© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/11 / 04. November 2011

Hoffen auf Hilfe
Tibet: Die Vielzahl von Selbstverbrennungen offenbart die Aussichtlosigkeit im Kampf für kulturelle Autonomie
Marc Zöllner

Sie habe „eine Sache von großer Bedeutung zu erledigen“, verkündete Tenzin Wangmo noch stolz ihren Ordensschwestern. Wenige Stunden später ereilte sie am Rande der kleinen Stadt Ngaba ein grausamer Flammentod. Zusammengekauert vor den Mauern ihres Klosters, eingehüllt in die Flagge ihrer tibetischen Heimat, übergoß sich die Zwanzigjährige mit Benzin, um sich bei lebendigem Leibe selbst zu verbrennen. Über acht Minuten dauerte ihr Martyrium, bis sie, noch ein letztes Mal nach der Rückkehr des Dalai Lama verlangend, zusammenbrach.

Wangmo stellt kein Einzelschicksal im Kampf der Tibeter um kulturelle Autonomie dar. Allein im Oktober suchten neben ihr mindestens sechs weitere buddhistische Mönche den Freitod in den Flammen. Allesamt junge Männer, streng religiös erzogen. Was sie verbindet, ist ihre Resignation der chinesischen Herrschaft gegenüber, aber auch das Hoffen, die internationale Staatengemeinschaft zum Eingreifen zu bewegen.

Daß hierbei gerade die Provinzstadt Ngaba zum Zentrum des Widerstandes erwuchs, ist kein Zufall. Am 16. März 2008 verübten dort chinesische Sicherheitskräfte ein Massaker unter demonstrierenden Anwohnern. Sechzehn Menschen starben, unzählige wurden zum Teil schwer verletzt, gefoltert und in Arbeitslager verschleppt. Auf den Tag genau drei Jahre später verbrannte sich an gleicher Stelle der 21jährige Mönch Phuntsog. Wie viele seiner Mitstreiter, so stammte auch er aus Kirti, einem Kloster nahe Ngaba, welches bis Jahresbeginn rund 2.500 Buddhisten beherbergte. Hunderte von ihnen wurden seitdem mit Waffengewalt unter dem Vorwand vertrieben, die Mönche förderten „Prostitution, Alkoholsucht, Glücksspiel“, so die chinesische Regierung.

Doch bei der Unterdrückung der Proteste von Sympathisanten des Dalai Lama, bei der Entfernung seiner Bilder und Flaggen geht es Chinas KP um weit mehr als um die Niederschlagung kleiner Revolten. „Die chinesische Regierung ist sich sehr wohl der überaus wichtigen Rolle des Dalai Lama für die tibetische Identitätsfindung bewußt“, so Stephanie Bridgen, Vorsitzende der in London ansässigen Gesellschaft Free Tibet. „Anstrengungen, um seine Wiedergeburt zu kontrollieren, sind in letzter Zeit in den Mittelpunkt der chinesischen Politik zur Festigung ihrer Herrschaft über Tibet gerückt.“

Um die Inthronisierung eines chinafreundlichen Religionsführers nach seinem Tode zu verhindern, verkündete der Dalai Lama in einer kürzlichen Presseerklärung, er ziehe in Betracht, nicht wiedergeboren zu werden, sondern sich noch zu Lebzeiten in einem von ihm selbst auserwählten Nachfolger zu manifestieren. Die chinesischen Kommunisten verhielten sich unglaubwürdig, so der Dalai Lama, denn sie würden „ausdrücklich die Idee von vergangenen und zukünftigen Leben sowie möglichen Wiedergeburten ablehnen“. Zum Wohle des Vertrauens der Tibeter in den Buddhismus dürfe es daher unter keinen Umständen eine „Anerkennung für Kandidaten geben, welche aus rein politischen Gründen gewählt worden sind“.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen