© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/11 / 04. November 2011

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Die heutigen Zustände haben wir in erster Linie denen zu verdanken, die es nur gut gemeint haben, und denen, die Schlimmeres verhüten wollten.

Koinzidenz der Ereignisse: Die deutschen DAX-Unternehmen setzen eine Frauenquote für die Vorstandsetage fest, Gespräch beim Outdoor-Spezialisten: Kunde: „Ich brauche einen Schlafsack“ – Verkäufer: „Für einen Mann oder für eine Frau“; Kunde: „Warum ist das wichtig?“ – Verkäufer: „Bei der Komforttemperatur gibt es einen Unterschied von 5 bis 6 Grad Celsius“ – Kunde: „Und das heißt?“ – Verkäufer: „Na, wenn Ihnen noch warm ist, hat Ihre Frau längst kalte Füße.“

Daß man die Bilder der Großen Deutschen Kunstausstellungen der NS-Zeit im Internet für jedermann zugänglich zeigt (www.gdk-research.de), zwecks „kritischer Auseinandersetzung mit der Kunst- und Kulturpolitik des nationalsozialistischen Regimes“, hat auch zu tun mit der Sicherheit, daß der antifaschistische Kunstgeschmack durchgesetzt ist. Wie leicht hat einst jeder Spießer-Ideologie-Spezialist nachgewiesen, daß die röhrenden Hirsche und Männer mit Goldhelm aus der Karstadt-Kunst-Abteilung, die dem Massengeschmack bis in die siebziger Jahre entsprachen, im Grunde dem alten Ungeist verhaftet blieben. Aber nachdem jede junge Generation der rituellen Verfluchung von Gegenständlichkeit im Kunstunterricht ausgesetzt war, die öffentlichen Plätze mit den wunderbar abstrakten Erzeugnissen moderner Schöpferkraft in Metall und Beton dekoriert wurden, niemand der Präsentation von Chagall im Gemeindezentrum und von Impressionisten im Wartezimmer entging, darf das ästhetische Empfinden der Masse als hinreichend gefestigt betrachtet werden, um der Versuchung der Breker, Thorak, Ziegler, Peiner gewachsen zu sein.

Da sich offenbar nach wie vor nichts Sicheres über den Ursprung von Halloween feststellen läßt, außer daß das Ganze amerikanischer Herkunft ist und mit Geschmacklosigkeit sowie Beutelschneiderei zu tun hat, hier ein Bericht, der vielleicht zur Klärung der Wurzeln verhilft. Es geht um den terroristischen Schabernack, den nach der Niederlage der Südstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg Geheimbünde der Weißen wie Black Cavalry oder der Ku-Klux-Klan mit den abergläubischen Schwarzen trieben: „Überlebensgroße Wanderer verbargen die Stelzen, auf denen sie gingen, unter langen Gewändern; oder man verhüllte seinen Kopf durch ein großes Kleidungsstück und trug einen geschnitzten und bemalten Kürbis, anscheinend einen Kopf, unter dem Arm; oder ein gespenstiger Wanderer verlangte zu trinken und goß dann in einen unter der Maske verborgenen Gummisack drei Eimer Wasser hinein und erklärte, er habe so enormen Durst, weil er seit der Schlacht von Shiloh noch keinen Trunk wieder getan habe.“ (Ernst von Halle: Baumwollproduktion und Pflanzungswirtschaft in den Nordamerikanischen Südstaaten, Leipzig 1906)

Wenn jetzt dem Briefwechsel des Ehepaars Heisenberg auch zu entnehmen ist, was für eine bedenkliche Figur Carl Friedrich von Weizsäcker war, der in der Funktion der Nachkriegslichtgestalt sogar noch seinen Bruder Richard überstrahlte, und den nicht zum Bundespräsidenten gewählt zu haben ein geschlossen links-grün-protestantisch-pazifistisches Lager weiland für unverzeihlich hielt, dann erfüllt das mit Genugtuung. Weil wieder einer aus der Reihe der Rinser, Grass und Jens demontiert wurde, es mit dem „widerstrebenden Konformismus“ in der NS-Zeit gar nichts war und sich der Satz noch einmal bewahrheitet, daß wer nur eifrig genug die Vergangenheit der anderen bewältigte, von der eigenen absehen durfte, und daß Johannes Gross schon ins Schwarze traf, als Weizsäcker noch unantastbar schien, er aber meinte, er traue dem politischen Weitblick eines Mannes nicht, der noch 1943 den Ruf an die Reichsuniversität Straßburg angenommen hatte.

Das Radio läuft während der langen Autofahrt und es hat sich jener Zustand der Gelassenheit eingestellt, der auch die „Morgenandacht“ erdulden läßt (es beginnt mit einem Satzfetzen von Eichendorff, dann geht es um einen kleinwüchsigen Eisenbahnfreak, einen aufdringlichen Kubaner mit Imbiß und eine Bibliothekarin, die sich erotisch zu ersterem hingezogen fühlt, woraufhin der am Schluß zwar nicht glücklich, doch „achtsam“ wird), aber dann folgt die Meldung, die Kanzlerin habe im Jüdischen Museum zu Berlin den „Preis für Verständigung und Toleranz“ entgegengenommen und ein Stück O-Ton, und der Fahrer erreicht erst bei der Formulierung „Die Erinnerung an das von Deutschland begangene Menschheitsverbrechen …“ den Knopf des Geräts.

Noch eine Spätfolge von ’68: die Vertilgung der Briefmarkensammler als Spezies und der Zusammenbruch ihrer Währung, der „Michelmark“.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 11. November in der JF-Ausgabe 47/11.

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