© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/11 / 21. Oktober 2011

CD: Pop
Nervöse Anspannung
Georg Ginster

Die Hoffnung, daß das Leben doch nicht der Ernstfall wäre und jederzeit etwas anderes als das Notwendige möglich sein könnte, bedarf der gelegentlichen Anhaltspunkte, und wo der Alltag diese nicht bereithält, müssen sie halluziniert werden. Am Abholpunkt hat sich der Auch-Jazz-Musiker Dominik Schäfer mit seinem unter dem Namen Enik firmierenden Indie-Pop-Soloprojekt positioniert und lädt dazu ein, es für einen Moment mit der Pose des entfesselten Individuums zu probieren, das durch zufällige Eingebungen zu spontanen Reaktionen getrieben wird.

Auf der jüngst erschienenen CD „I Sold My Moon Boots to a Girl from Greece“ (3010 Records/Studio Babuschka/Rough Trade) bietet er dazu ein synkretistisches Potpourri der guten Laune, das Hörern recht unterschiedlichen Zuschnitts die Chance eröffnet, ihr Pogo tanzendes Alter ego zu entdecken. Die Klammer, die diese Veröffentlichung zusammenhält, ist keine stilistische. Enik oszilliert vielmehr zwischen naivem Polka-Punk (mit „Anti Anti Anti“ als dem Glanzpunkt der CD), ins Burleske gedrehter Tom-Waits-Karaoke, ironischen Wave-Anklängen und glamourösem Pop voller kitschig-überspanntem Streicherpathos. Dabei ist es Schäfers exaltierte Stimme allein, die dem Hörer über alles musikalische Hakenschlagen hinweg Kontinuität vermittelt, indem sie ihn in einen Zustand nervöser Daueranspannung versetzt.

Die Muße, über die ihm in den Texten aufgegebenen Rätsel zu grübeln, ist ihm dabei nicht vergönnt. Er bedarf ihrer aber auch nicht, da er sich in der Sicherheit wiegen darf, daß gar kein Geheimnis der Entschlüsselung harrt und die schillernden Signalwörter für sich genommen werden können. Das lässige und verschmitzte Chiffrieren von Impressionen, die sich mutmaßlich nur durch Verstöße gegen die BTM-Gesetzgebung gewinnen lassen, beraubt ihn jedoch ungeachtet der Eingängigkeit mancher seiner Melodien der Massenkompatibilität. Wer im Bierzelt oder auf der Oberstufenparty verstanden und mitgesungen werden möchte, muß die Sprache seiner Hörer sprechen und nette, aufmüpfige Geschichtchen mit sich früh abzeichnender Pointe erzählen. So ist Enik bestenfalls lustig, ohne die Marktchancen, die Fun-Punk zu eröffnen vermag, nutzen zu können.

Am entgegengesetzten Abholpunkt wartet Erika M. Anderson auf Kundschaft, die in ihrem Leben an emotionaler Unterforderung leidet und zur Hebung des eigenen Selbstwertgefühls nach ein bißchen Schwermut Ausschau hält. Auf diesem Marktplatz herrscht jedoch dichtes Gedränge. Die Strategie, mit der die Amerikanerin mit ihrem auf ihre Initialen EMA getauften Projekt sich Aufmerksamkeit zu verschaffen sucht, ist die erratische und bisweilen arrogante Selbstinszenierung. Ihre Debüt-CD „Past Life Martyred Saints“ (Souterrain Transmissions) präsentiert sie als vielseitige Künstlerin, die eine Bandbreite von Post Rock über Einschlaf-Grunge bis hin zu A-Cappella-Country meistert und dabei sogar noch aus der Enge, die der jeweilige Stil auferlegt, ausbricht.

Dies ist nett, baut in der Summe aber eine Distanz zu jenen Hörern auf, die sich nicht auf die Attitüden der Künstlerin einlassen wollen. Der Anreiz dafür ist jedoch gering. Mehr als ein lächelndes „Mittelfinger hoch“ und schale Abgrundbilder hat sie nicht im Repertoire.

Enik, I Sold My Moon Boots to a Girl from Greece 3010 Records/Studio Babuschka/Rough Trade, 2011   www.rough-trade.net

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