© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/11 / 28. Oktober 2011

Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen
Science-fi ction auf deutsch: Zwei Romane zeigen eine kaiserliche Großmacht in der Gegenwart oder ein Land unter dem Joch des Islams
Henning Hoffgaard

Der muslimische Halbmond weht über Deutschland, in den Straßen Berlins patrouilliert die islamische Gesinnungspolizei, der Fernsehturm wurde bereits vor Jahren in ein riesiges Minarett umgewandelt und der Reichstag von zum Islam konvertierten Politikern gesprengt. Christen gibt es schon lange nicht mehr, zumindest in der Öffentlichkeit. Die halten sich in Europa nur noch im „neo-katholischen Rom“, den „orthodoxen Großreichen des Ostens“ und im zu diesem Zeitpunkt „puritanischen Großbritannien“ auf.

So stellt sich die Situation in der Welt im Jahr 2066 dar. Zumindest wenn der Leser dem Buch „Die Gotteskrieger – Islamistische Republik Deutschland 2066“ von Hermann Wacken glauben will. Im Mittelpunkt der Geschichte steht Ludwig Rauber, Mitarbeiter einer allmächtigen islamischen Internet-Zensurbehörde. Aus der vormuslimischen Zeit seiner Vorfahren hat er nur in Erzählungen gehört, die eigene Mutter starb – na klar, wie sonst – durch Steinigung und verliebt hat er sich in die schöne unbekannte Doria Shalik die, wie sollte es anders sein, ein schreckliches Geheimnis hütet. Die „heile Welt“ des Protagonisten wird erst erschüttert, als er eine geheime christliche Botschaft entdeckt und zur Freude seiner Vorgesetzten auch unschädlich macht.

Dennoch beginnt Rauber an der Vollkommenheit des muslimischen Deutschland zu zweifeln. Was dann folgt, ist nicht der Rede wert: Eine Science-fiction-Handlung, in der es unter anderem um intelligente Gebetskappen und gedankengesteuerte Kampfdrohnen geht, die im Krieg gegen das „ungläubige England“ eingesetzt werden. Doch der skurrile Plot rückt angesichts der besessen vorgetragenen Religionsdetails sowieso schnell in den Hintergrund, zumal nicht jede Wendung wirklich glaubwürdig transportiert wird. Die vom Autor skizzierte totale Überwachungsgesellschaft erfordert, die aktuellen Diskussionen über sogenannte „Sicherheitsgesetze“ zeigen es, im übrigen keinesfalls eine islamische Mehrheitsgesellschaft. Fazit: Überraschungen ausgeschlossen.

Um einiges tiefgründiger und intelligenter kommt da das ähnlich angelegte „Deutsches Reich 2014“ von Heiger Ostertag daher. Wer sich von dem stark freak-verdächtigen Titel nicht abschrecken läßt, bekommt eine erstklassige historische Fiktion. Im Vordergrund steht nicht so sehr die spannende Handlung, sondern vielmehr die umfassend dargestellten historischen Zusammenhänge. Kurz gesagt: Deutschland ist siegreich aus dem Ersten Weltkrieg hervorgegangen, hat sich zu einer liberalisierten Großmacht mit parlamentarischer Demokratie entwickelt, die um die Jahrtausendwende dank einer ausgeklügelten Solartechnik von fossilen Brennstoffen nahezu unabhängig ist. Selbst Polen und der „Erbfeind“ Frankreich haben sich der Deutsch-Europäischen Wirtschaftsunion angeschlossen. England ist entmachtet und Deutschland selbst reicht immer noch von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt.

In die Idylle fällt ein verheerendes Attentat auf einen deutschen Flugzeugträger und einen britischen Schlachtkreuzer, die gemeinsam in den Kieler Hafen einfahren. Mit der Aufklärung wird Robert von Warthenberg betraut, der im Reichskriegsministerium arbeitet. Wer hinter dem Anschlag steht, ist unklar. Deutsche Nationalisten, ausländische Geheimdienste oder doch die Engländer? Und während sich die Hauptperson durch die weiter vom Adel dominierte Welt und die politischen Intrigen seiner Zeit kämpft, erhält der Leser einen immer tieferen Einblick in die alternative Weltgeschichte.

Dies geht so weit, daß der Autor am Ende die Geschichte fast aller bedeutenden Länder nach 1914 und die Konstellation aller Reichsregierungen mitsamt ihrer Kaiser darstellt. Wirklich unterhaltsam sind die zahlreichen Reminiszenzen an die tatsächliche Geschichte. Die gute Nachricht: Adolf Hitler landet nach einem verunglückten Putschversuch in den vierziger Jahren im Irrenhaus. Die schlechte: Barack Obama wird trotzdem US-Präsident, und auch die Grünen, hier als „Ökopartei“, gelangen in Regierungsverantwortung. Wer sich den Spaß deswegen nicht verderben läßt, sollte hier zugreifen.

Hermann Wacken: Die Gotteskrieger – Islamistische Republik Deutschland 2066. Unitall Verlag, Salenstein 2011, gebunden, 207 Seiten, 12,90 Euro

Heiger Ostertag: Deutsches Reich 2014 . Südwestbuch Verlag, Stuttgart 2011, broschiert, 280 Seiten, 14,80 Euro

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