© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/11 / 28. Oktober 2011

„Eine Idee für Europa nach dem Euro“
250.000 britische Pfund hat ein englischer Lord ausgelobt für denjenigen, der den besten Plan einreicht, den Euro zu verlassen. Was bewegt den Unternehmer und Oberhausabgeordneten, dafür den zweithöchst dotierten Wirtschaftspreis nach dem Nobelpreis zu stiften?
Moritz Schwarz

Lord Wolfson, Sie saßen mit einem Scotch und die „Times“ lesend in Ihrem Club und kamen dabei auf die Idee, einen Preis auf den Euro-Ausstieg auszuloben.

Wolfson: So war es nicht ganz ... nun, eigentlich war es gar nicht so, fürchte ich.

So stellt man es sich vor, wenn ein englischer Lord eine „splendid idea“ hat.

Wolfson: Nun, vielleicht war das vor hundert Jahren so ... Ich habe mir vielmehr als Unternehmer ganz nüchtern überlegt, was passiert, wenn der Euro kollabiert und was geschehen müßte, um dann den Schaden möglichst zu minimieren.

Ein britischer Lord, konservativ und Mitglied des Oberhauses, ist natürlich gegen den Euro – so das Klischee.

Wolfson: Ganz und gar nicht. Ich wünsche mir keineswegs, daß der Euro zusammenbricht, denn das würde sehr viel Leid verursachen.

Gerade hat es im Unterhaus sogar eine Initiative des konservativen Tory-Flügels gegeben, um aus der EU auszutreten.

Wolfson: Die gescheitert ist. Nein, die meisten britischen Konservativen sind für unsere Mitgliedschaft in der EU, wenn auch nicht für den Euro – was wiederum nicht bedeutet, daß sie sich den Untergang des Euro wünschen.

Offenbar haben Sie aber nicht allzuviel Vertrauen in dessen Rettung?

Wolfson: Ich hoffe wirklich, sie gelingt.

Warum stiften Sie dann einen Preis dafür, den Euro zu verlassen?

Wolfson: Es besteht eben auch die Chance, daß es schiefgeht, und dann wäre es schlau, einen Plan B zu haben.

Wäre es aber nicht konstruktiver, einen Preis für die Euro-Rettung auszuschreiben? Sie scheinen doch mit seinem Scheitern zu rechnen.

Wolfson: Alle machen sich darüber Gedanken, den Euro zu retten – 17 Regierungen, 17 Zentralbanken tun das – aber keiner denkt darüber nach, was zu tun ist, wenn er kollabiert.

Sie hoffen, daß die Rettung klappt, oder glauben Sie es auch?

Wolfson: Fürs erste wird es funktionieren, denke ich.

Natürlich, wenn man sich verschuldet, ist immer erstmal Geld da. Das dicke Ende kommt später.

Wolfson: Ich möchte über einen längeren Zeitraum lieber keine Vorhersagen machen, das wäre Spekulation, und Spekulationen sind nicht mein Geschäft. Ich halte mich an die Fakten, und die Fakten sagen, daß die Gefahr besteht, daß die Rettung mißlingt und alles zusammenbricht. In diesem Fall aber sollten wir nicht mit bloßen Händen dastehen. Europa braucht eine Idee, wie es dann weitergehen soll.

Eigentlich müßte eine verantwortungsbewußte Regierung selbst so einen Plan haben. Machen Sie nicht die Hausaufgaben der Politik?

Wolfson: Ich möchte die Regierungen mit meiner Initiative keineswegs implizit kritisieren. Das ist nicht mein Metier.

Tun Sie aber.

Wolfson: Inwiefern?

Weil Sie, wenn Sie die Aufgabe des Euro als Option ins Spiel bringen, die Unbedingtheit der Rettungspolitik untergraben.

Wolfson: Das sehe ich nicht so. Und ich habe immer wieder betont, daß ich den Euro nicht stürzen, sondern nur vorbereitet sein will, wenn er stürzt.

Kanzlerin Merkel nennt die Euro-Rettung „alternativlos“. Sie will nicht, daß über Alternativen überhaupt diskutiert wird. Ihre Initiative bricht dieses Tabu, damit fordern Sie die deutsche Regierung heraus.

Wolfson: Das glaube ich nicht. Denn ich kann mir nicht vorstellen, daß eine europäische Regierung das Denken verbieten will.

Was soll die Parole „alternativlos“ sonst bedeuten?

Wolfson: Nein, das wäre sehr uneuropäisch.

Bei der ESFS-Abstimmung im Bundestag hat die CDU sogar versucht, ihre Euro-Kritiker von der Rednerliste zu streichen.

Wolfson: Ich wiederhole, es ist nicht meine Sache, eine Regierung zu kritisieren. Man muß vielmehr verstehen, daß die Politik in einer heiklen Lage ist: Wenn sie darüber nachdenken würde, was zu tun ist, wenn der Euro zusammenbricht, würden die Leute das als Zeichen dafür interpretieren, daß dies bevorsteht und das würde ihre Rettungsbemühungen in der Tat untergraben. Das könnte in einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung enden. Deshalb verstehe ich, daß die Politik vor dieser Frage zurückscheut. Um so wichtiger ist es, daß wir – private Ökonomen, die wir tun können, was die Politik nicht kann, ohne allgemeine Verunsicherung auszulösen – uns um dieses Problem kümmern.

Großbritannien ist nicht Mitglied im Euro, warum engagieren Sie sich also überhaupt?

Wolfson: Unsere Wirtschaft ist mit der europäischen eng verwoben. Aber vor allem: Wenn der Euro zusammenbricht, hat das Auswirkungen auf die gesamte Weltwirtschaft. Ein Euro-Kollaps würde sich auf das Bankenwesen auswirken und sich über Ländergrenzen hinweg fortpflanzen. Ein Problem, das die Euro-Zone nicht in den Griff bekommt, bleibt kein Problem der Euro-Zone, sondern reißt auch andere mit sich.

Sind Sie froh, daß Großbritannien nicht Mitglied der Euro-Zone ist?

Wolfson: Aber natürlich, und ich hoffe, das bleibt erstmal auch so.

Aber Deutschland hat so viele Vorteile von seiner Mitgliedschaft im Euro: Er unterstützt etwa unseren Export enorm! Bisher haben wir daran vor allem verdient. Wäre das nicht auch für Großbritannien attraktiv?

Wolfson: Äh, nein.

Warum nicht?

Wolfson: Sie vermischen da zwei Dinge: Die Euro-Zone und der europäische Binnenmarkt sind nicht deckungsgleich. Großbritannien ist EU-Mitglied und exportiert so problemlos einen erheblichen Anteil seiner Produkte in andere EU-Staaten. Dazu muß es aber nicht auch Mitglied des Euro sein. Zu einer Währungsunion zu gehören, ist etwas ganz anderes und hat keine entscheidenden Vorteile für den Export.

In der deutschen Debatte ist das allerdings eines der Hauptargumente der Euro-Befürworter.

Wolfson: Ich bin, wie gesagt, keineswegs per se gegen den Euro, doch dieses Argument sticht nicht. Im Moment sind wir hier alle ganz froh, nicht zum Euro zu gehören und damit nicht die fiskalischen Verpflichtungen zu haben, wie Ihr Deutschen, beziehungsweise wie sie noch auf Deutschland zukommen werden.

Konkret?

Wolfson: Die Deutschen werden in Zukunft enorme Summen zahlen müssen, um in Krisen geratende Südländer zu stützen. Das Problem ist doch ein grundsätzliches: nämlich die enormen Spannungen in diesem Währungsverbund, vor allem die strukturelle Unterlegenheit einiger südlicher Euro-Staaten. Diese schwächeren Volkswirtschaften verlieren die Instrumente, die sie wettbewerbsfähig machen, etwa abzuwerten, günstig zu produzieren. So halten sie diesen Wettbewerb auf lange Sicht einfach nicht durch.

Sie haben kaum öffentliche Reaktionen aus Deutschland erhalten, obwohl das Problem uns viel mehr angeht als die Briten. Enttäuscht sie das?

Wolfson: Nein, mein Ziel ist nicht, Pressereaktionen zu provozieren, sondern die bestmögliche akademische Antwort auf unser Problem zu erhalten. Unsere Zielgruppe sind die Wissenschaftler, nicht die Medien.

Sind bereits Vorschläge eingereicht worden?

Wolfson: Noch nicht, aber so schnell ist das auch nicht zu erwarten, da ein ausgearbeiteter Vorschlag seine Zeit braucht. Unser Stichtag ist der 31. Januar: Drei Monate müssen wir schon gewähren, wenn wir wissenschaftlich hieb- und stichfeste Beiträge haben wollen. Immerhin hat es aber schon etliche Interessensbekundungen von einzelnen Ökonomen wie auch von Instituten gegeben.

Es gibt Wissenschaftler, die sich bereits mit dem Thema beschäftigt haben, in Deutschland etwa Dirk Meyer von der Universität der Bundeswehr in Hamburg (siehe Interview JF 28/11).

Wolfson: Nun, das ist wohl auch ein bißchen wie bei einer Klausur – man gibt nicht einfach als erster ab, sondern schaut noch lieber mal durch, damit auch alles stimmt.

Mit wie vielen Beiträgen rechnen Sie?

Wolfson: Zehn oder zehntausend, wer kann das wissen? Ich tippe mal, daß am Ende etwa fünfzig Beiträge unserer Seriositätsprüfung standhalten werden.

Was sind die Eckpunkte, die ein Wettbewerbsbeitrag erfüllen muß?

Wolfson: Es sind fünf Schlüsselfragen, die beantwortet werden müssen. Erstens: Welches sind die stabilen Währungszonen, die sich in Europa bilden lassen. Zweitens: Was passiert mit den öffentlichen Schulden? Drittens: Was passiert mit den privaten Schulden, besonders den Hypotheken? Viertens: Was geschieht mit den Sparguthaben? Und fünftens – ganz wichtig: Wie wird der Transitionsprozeß bewältigt? Denn, wenn man etwa die Umwandlung der Sparguthaben in eine neue Währung ankündigt, könnte es zu einer massiven Kapitalflucht kommen. Wichtig wäre auch die Frage, wie sich die Stabilität des Weltbankensystems bewahren läßt.

Der derzeit in Deutschland populärste Euro-Kritiker Hans-Olaf Henkel will den Euro gar nicht verlassen, sondern reformieren – konkret aufspalten. Wäre das auch eine legitime Lösung im Sinne des Preises?

Wolfson: Natürlich, es gibt keine Bedingung, zu den alten nationalen Währungen zurückzukehren – siehe Schlüsselfrage Nummer eins. Es könnten auch zwei oder drei neue Währungsverbünde entstehen – wichtig ist, daß sie funktionieren. Überhaupt wollen wir das lösungsorientierte Denken auf keinen Fall durch zu enge Vorgaben einschränken. Wir erwarten ganz unterschiedliche Lösungsansätze, und wir freuen uns, je größer die Bandbreite ist, damit hoffentlich die beste Lösung auch gefunden wird.

Was passiert, wenn Sie diese haben?

Wolfson: Dann soll sie der Politik zur Verfügung gestellt werden und bereitliegen, für den Fall, daß sie gebraucht wird – was ich nicht hoffe.

Wird es ein Folgeprojekt von Ihrer Seite geben?

Wolfson: Nein, wir haben dann unseren Teil getan und können nur hoffen, daß die Politik eine Lösung findet und nicht die Grundlage für die nächste Krise schafft.

 

Lord Simon Wolfson of Aspley Guise sorgte vor allem in Großbritannien mit seinem Preis für den „besten“ Euro-Austritt für Schlagzeilen. Sein dazu gestifteter „Wolfson Economics Prize“ wird einmalig vergeben. Das Preisgeld beträgt 250.000 Pfund, etwa 286.000 Euro – nach eigenen Angaben der zweithöchst dotierte Wirtschaftspreis nach dem Nobelpreis. Die Aufgabenstellung ist wie folgt formuliert: „Wie kann ein geordneter Ausstieg aus der Europäischen Währungsunion von einem oder mehreren Mitgliedsländern bewerkstelligt werden?“ Einsendeschluß ist der 31. Januar 2012. Erwartet werden wissenschaftliche Beiträge. Betreut wird der Wettbewerb von der Londoner Denkfabrik Policy Exchange. Lord Wolfson, 44, ist Textilunternehmer und Mitglied des Oberhauses.

www.policyexchange.org.uk

Foto: Noch gibt es keine Trophäe (Montage) für den Wolfson-Wirtschaftspreis für den „besten“ Euro-Austritt: „Alle machen sich Gedanken, den Euro zu retten, aber keiner denkt darüber nach, was zu tun ist, wenn er kollabiert“

 

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