© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/11 / 28. Oktober 2011

Eine Armee, die keine sein darf
Der Bundeswehr mangelt es an Selbstbewußtsein, daran ändert auch die neue Streitkräftereform nichts
Felix Krautkrämer

Nichts ist bei der Bundeswehr so beständig wie die Veränderung. Was früher als Kommentar auf eine unerwartete Lageänderung im Manöver gemeint war, gilt mittlerweile für die Armee als Ganzes. Planungssicherheit scheint zum Fremdwort geworden zu sein. Eine Reform jagt die nächste (seit 1990 bereits sechs). Zurück bleibt häufig nur Stückwerk.

Doch nun soll das „ganz große Rad“ gedreht werden. Die vom damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg angestoßene und von seinem Amtsnachfolger Thomas de Maizière umgesetzte Reform der Streitkräfte soll die Bundeswehr „fit“ für die Aufgaben des 21. Jahrhunderts machen. Flexibler, schlanker, effizienter, moderner, schlagkräftiger – und vor allem billiger muß die Truppe werden.

Ein zentrales Problem, mit dem sich die Bundeswehr seit ihrer Gründung und insbesondere dem Wegfall des Ost-West-Konflikts herumschlägt, bleibt dennoch bestehen: Sie ist eine Armee, die keine sein darf. Soldatische Werte wie Tapferkeit, Härte, Mut und Ehre gelten als unzeitgemäß und vordemokratisch. Der deutsche Soldat soll vieles sein: Friedensbringer, Menschenrechtswahrer und Vermittler zwischen den Kulturen – nur eben nicht Soldat. Die Aufgaben der Bundeswehr sind vielfältig und reichen vom Katastrophenschutz in der Heimat bis zum Brunnenbohren in Afghanistan. Kämpfen soll die Truppe nach Möglichkeit aber nicht, vom Töten ganz zu schweigen. Mit dem Prinzip der „Inneren Führung“ und dem Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform“ wurde ein Instrument für die als notwendig erachtete „Zivilisierung“ der Bundeswehr geschaffen. Die Armee sollte nie wieder „Staat im Staate“ (Reichswehr) oder gar „willfähriges Instrument“ einer Diktatur (Wehrmacht) werden.

Doch was historisch betrachtet bei der Gründung der Bundeswehr noch nachvollziehbar war, hat sich im Laufe der Jahre zu einem Glaubensbekenntnis entwickelt, das von Politik und militärischer Führung mantraartig vorgebetet wird. „In der Bundesrepublik Deutschland besteht eine freiheitliche und pluralistische Gesellschaft, die von vielfältigen Überzeugungen, Lebensentwürfen, religiösen und weltanschaulichen Bekenntnissen, Meinungen und Interessen gekennzeichnet ist“, heißt es in der Zentralen Dienstvorschrift 10/1 „Innere Führung“. Die „Menschen in der Bundeswehr“ (wohlgemerkt nicht Soldaten) seien Teil der Gesellschaft mit ihrer Vielfalt, aber auch mit ihren Interessengegensätzen und Konflikten. Damit stehe auch die Bundeswehr im Widerstreit der Meinungen und im Spannungsfeld unterschiedlicher Generationen, Kulturen und Herkünfte. „Der Inneren Führung entspricht es, daß die Angehörigen der Bundeswehr einander als Mitglieder einer freiheitlichen und pluralistischen Gesellschaft anerkennen und sich mit den gesellschaftlichen Entwicklungen auseinandersetzen.“

Was sich wie eine Pressemitteilung der Integrationsbeauftragten Maria Böhmer anhört, ist die grundlegende Vorschrift für den Dienst in der Bundeswehr. Sie enthält nach Ansicht der Verfasser die „prinzipiellen Aussagen zum Selbstverständnis der Soldatinnen und Soldaten“.

Mag sein, daß solche Worthülsen im täglichen Dienst keine große Rolle spielen, doch stehen sie symptomatisch für das offiziell verordnete Selbstverständnis einer Armee, in der manchem die Durchsetzung der geschlechtergerechten Sprache wichtiger erscheint als die Ausrüstung der kämpfenden Truppe. Hinzu kommt eine militärische Führung, die – anstatt gegenüber der Politik auf die wahren Belange der Bundeswehr zu pochen – nur allzu häufig in einer Mischung aus Duckmäusertum und vorauseilendem Gehorsam agiert. „Frauen in alle Truppengattungen? Machen wir Herr Minister!“, „Traditionserlaß? Hatten wir selbst schon drüber nachgedacht!“, „Abschaffung der Wehrpflicht? Für uns kein Problem!“ Nur selten verfügte eine deutsche Armee über ein politisch dermaßen opportunistisches Offizierskorps wie die heutige Bundeswehr. Erinnert sei nur an den Fall Günzel, als ein verdienter General in einer Art und Weise vom Hof gejagt wurde, die bei jedem Offizier für einen Aufschrei der Empörung hätte sorgen müssen. Doch anstelle von Protest nur betretenes Schweigen. Karriere geht eben vor Kameradschaft. Ähnlich verhielt es sich mit dem geschaßten Kommandanten der „Gorch Fock“, Norbert Schatz, oder dem abgesetzten Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan. Wenn überhaupt wird Kritik erst mit dem Erreichen des Pensionsalters geäußert, und selbst dann häufig nur sehr verhalten.

Und genau das ist das Problem. In Zeiten, in denen parteipolitische Erwägungen das Handeln des Staates bestimmen, braucht es eine selbstbewußte Armee. Wie soll die Bundeswehr angesichts des Wegfalls der Wehrpflicht Nachwuchs gewinnen, wenn sie sich ohne zu Murren höchstrichterlich als „Mörder“ diffamieren und aus Schulen verbannen läßt? Wie, wenn Soldaten am Tag der offenen Tür in der Kaserne Kinder nicht einmal durch ein Visier schauen lassen dürfen, ohne deswegen mit einem Disziplinarverfahren rechnen zu müssen?

Die Bundeswehr muß sich überlegen, wie sie ohne die Wehrpflicht auch künftig genügend Soldaten rekrutieren kann, ohne dabei zur Söldnerarmee zu verkommen. Da die ersten Freiwilligen den Dienst bereits quittieren, wenn der Ton etwas rauher wird, mehren sich die Rufe, mangelnde Motivation durch höheren Sold auszugleichen. Eine Armee, die ihre Soldaten aber nur über die Höhe des Gehalts oder eine reizvolle Berufsausbildung an sich bindet, wird im Ernstfall scheitern. Und auch die stets propagierten Werte der Inneren Führung (Menschenwürde, Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit, Gleichheit, Solidarität und Demokratie) dürften sich nur bedingt als tauglich erweisen, Soldaten bei der Fahne zu halten, sollte die Bundeswehr einmal wirklich „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes“ verteidigen müssen.

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