© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/11 / 28. Oktober 2011

Heiße Kämpfe hinter den Kulissen
Spannungsfeld Nahost: Saudi-Arabien und Iran – Alte Feindschaft mit neuer Dynamik
Günther Deschner

Ein verkrachter Autohändler in Amerika, der ständig Schlüssel verlegt und Mobiltelefone verliert, seine angeblichen Komplizen aus der mexikanischen Drogenmafia, die Milliardenumsätze macht, aber sich für eineinhalb Millionen Dollar in Spannungen zwischen Saudi-Arabien und Iran hineinziehen läßt – dieser „Attentatsplan“, der dem saudischen Botschafter in Washington gegolten haben soll – das erinnert zu sehr an den Auftritt von US-Außenminister Colin Powell, als er 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat eine Aluminiumröhre präsentierte, die Iraks Saddam Hussein „zur Produktion von Atomwaffen bestellt“ hatte. Fünf Jahre und Hunderttausende Tote später gestand Powell ein, es habe sich um eine „Irreführung“ gehandelt, die seiner unwürdig gewesen sei.

Dagegen wirkt die abenteuerliche Geschichte, die Amerikas Spin-Doktoren jetzt in Umlauf brachten, geradezu lieblos. Hätte es das Attentat gegeben, es hätte den Iranern nur Nachteile gebracht. Zwar sind ihre Beziehungen zum regionalen Rivalen Saudi-Arabien nicht gut, doch eine Steigerung der verbalen Geplänkel über Schiiten in Bahrain und in der saudischen Erdölprovinz Hassa zu akuter Kriegsgefahr kann Teheran nicht brauchen. Die Spannungen mit den USA sind auch den Scharfmachern des Mullah-Regimes bereits groß genug. Es gibt zudem genügend Hinweise darauf, daß auch Washington derzeit nicht daran interessiert ist, sich einen weiteren Waffengang im Nahen Osten zu leisten.

Selbst das Klima zwischen den Langzeitverbündeten, dem saudischen Königshaus und Washington, ist derzeit stark abgekühlt. König Abdullah hatte es den USA schwer verübelt, daß sie seinen Freund Mubarak fallenließen. Und dann hat Washington im September im UN-Sicherheitsrat auch noch die Anerkennung Palästinas als Staat torpediert, für welche die Saudis – und auch der Monarch persönlich – ihr gesamtes Gewicht in die Waagschale geworfen hatten.

So sehr die behaupteten „Attentats“-Pläne bislang nicht erhärtet werden konnten, werfen sie doch ein Schlaglicht auf die außen- und sicherheitspolitischen Zustände am Golf, auf die Konstanten und Veränderungen zwischen Teheran und Riad, auf die Bündnisse, in denen die Langzeitkontrahenten stehen.

Die beiden Staaten sind bereits seit Jahrzehnten Rivalen – selbst während der Schah-Zeit, als sowohl Iran als auch Saudi-Arabien Stützpfeiler der US-Politik in dieser Region waren. Als 1980 der Krieg zwischen Iran und Irak, der „Erste Golfkrieg“ ausgebrochen war, sammelte Saudi-Arabien die Kleinstaaten des Persischen Golfs um sich, um den Golfkooperationsrat (GCC) zu gründen, und sie stellten dem Saddam-Regime Hilfe in Milliardenhöhe zur Verfügung. Im Endeffekt konkurrieren Iran und Saudi-Arabien immer noch um die Stärkung ihrer Rolle in der Region miteinander, obwohl sie sich gegenseitig als Regionalmächte anerkennen.

Auch der historische Gegensatz zwischen Schiiten und Sunniten spielte und spielt dabei eine Rolle. Iran ist das einzige islamische Land, in dem das Schiitentum Staatsreligion ist, während Saudi-Arabien nicht nur die „Hüterin“ der islamischen Heiligtümer in Mekka und al Medina ist, sondern mit dem Wahabitentum auch die extremste, puritanischste Form des sunnitischen Mehrheitsislams repräsentiert.

Der Gegensatz zwischen Saudi-Arabien und der Islamischen Republik Iran spitzte sich auch durch das gegensätzliche Verhältnis zu den USA weiter zu. Während die neuen Machthaber in Teheran im Jahr 1979 die USA sofort zum ideologischen Hauptfeind und zum „Großen Satan“ erklärten, war Saudi-Arabien schon damals der wichtigste Verbündete Washingtons in der arabischen Welt.

Die Verschärfung des saudisch-iranischen Gegensatzes hat nicht nur mit den nuklearen Aktivitäten Teherans zu tun, sondern auch mit Amerikas „dummem Krieg“ (Obama) von 2003. Dieser hat nicht nur eine schiitische Regierung im Irak hervorgebracht, sondern den Einfluß Irans im gesamten Nahen Osten deutlich verstärkt. Saudi-Arabien hat schlicht Angst vor einem Überschwappen schiitischer Unruhen im eigenen Land oder in direkter Nachbarschaft – wie in Bahrain, Katar oder Kuwait.

Saudi-Arabien hat auf diese Gefahr mit der Finanzierung radikaler sunnitischer Gruppierungen im Irak und anderswo reagiert. Riad fördert damit die Spaltung des Irak und der Muslime, obwohl diese nicht unbedingt im Interesse des amerikanischen Verbündeten ist. Das hat zu dem Paradox geführt, daß die Partner der Allianz Saudi-Arabien/USA gleichzeitig nicht nur nicht an derselben Front kämpfen, sondern indirekt auch gegeneinander.

Daß in der Vergangenheit geplante und beantragte Rüstungsexporte etwa deutscher Panzer nach Saudi-Arabien gerade mit dem Verweis auf die besonderen israelischen Sicherheitsinteressen immer abgelehnt worden waren, jüngst aber mit US-amerikanischer und israelischer Zustimmung glatt durchgegangen sind, ist ein unübersehbarer Hinweis darauf, daß sich die sicherheitspolitische Gemengelage im Nahen Osten deutlich verändert hat.

„Israel ist heute im konventionellen wie im nichtkonventionellen Bereich der stärkste Akteur in der Region“, so kommentierte das kürzlich Markus Kaim, sicherheitspolitischer Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. „Israel ist letztlich von niemandem existentiell bedroht, und viel wichtiger ist die gewandelte Rolle des Iran. Der Iran versucht, sich als Hegemonialmacht im Nahen und Mittleren Osten zu positionieren, ist dabei, Nuklearwaffen zu entwickeln, oder vorsichtiger formuliert die Fähigkeit dafür zu entwickeln, diese zu bauen, und gerade die saudische Reaktion darauf ist in den vergangenen Jahren gewesen, sich Verbündete zu suchen und auch den Weg der Aufrüstung einzuschlagen. Vor diesem Hintergrund hat sich eine nahezu stille Allianz zwischen Saudi-Arabien und Israel herausgebildet.“

In dieser Situation erhalten die Nachrichten dieser Tage über Todesfälle und schwere Krankheiten im saudischen Herrscherhaus ein besonderes Gewicht. Für die weitere Entwicklung wird ausschlaggebend sein, wie sich das Königreich angesichts der politischen Umbrüche in der arabischen Welt positioniert und wer in Riad entscheidet. König Abdullah ist alt und krank, und es scheint so zu sein, als ob Entscheidungen immer mehr von seinem sehr viel restriktiveren Halbbruder, Innenminister Naif, beeinflußt werden. Wenn Saudi-Arabien den Reformkurs Abdullahs aufgeben oder sich gar zum Anführer der Gegenrevolution machen würde, wäre seine regionale Legitimität angeschlagen.

Das Bild einer „offenen Zukunft“ trifft immer deutlicher auch auf das saudisch-amerikanische Verhältnis zu. Riad tritt offen und beinahe kämpferisch für einen palästinensischen Staat ein und kauft Waffen nicht mehr nur „made in USA“: Trotz des jüngstens Waffendeals über 60 Milliarden Dollar zeigt die einst unumstrittene Partnerschaft dennoch deutliche Risse. Denn seit 2009 verhandeln die Saudis im Sinne der Diversifizierung auch über die Lieferung von Raketenabwehr-Systemen, Panzerfahrzeugen und Fluggerät mit den Russen.

In dieser Zeit, in der sich in Riad durch Nachfolgefragen noch weiter komplizierte Strategiefragen stellen, hat der erst 65jährige – für saudi-arabische Verhältnisse also „jugendliche“ – Prinz Turki al-Faisal durch Vorträge und Grundsatzartikel das Interesse auf sich gelenkt. Als Neffe von König Abdullah, fast ein Vierteljahrhundert lang saudischer Geheimdienstchef und langjähriger Botschafter in London und Washington, ist Turki der intellektuellste unter den großen Saudi-Prinzen und gilt als der designierte Nachfolger seines kranken Bruders, des langjährigen Außenministers Saud al-Faisal.

Turki hat „eine saudische Sicherheitsdoktrin für das kommende Jahrzehnt“ angekündigt. Sie soll die Antwort auf die sich verändernde Lage in der Region sein, auf die inneren Konflikte der Nachbarstaaten Syrien, Irak, Jemen und Bahrain, auf die unnachgiebige Haltung Israels im Streit mit den Palästinensern, auf die Enttäuschung über die mangelnde Unterstützung der USA für saudische Wünsche und natürlich auf die wachsenden Hegemonie-Ansprüche Irans.

In einem Meinungsbeitrag, den Turki für die Washington Post verfaßte, sah er „katastrophale Folgen“ für die amerikanisch-saudischen Beziehungen voraus. Blieben die USA bei ihrer bisherigen Haltung, so wäre „ein Tiefpunkt in unseren Jahrzehnte alten Beziehungen erreicht, der Friedensprozeß und Amerikas Ansehen in der Arabischen Welt erlitten unheilbaren Schaden, der ideologische Abstand zwischen der islamischen Welt und dem Westen würde größer, und die Möglichkeiten für Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen beiden Lagern könnten verschwinden“.

Foto: Seltene Bilder der Sympathie: Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad (l.) und der saudische König Abdullah bin Abdul Aziz beim Treffen der Opec-Länder in Riad (17. November 2007)

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