© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/11 / 28. Oktober 2011

Suche nach dem Siegertypen
USA: Im Rennen ums Weiße Haus wittern die Republikaner Morgenluft / Kandidaten kämpfen mit Haken und Ösen darum, wer gegen Obama antreten darf
Elliot Neaman

Im April 2009 stand es um die US-Wirtschaft nach der Finanzkrise des vergangenen Herbstes denkbar schlecht. Dennoch lagen die Zustimmungsraten für den neuen Präsidenten bei 70 Prozent; lediglich 20 Prozent der Amerikaner hatten eine negative Meinung von Barack Obama. Heute sieht es vollkommen anders aus: Nur noch 44 Prozent glauben, daß er seine Arbeit gut macht, während 47 Prozent eine negative Meinung haben. Die schlechten Umfrageergebnisse scheinen auf eine Niederlage der Demokraten bei den nächsten Präsidentschaftswahlen in einem Jahr hinzudeuten. Die Republikaner wittern Morgenluft und geben sich im Vorlauf auf die im Januar beginnenden Vorwahlen ungewöhnlich streitlustig.

Auch wenn den aktuellen Umfrageergebnissen momentan noch wenig Bedeutung zukommen mag, versuchen die Republikaner bei den Wählern den Eindruck zu erwecken, als sei eine Niederlage der Demokraten bereits unvermeidlich, indem sie auf Obamas Schwächen vor allem in der Wirtschaftspolitik herumreiten.

Die jüngsten Debatten zwischen republikanischen Hoffnungsträgern wurden in Las Vegas mit eindrucksvollen Licht- und Klangeffekten in Szene gesetzt, als handle es sich nicht etwa um eine ernsthafte Diskussion über wichtige politische Themen, sondern um einen großen Boxkampf oder eine Promi-Gala. Nicht zufällig stand Herman Cains Steuerkonzept im Mittelpunkt der Debatten: An die Stelle des derzeitigen bürokratischen Labyrinths soll ein Steuersatz von neun Prozent auf alles treten – Unternehmensgewinne, Einkommen und Konsum. Ökonomen mahnen seit Jahren eine Reform des amerikanischen Steuersystems mit seinen unzähligen Sonderregelungen an. Doch erst jetzt, angesichts der anhaltenden wirtschaftlichen Stagnation, bringt man den politischen Willen auf, radikale Veränderungen in Angriff zu nehmen. Als Erwiderung auf Cains Konzept holte Rick Perry die alte Idee einer Steuerpauschale aus der Schublade, die die 72.000 Seiten der derzeitigen Steuergesetzgebung durch eine Handvoll einfache Bestimmungen ersetzen soll.

Es ist eine alte Binsenweisheit, daß der Zustand der amerikanischen Volkswirtschaft ziemlich akkurat die politischen Geschicke des amtierenden Präsidenten widerspiegelt. Die Stimmung in der Bevölkerung ist düsterer als je zuvor seit der Inflationspanik der ausgehenden 1970er Jahre – angesichts von Bankpleiten, persönlichen Bankrotten, Menschenschlangen bei Essensausgaben, Zeltstädten und hoher Arbeitslosigkeit erscheint sogar der Vergleich mit der Großen Depression nicht allzu weit hergeholt.

Viele Beobachter haben angemerkt, daß zwischen dem Tea-Party-Populismus am rechten Ende des politischen Spektrums und den linken Aktivisten der „Occupy Wall Street“-Bewegung auffällige Ähnlichkeiten bestehen. Beide verbindet der Glauben, die Eliten hätten das System zu ihren eigenen Gunsten gezinkt und dadurch die restlichen 99 Prozent ins wirtschaftliche Elend gestürzt. Ihre Lösungsansätze könnten dagegen kaum unterschiedlicher sein: Die Tea Party will die staatliche Einmischung in wirtschaftliche Belange auf ein absolutes Minimum reduzieren, während die Wall-Street-Besetzer ganz im Gegenteil massive Interventionen fordern, um Arbeitsplätze zu schaffen und Schulden zu streichen.

Die verlockende Aussicht, daß Oba-ma als erster Präsident seit George Bush sen. nach einer Amtsperiode das Weiße Haus verlassen muß, hat die republikanische Kandidatenauswahl schon jetzt zu einer Parade von schillernden Eintagsfliegen werden lassen. Die erste Favoritin hieß Michele Bachmann (JF 26/11), bis sie sich allzu viele befremdliche Äußerungen leistete. Je mehr ihre Sternschnuppe verglühte, desto heller leuchtete der einsame Stern des Texaners Rick Perry – bis er den Mund öffnete und den Menschen auffiel, daß er noch schlechter über die tagespolitischen Ereignisse und die Regeln der englischen Grammatik informiert war als George W. Bush.

Derzeit ist der Farbige Herman Cain der neue Liebling der republikansichen Elite, allerdings erweist er sich zunehmend als Wirtschaftsexperte, der von Politik wenig Ahnung hat. Die republikanischen Wähler werden ihm vermutlich manches vergeben, ist er doch ein Außenseiter in Washington, genau der Typ von „Anti-Politiker“, wie ihn Tea-Party-Aktivisten lieben – aber am Ende dürfte doch die Vernunft siegen und damit das Kalkül, einen Kandidaten auszuwählen, der realistische Chancen hat, Obama zu schlagen. Damit scheidet auch der ultralibertäre Ron Paul aus – bleibt noch Mitt Romney, dem es in den letzten sieben Jahren nicht gelungen ist, seine Zustimmungsrate über die 25-Prozent-Marke zu verbessern.

Viele sehen ihn als einen republikanischen Michael Dukakis, einen Technokraten aus dem kühlen Neuengland, dem jegliche ideologische Inbrunst abgeht. Seine Chancen auf eine Kandidatur stehen dennoch gut – ist er doch der einzige, der tatsächlich gegen Obama siegen könnte.

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