© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/11 / 28. Oktober 2011

Der Flaneur
Undankbare Fruchtzwerge
Ronald Gläser

Es ist Sonntag, die Sonne scheint auf den Badesee. Meine Frau breitet das große Handtuch auf dem Rasen aus, aber meinen Sohn und mich zieht es ans Wasser. Der Junge rennt auf die Holzbohlen der Seebrücke, an deren Ende ein Dreimeterturm emporragt. Zwei Mädchen von acht, neun Jahren spielen mit einem aufblasbaren Ball. Aufdruck: Werbung für Fruchtzwerge.

Wir beobachten die Mädchen, bis meine Frau kommt. Sie nimmt den Einjährigen, ich kann den Dreier herunterspringen. Als ich oben stehe, lassen die Mädchen den Ball ins Wasser fallen. Eine Windböe treibt ihn hinaus. „Der Ball, der Ball ...“, ruft eines der Mädchen und zeigt mit dem Finger darauf. Aber es springt nicht hinterher, um ihn zurückzuholen. „Da müßt ihr euch beeilen, wenn ihr den kriegen wollt“, sage ich.

Die Mädchen schauen mich von unten komisch an. So, als würden sie etwas erwarten. Ich springe. Das Wasser ist kalt und erfrischend. Beim Auftauchen denke ich: „Jetzt kannst du zeigen, was in dir steckt.“ Also dem Ball nach. Erst kraulend, dann normal. Im Wasser geht einem schnell die Puste aus. „Du mußt deine Kräfte schonen“, merke ich. Mehrere Böen tragen den Ball weiter hinaus auf den See. Eigentlich schon zu weit. „Du kannst jetzt nicht aufgeben“, geht mir durch den Kopf.

Nach hundert Metern habe ich den Ball endlich. „Sie werden mich wie einen Helden feiern“, denke ich – schon längst außer Puste. Jetzt zurück. Der Wind bläst von vorne, der Ball driftet immer wieder ab. Am Ende meiner Kräfte erreiche ich die Leiter und werfe den Ball auf den Steg.

Als ich aus dem Wasser bin, muß ich mich hinlegen, atmen. Es gibt keinen Lorbeerkranz. Frau und Sohn sind längst zum Strand gelaufen, wo er buddelt. „Das hat uns zu lange gedauert, als du dem Ball nachgeschwommen bist“, sagt sie später. Und die beiden „Fruchtzwerge“, deren Ball ich gerettet habe, sagen noch nicht mal danke.

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