© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/11 / 21. Oktober 2011

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Glimmende Zündschnur
Paul Rosen

Neue Besen kehren gut und gründlich. Manchmal auch zu gründlich. In der Bundestagsverwaltung ging die neue Pressesprecherin von Präsident Norbert Lammert (CDU) etwas zu forsch ans Werk. Erst wenige Tage im Amt, legte die „resolute Organisatorin“ (taz) Sabine Adler los und ordnete an, den Internet-Auftritt des Bundestages umzukrempeln. Die Beschäftigten des Internet-Referats reagierten fassungslos und empört. Sie hatten erst kürzlich einen gelungenen Relaunch umgesetzt.

Rücksprachen nahm Adler vor der Umsetzung nicht vor. In Abwesenheit der Internet-Leiterin sei sie in die Redaktion geplatzt und habe mit den Änderungsankündigungen losgelegt, wird aus dem Bundestag berichtet. Strukturveränderungen hinter dem Rücken und ohne Absprache mit dem betroffenen mittleren Management durchzuführen, gehört sich weder in der Wirtschaft noch im öffentlichen Dienst. So ein Verhalten läßt auf schwere charakterliche Defizite schließen.

Im Fall Adler kommt noch etwas anderes hinzu. Wie berichtet, absolvierte sie ihre journalistische Ausbildung zu DDR-Zeiten an der Universität Leipzig, im Volksmund wegen der engen Anbindung an die SED auch das „Rote Kloster“ genannt. Nur besonders Linientreue durften dort studieren, um dann Journalist zu werden. Die von Adler  hintergangene Leiterin des Internet-Bereichs hat einen anderen Lebensweg hinter sich. Sie kommt wie Adler aus der DDR, befand sich aber dort nicht auf der Sonnenseite, sondern stand unter Druck des kommunistischen Systems, so daß sie das Land verließ. Lammert soll nach heftigen Protesten seine neue Pressesprecherin zurückgepfiffen und die Aktion gestoppt haben.

Für den Präsidenten ist die Angelegenheit mehr als eine lästige Lapalie: In seiner eigenen Fraktion wird kräftig Stimmung gegen ihn gemacht. Daß Lammert zwei Euro-Abweichler aus CDU und FDP in der Rettungsschirm-Debatte reden ließ, stieß auf Mißfallen der gesamten Fraktionsführung. Die enge Gefolgschaft von Kanzlerin Angela Merkel ist ohnehin sauer auf den westfälischen CDU-Mann, weil er so stark die Unabhängigkeit des Parlaments betont. Und jetzt ist das Fußvolk in der Fraktion erschüttert, weil er sich eine „von der SPD protegierte Sprecherin“ (Süddeutsche) geholt hat – vielleicht um bei den Genossen gutes Wetter zu machen. Die verschiedenen Stränge könnten wie Zündschnüre zu einer Explosion führen.

Einige Berliner Journalisten haben Anlaß, über Fehlbeurteilungen nachzudenken. Hans Peter Schütz von stern.de etwa, der Lammerts bissige Sprecherin als „scharfsinnig-charmant“ hochjubelte. Auch Jutta Wagemann vom Evangelischen Pressedienst gehört dazu. Sie dichtete über die Rote-Kloster-Absolventin: „Die 48jährige mit der angenehm dunklen, tragenden Stimme ist bei ihren Kollegen beliebt.“ Ein Satz aus Wagemanns Lobhudelei über die „neue Stimme des Bundestages“ erscheint nun in einem anderen Licht: „Mit Sabine Adler wird jetzt ein neuer Stil in die Pressestelle des Bundestages einziehen.“ Aber kein guter.

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