraus ist allerdings nichts geworden.

Soini: Das stimmt, das war eine Enttäuschung, denn die Macht zu gestalten hat nur, wer an der Regierung ist. Aber wir hätten für eine Regierungsbeteiligung dem Fall der No-Bail-Out-Klausel in der Euro-Politik zustimmen müssen, das wollten wir nicht. Ich könnte heute Finanz- oder Außenminister sein, das waren die Ämter, die angeboten wurden, wenn wir da mitgemacht hätten. Aber das konnten wir nicht verantworten.

Viele deutsche Medien waren sehr erleichtert, daß es gelungen sei, in Finnland eine Regierungsbeteiligung der „Rechtspopulisten“ zu verhindern.

Soini: So ein Unsinn. Um das klarzustellen: Der Grund für unsere Nichtbeteiligung war nicht, daß man uns als „Extremisten“ betrachtet hätte und nicht mit uns kooperieren wollte. In Finnland bezeichnet uns keiner so. 

In Deutschland die meisten in Politik und Medien.

Soini: Ich bin heute Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des finnischen Parlaments. Ja, glaubt man denn in Deutschland im Ernst, daß das finnische Parlament einen Extremisten in diese Position wählen würde? Nein, wir treten ein für die Interessen der finnischen Steuerzahler und den finnischen Way of Life. Wir verteidigen also die Interessen Finnlands. Das ist doch ganz normal. Was bitte soll daran extrem sein?

Etwa, daß eines der Hauptanliegen Ihrer Partei die Begrenzung der Zuwanderung ist.

Soini: Die finnische Asylpolitik spielte sicher auch eine Rolle, für unsere Wahl – neben vielen weiteren Themen –, aber sie ist keineswegs der Hauptgrund für unseren Erfolg. Wir sind im übrigen  nicht gegen Ausländer. Ich sage, wir können Ausländer bei uns aufnehmen, das ist kein Problem. Ein Problem wird es erst, wenn diese nicht bereit sind, die hiesigen Regeln zu übernehmen, so wie das Finnen tun, die nach Kanada oder in die USA auswandern. Nein, Ausländerfeindlichkeit ist nur ein Etikett, das mancher unserer Partei gern anheften will.

Für viele Rechtsparteien ist die Islamisierung Europas ein zentrales Thema.

Soini: Ich betrachte das nicht als unser Hauptproblem, nicht in Finnland, nein.

Und was ist mit Europa?

Soini: Für den Rest Europas kann ich nicht sprechen. Aber ich bin Katholik und teile Menschen nicht nach ihrem Glauben ein. Ich sage nur, Einwanderer müssen die Regeln respektieren, das ist alles.

Wie erklären Sie sich dann, daß Sie in Deutschland praktisch durchweg als gefährlicher Rechtspopulist gelten?

Soini: Sagen Sie Ihren Kollegen doch bitte, daß das ein Irrtum ist. Aber ich kenne das von Teilen der schwedischen Presse. Doch die Journalisten, die diese Artikel schreiben, kenne ich allesamt nicht. Das heißt, sie haben mich noch nie besucht, sie haben noch nie mit mir gesprochen, sie waren nicht bei mir, um sich ein eigenes Bild zu machen – sie sprechen vermutlich noch nicht einmal Finnisch. Ich dagegen spreche fließend Englisch wie auch Schwedisch, und ich verstehe auch etwas Deutsch. Ich habe auch nichts gegen politische Kritik, aber uns als Extremisten zu verteufeln, heißt im Grunde unsere Wähler zu verteufeln und damit das Prinzip der Demokratie zu mißachten.

Finnland verlangt, anders als Deutschland, Garantien für seine Beteiligung an der Euro-Rettung. Kritiker sagen, hier habe sich die finnische Regierung dem Druck Ihrer Partei gebeugt.

Soini: Stimmt, ohne uns, ohne unseren Erfolg, gäbe es diese Forderung nicht. 

Sie bestimmen also aus der Opposition heraus in Sachen Euro-Politik den Takt der finnischen Regierung?

Soini: In dieser Sache ja.

Ähnlich soll es mit der Erweiterung des Schengen-Abkommens sein, das unter anderem von Finnland derzeit blockiert wird.

Soini: Nein, dieser Fall ist nicht so eindeutig. Wir mögen da eine Rolle spielen, sind aber nicht der alleinige Grund. Hier gibt es auch bei anderen Vorbehalte. Aber hier kommen wir zum Kern der Antworten auf Ihre Fragen: Die Euro-Politik ist nicht nur der Hauptgrund für unseren Wahlerfolg, sondern ebenso wohl für unsere Verteufelung als Rechtspopulisten – nicht in Finnland, aber etwa in Schweden oder Deutschland. 

Inwiefern?

Soini: Man kann in Steuerfragen anderer Meinung sein, bei Bildung oder sozialer Gerechtigkeit, aber kann es nicht in Fragen der EU. Wenn man da eine andere Meinung vertritt, wird man flugs zum Populisten oder Extremisten gestempelt. Wer die EU kritisiert, ist quasi per Definition ein Extremist – das hat allerdings nichts mit der Wahrheit zu tun, das ist Politik.

Sie haben die EU einmal die „Sowjetunion der Reichen“ genannt. Was haben Sie damit gemeint?

Soini: Daß wir Europa nicht überregulieren sollten. Denn, was überreguliert ist, funktioniert nicht mehr, es kommt zum Erliegen.

Dennoch konnten Sie nicht verhindern, daß Finnland vor wenigen Tagen erst dem erweiterten Euro-Rettungsschirm zugestimmt hat.

Soini: Leider, dabei hat das System doch bereits beweisen, daß es nicht funktioniert. Es ist eine Fehlkonstruktion per Definition. Denn es enthebt die Verursacher ihrer Verantwortung und überträgt sie jenen, die laut Vertrag von Maastricht diese gar nicht übernehmen dürfen. Das ist auch der Grund, warum sie das Rettungssystem erstmal temporär gestalten, denn bevor sie es permanent machen, müssen sie die Verträge ändern.

Was passiert, wenn dieser Systemwechsel permanent wird?

Soini: Ich fürchte, dann wird es zu Euro-Bonds kommen, was heißt, daß die finnischen, deutschen, österreichischen und holländischen Steuerzahler für die Staaten bezahlen werden müssen, die nicht in der Lage sind, ihre Haushalte in eigener Regie verantwortungsbewußt zu führen. Das ist ungerecht und endet in einer Schuldenunion, und es unterhöhlt die Marktwirtschaft, wo der, der den Profit hat, auch das Risiko trägt. Von nun an trägt das Risiko der Steuerzahler – das ist die Zerstörung des Systems. 

Also kritisieren Sie Deutschland dafür, daß es als eine der EU-Führungsmächte diesen Kurs einschlägt?

Soini: Das ist bedenklich, sicher. Es ist ja kein Geheimnis, daß bei den Christdemokraten im Bundestag viel Druck auf die Kritiker der Rettungspolitik ausgeübt wird. Das beunruhigt mich deshalb, weil die Essenz der Demokratie Transparenz und Berechenbarkeit ist. Dazu gehört, daß Politiker, die dem nicht entsprechen, abgewählt, und solche die diese Tugenden pflegen, wiedergewählt werden können. Wenn Druck hinter den Kulissen dies verschleiert, ist das nicht gut. Sehen Sie, als die erste Krise um Athen ausbrach, war ich skeptisch, was die Rettungspläne angeht, aber man versuchte mich, wie den Kritiker bei Ihnen, damit ruhigzustellen, indem man mir vorwarf: „Sie verstehen nichts davon! Halten Sie sich zurück! Unsere Maßnahmen werden das Problem lösen.“ Doch dann folgten Irland, Portugal, nun erneut Griechenland … Offenbar waren meine Zweifel doch nicht unbegründet. Und das ist der Grund, warum Finnland nun Garantien fordert, nicht weil wir gegen Europa sind, sondern weil wir den Versprechungen aus Erfahrung nicht mehr trauen. Die Risiken der Griechenland-Rettung sind weiter enorm, und falls wir unsere Garantien nicht bekommen, sollte Finnland aus der Rettung aussteigen. Der Beitrag der finnischen Steuerzahler beträgt 14 Milliarden Euro, der der deutschen Steuerzahler sogar über 25 Prozent des Gesamtvolumens. Das sollte bei Ihnen in Deutschland jeden Steuerzahler zutiefst beunruhigen.

Auch in Deutschland ist laut Meinungsforschung eine schweigende Mehrheit gegen die Euro-Rettung, dennoch entsteht bei uns keine solche Partei wie die „Wahren Finnen“.   

Soini: Das ist mir unverständlich, denn ich kenne etliche deutsche Politiker aus der Zusammenarbeit im europäischen Parlament. Sehr nette Leute, aber ich habe nicht einen kennengelernt, der skeptisch gegenüber dem offensiven Kurs der EU eingestellt ist, egal ob Christdemokraten, Liberale, Grüne, Sozialdemokraten oder Linke. In Sachen EU gibt es keine Unterschiede zwischen ihnen,  so daß jene deutschen Wähler, die eine andere Meinung haben, keinen einzigen deutschen Abgeordneten in Straßburg und Brüssel haben, der ihre Ansichten repräsentiert.

Falls Sie 2012 tatsächlich Staatspräsident werden sollten, würden Sie die Position nutzen, um auch in Europa etwas zu ändern?

Soini: Nun, die Macht des Präsidenten ist begrenzt, es ist die Regierung, die da vor allem Einfluß hat. Aber ich würde in der Tat vor allem versuchen, das europäische Projekt in Richtung Freihandel und Kooperation zu beeinflussen, und wegzukommen von der Überregulierung der EU. Ich betrachte mich durchaus als einen Europäer, aber ich glaube nicht denen, die sagen, Europa, das sei deckungsgleich mit der EU.

 

Timo Soini ist „der Rechtspopulist Finnlands“ (Financial Times), der Mann „der Europa Angst macht“ (Bild) und der in Finnland „ein ganzes Parteiensystem zerzaust hat“ (FAZ).  Parteichef Soini gründete die rechtskonservative Perussuomalaiset, kurz PS oder „Perus“, zu deutsch Basisfinnen oder „Wahre Finnen“, bereits 1995. Zehn Jahre lang blieb PS eine Ein-Prozent-Partei. 2007 hangelte sie sich erstmals auf vier Prozent hoch. Doch erst nach 14 Jahren gelang bei der Europawahl 2009 mit fast zehn Prozent ein wirklicher Erfolg. Im April 2011 avancierte Perus dann mit über 19 Prozent zum Überraschungssieger der Parlamentswahl und zur drittstärksten Kraft. Im August rangierte die Partei laut Umfragen sogar auf Platz eins in der Wählergunst, derzeit liegt sie auf Rang zwei. Über den studierten Sozialwissenschaftler Soini, Jahrgang 1962, schreibt das schwedische Nachrichtenmagazin Fokus:  „Wer ihn trifft, kann ihn nur mögen. Er ist witzig, sympathisch und schlagfertig. Er scheint weder ein Schreihals noch ein Dummkopf zu sein, und seine tiefe Frömmigkeit bleibt diskret.“

 www.perussuomalaiset.fi

Foto: Wahlsieger Timo Soini (im April 2011): „Es gibt einige Gründe für unseren Erfolg, vor allem ist es wohl die Fehlfunktion der Euro-Zone ... Der Beitrag der finnischen Steuerzahler zur
Euro-Rettung beträgt 14 Milliarden Euro, der der deutschen Steuerzahler sogar über 25 Prozent des Gesamtvolumens. Das sollte auch bei Ihnen die Steuerzahler zutiefst beunruhigen. “

 

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