© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/11 / 11. November 2011

„Klare Abgrenzung nach links“
Saskia Ludwig gilt manchem als konservative Exponentin der CDU. Zwar stützt die Brandenburger Partei- und Fraktionschefin im Bund den oft als sozialdemokratisch apostrophierten Kurs der Kanzlerin, doch im Land fordert sie die SPD immer wieder offen heraus.
Moritz Schwarz / Felix Krautkrämer

Frau Dr. Ludwig, man hat den Eindruck, die Christdemokraten nicken nur noch ab, was die Kanzlerin vorgibt. Wozu da eigentlich noch ein Bundesparteitag?

Ludwig: Nehmen Sie nur das Thema Bildung: Allein dazu wird es in Leipzig über 1.500 Änderungsanträge geben. Wenn die Delegierten die gleichen Weichen wie beim Leipziger Bundesparteitag 2003 stellen, würde die konservative Säule der Union eine massive Unterstützung erfahren. Die mahnenden Worte des Altbundespräsidenten Roman Herzog sind aktueller denn je: „Wenn jetzt noch eine Reform der Bildungspolitik und die Abschaffung von Vorschriften hinzukommt, dann wissen die Menschen, was sie von uns erwarten dürfen.“

Die Sprünge und Volten Ihrer Parteivorsitzenden haben viele Unionswähler verunsichert – zuletzt in Sachen Mindestlohn. Die „Mitteldeutsche Zeitung“ schreibt: „Der Union droht Unkenntlichkeit ... der Ruch des Beliebigen.“

Ludwig: Als Landesvorsitzende der Märkischen Union zählen für mich die Realitäten vor der eigenen Haustür. Wir sind in unserem Selbstverständnis kein Franchisenehmer der Bundespartei. Beispiel Energiewende: Klimaschutz und daraus resultierende regenerierbare Energien befinden sich mittlerweile im Konflikt zu Umwelt-, Natur- und Landschaftsschutzgedanken. Und die Kostenfrage ist nicht annähernd geklärt. Daher habe ich damals im Bundesvorstand dem Konzept nicht zugestimmt. Es muß erst klar sein, wie wir in Zukunft Energie kostengünstig, unabhängig und sicher produzieren, bevor solch eine „Wende“ eingeleitet wird. Für mich hat die Forschung im Bereich alternativer Energien oberste Priorität vor Aktionismus.

Vor zwei Wochen erst hat die Parteiführung im Schweinsgalopp die Hebelung des Euro-Rettungsschirms durchgedrückt. Kaum ein Abgeordneter dürfte ermessen haben, was er da genau beschlossen hat. Da fragt man sich doch, wie selbstbestimmt Fraktion und Partei noch sind?

Ludwig: Ich glaube, beim Thema Euro-Rettung kennt niemand den einzig richtigen Weg, weder Herr Trittin noch Herr Gysi und offensichtlich auch nicht die selbsternannten Finanzexperten in den Talkshows. Insofern habe ich großen Respekt vor den Parlamentariern, die in dieser heiklen Situation die Entscheidung in die Öffentlichkeit des Parlaments gezogen haben. Nein, kritisieren würde ich etwas ganz anderes.

Nämlich?

Ludwig: Wir müssen erleben, daß ein fragwürdiger SPD-Staatssekretär im schwarzen Bundesfinanzministerium zum Krisenmanager und Chefberater der Bundesregierung beim Thema Euro-Rettung geworden ist. Dabei war gerade er es, der schon unter Rot-Grün maßgeblichen Einfluß auf die Entscheidungen hatte, die zur Finanzkrise geführt haben.

Inwiefern?

Ludwig: Dieser Mann hat unter Finanzminister Steinbrück wesentlich Verantwortung dafür getragen, daß wir in Sachen Banken heute in dieser Situation sind. Noch unter Rot-Grün hat er die Spielregeln für die Banken erleichtert, so daß Spekulationen, wie sie uns inzwischen in Teufels Küche gebracht haben, überhaupt erst möglich wurden. Er war es, der mit seiner Forderung nach Abschaffung von bestehenden Finanzregeln dafür sorgte, daß die Banken die bisher erforderlichen Eigenkapitalanforderungen umgehen konnten und ihnen gestattet wurde, ihre Kredite mittels Zweckgesellschaften in sogenannte Steueroasen auszulagern.

Sie sprechen vom SPD-Mann Jörg Asmussen?

Ludwig: Ja, und bis heute ist es ausgerechnet dieser rote Jörg Asmussen, der im Bundesfinanzministerium maßgeblich als Krisenchef den Ton angibt. Es ist erschreckend anzusehen, mit welcher Selbstverständlichkeit der SPD-Mann die Geschicke in dieser Schlüsselposition des Bundesfinanzministeriums leiten darf!

Das heißt, die Regierung ist also mit ihrer Euro-Rettungspolitik auf dem Holzweg?

Ludwig: Die Regierung sowie die Parlamentarier aller Parteien müssen sich auf qualifizierte Zuarbeit aus den Ministerien verlassen können. Wenn man da einen solchen Staatssekretär und Chefberater hat – der sich auch mal gerne ganz uneitel in der amerikanischen Vanity Fair vor einem der letzten Stücke der Berliner Mauer im Hochglanzformat unter dem Titel „It’s the Economy, Dummkopf!“ abbilden läßt – dann kann man in der Tat schon Zweifel bekommen. Damit diese aber eben nicht aufkommen, sollte die Regierung sich überlegen, wen sie auf einen solch zentralen Posten setzt: Jemand, der Teil der Ursache des Problems ist, kann nicht überzeugend Teil der Lösung sein. Jetzt ist der Mann obendrein auch noch neuer Chefvolkswirt der EZB.

Gut, aber wie stehen Sie selbst konkret zur Euro-Rettungspolitik der Regierung?

Ludwig:  Aus der Perspektive Brandenburgs stellt sich die Situation so dar, daß Staaten mit horrenden Schulden verschuldeten Großbanken Geld leihen. Das erschließt sich für einen Außenstehenden nicht auf Anhieb. Die zentrale Frage dabei ist, wird trotz aller Rettungsmaßnahmen unsere nationale Unabhängigkeit gewahrt.

Das heißt?

Ludwig: Für den Fall, daß wir Deutsche unsere Souveränität aufgeben müßten, brauchen wir dafür als Voraussetzung zwingend eine Volksabstimmung. Dann haben die Bürger die Wahl, wie sie mit ihren Familien auf unserem Kontinent in Zukunft leben wollen. In der Vergangenheit wurden Volksabstimmungen bei entscheidenden Fragen in Deutschland oftmals vermieden. 

Experten sagen, die Euro-Krise werde uns noch mindestens zehn Jahre begleiten. Hat die Parteibasis genug Vertrauen in die Führung, um diese zehn Jahre gemeinsam zu überstehen?

Ludwig: Beim täglichen Blick in den Pressespiegel sind die Artikel und Prognosen oftmals schon am Tag ihres Drucks überholt. Deshalb wäre ich mit Expertenmeinungen sehr vorsichtig, die über einen Zeitraum diskutieren, der sich über zehn Jahre erstreckt. Was die Partei betrifft, habe ich momentan nicht den Eindruck, daß sie auseinanderdriftet, im Gegenteil: Vor einigen Monaten war die parteinterne Stimmung aufgeheizter als heute. Die Krise schweißt zusammen, kein Zweifel, es findet eine Art Zusammenrücken statt. Die Basis ist sich bewußt, was die Bundeskanzlerin derzeit leisten muß: 24 Stunden im Kriseneinsatz, das erzeugt Respekt. Und die Tatsache, daß sie Führung zeigt, stärkt das Vertrauen in sie. Denn auch wenn man nicht weiß, ob ihr Weg der richtige ist, beeindruckt es, daß die Kanzlerin dennoch den Mut zu Entscheidungen findet. – So nehme ich es zumindest deutlich in unserem Landesverband wahr.

Ihr Landesparteitag hat sie gerade für zwei weitere Jahre bestätigt. Allerdings mit rund zehn Prozent weniger als das letzte Mal.

Ludwig: Für die Märkische Union ging es um die Grundausrichtung, entweder ein Schmusekurs mit der Platzeck-SPD oder eine klare Abgrenzung nach links. Diese Frage ist von den Delegierten eindeutig beantwortet worden: Mit diesem Votum werden wir weiter Mißstände wie die nicht vorhandene Überprüfung von Stasi-Richtern und Staatsanwälten anprangern und den Ministerpräsidenten Matthias Platzeck nicht vom Haken lassen.

Die Märkische Union gilt trotz langjähriger Führung durch Jörg Schönbohm keineswegs als konservativ. Sind Sie sicher, daß Sie sich mit Ihrem „Konfrontationskurs“ („Märkische Allgemeine Zeitung“) nicht verkalkulieren?

Ludwig: Seit 21 Jahren regiert bei uns ununterbrochen die Stolpe-/Platzeck-SPD. Deren „Brandenburger Weg“ hat Korruption, Filz und Vetternwirtschaft in unserem Land ermöglicht. Obendrein sitzen in einigen Fällen noch immer ehemalige Stasi-Leute in führenden Positionen an Universitäten, Gerichten und Staatsanwaltschaften. Als Union bleibt uns gar keine andere Möglichkeit, als unseren Kampf für Transparenz und die Aufklärung unzähliger Affären weiter fortzusetzen. Ob in Kommissionen, Ausschüssen  oder anderen Gremien wird diese Arbeit aber von der Platzeck-Regierung massiv behindert und torpediert. Ein erster Teilerfolg war der Abgang von Rainer Speer – dem besten Freund des Ministerpräsidenten, der nicht mehr Innenminister Brandenburgs ist.

Den Medien gelten Sie als „unbequeme Überzeugungstäterin ... opportunistisches Taktieren und Lavieren ist (Ludwigs) Sache nicht.“

Ludwig: Die Politikverdrossenheit ist bei unserer Arbeit allgegenwärtig. Die Bürger haben die immer gleichen Floskeln und Platitüden, die sie von der Landesregierung zu hören bekommen, einfach satt. Diesem politischen Mainstream passen wir uns nicht an, sondern machen den Brandenburgern ein Angebot. Dabei steht die Freiheit der Bürger für uns an erster Stelle, und diese ist mit opportunistischem Taktieren und Klüngel-Politik nicht zu erreichen. Vielleicht waren es auch die eigenen Erfahrungen der Unfreiheit der SED-Diktatur, die das Auge geschärft haben.

Es heißt, Ihr Profil sei so klar, „daß es Parteifreunde gelegentlich zur Verzweiflung bringt“.

Ludwig: Je aggressiver die Platzeck-SPD auf unsere Anträge, Anfragen und Positionen reagiert, um so mehr sind wir davon überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein. Und was wollen Sie von einer Regierung erwarten, die das letzte rot-rote Auslaufmodell in Deutschland darstellt? Unser christliches Menschenbild ist unvereinbar mit der Degradierung der Bürger als Befehlsempfänger durch intransparente Lobby- und Hinterzimmerpolitik.

Sie haben sogar in der Ära Schönbohm dessen Koalitions-Kompromisse mit der SPD kritisiert. Der Berliner „Tagesspiegel“ nennt Sie eine „lupenreine Marktwirtschaftlerin“ und eine „eiserne Sparkommissarin“. Sind Sie eine Konservative?

Ludwig: Was ich als konservativ bezeichnen würde, ist es durchzuhalten, wenn man von seiner Sache überzeugt ist. Jörg Schönbohm ist dafür ein Paradebeispiel. Er hat in Brandenburg  die besten Wahlergebnisse für die Union eingefahren, weil er seiner gestandenen Meinung und seinem klaren Kurs, auch unter Inkaufnahme von übelsten Anfeindungen und persönlichen Angriffen, treu geblieben ist. Auch heute noch unterstützt er mich als Ehrenvorsitzender der Märkischen Union, wofür ich ihm sehr dankbar bin.

Wie paßt aber zu einem konservativen Kurs die Preisgabe der Nation, wie sie sich aus der Euro-Rettungspolitik der Christdemokraten langfristig ergeben wird?

Ludwig: Vermutlich spielen Sie auf die Forderung von Frau von der Leyen nach einem EU-Bundesstaat an. Frau von der Leyen hat auch eine Frauenquote gefordert und damit keine Mehrheit in der Union gefunden.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes Andreas Voßkuhle hat erst unlängst in einem ZDF-Interview bestätigt: Wir bewegen uns auf dieses Ziel zu!

Ludwig: Gerade in Zeiten der Unsicherheit und Ungewißheit braucht man Identität und Zusammenhalt. Das bietet der Nationalstaat und, als dessen Grundlage, unsere Kultur. Die DDR hatte versucht, den Leuten die Identität zu nehmen und ist damit gescheitert. Als Präsident des Bundesverfassungsgerichtes hat Herr Voßkuhle über die Einhaltung des Grundgesetzes zu wachen und dabei der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Ansehen und Wirkung zu verschaffen. Ob dafür das mediale Abendprogramm der beste Ort ist, möchte ich bezweifeln.

Immer mehr Bürger vertrauen der Union in dieser Frage der Wahrung des Konservativen nicht. Fürchten Sie nicht das Entstehen einer neuen bürgerlichen Partei, über die so viel spekuliert wird?

Ludwig: Nein, die sehe ich nicht. Vielmehr sollte die konservative Säule der Union als Markenkern gestärkt werden. Eine Besinnung und ein Anknüpfen an den Leipziger Parteitag von 2003 wäre aus meiner Sicht das richtige Zeichen.

 

Dr. Saskia Ludwig ist brandenburgische Oppositionsführerin und Mitglied im Bundesvorstand der CDU. 2010 übernahm sie den Vorsitz der Märkischen Union sowie die Führung der Fraktion im Potsdamer Landtag. Immer wieder setzt Ludwig konservative Akzente, macht sich etwa für den Wiederaufbau des Potsdamer Stadtschlosses stark, lenkt die Aufmerksamkeit auf die Frage deutscher Beutekunst, bemängelt die zahlreichen Luxemburg- und Thälmann-Straßen im Land, kritisierte die Ausladung Thilo Sarrazins durch lokale Buchhändler oder griff die Bundeszentrale für politische Bildung wegen deren Propagierung des Gender Mainstreaming an. Anfang 2010 machte sie zudem mit einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung auf sich aufmerksam, der Merkels Führungsstil und den Profilverlust der Union kritisierte und den sie gemeinsam mit den CDU-Fraktionschefs von Thüringen, Hessen und Sachsen verfaßt hatte. Geboren wurde die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin und Unternehmerin 1968 in Potsdam.

 www.saskia-ludwig.de

Foto: Saskia Ludwig: „Was ich als konservativ bezeichnen würde, ist es durchzuhalten, wenn man von seiner Sache überzeugt ist ... Dem politischen Mainstream passen wir uns nicht an“

 

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