© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/11 / 11. November 2011

Grüße aus Moskau
Paradenfieber
Thomas Fasbender

Keck haben sie ihre Köpfe in den Nacken geworfen, die Moskowiterinnen. Unter schwarzen Fellmützen paradieren sie über den Roten Platz. Es ist der 7. November, der 70. Jahrestag der Revolutionsparade im Kriegsjahr 1941. Damals stand die Wehrmacht vierzig Kilometer vor der Stadt. Der deutsche Angriff schien unaufhaltsam; noch den Tapfersten kroch die Angst in die Glieder.

Wie damals herrscht kaltes Novemberwetter, nur der Schnee fehlt. Der Atem gefriert vor den glatten Gesichtern der Kadetten, der Soldaten, der zivilen Teilnehmer. Alle tragen die Uniformen und Waffen der ruhmreichen Roten Armee. Schneehemden, wattierte Kombis aus festem Drillich, lange Feldmäntel – alles ohne Rangabzeichen, so war das 1941 noch. Und immer wieder originale Technik: T-34-Panzer, Geschützgespanne, altertümliche Ketten-LKW. Vor der Kremlmauer sitzt das Häuflein der überlebenden Veteranen, faltige Neunzigjährige mit Tränen in den Augen.

Der russische Kalender ist durchwirkt mit Gedenktagen vergangener Siege. Am 4. November wurde der Befreiung von der polnisch-litauischen Herrschaft gedacht. Das große Jubiläumsjahr 2012 erscheint am Horizont – 200 Jahre Sieg über Napoleon. Und bis 2015 reihen sich die 70-Jahr-Feiern wie eine Perlenschnur. Für Stalingrad im übernächsten Winter wird schon am Programm gefeilt.

Da die Medienbegleitung mit den unseligen Kriegsfilmen etwas Aufgesetztes hat, unterschätzen Ausländer den Patriotismus der jungen Generation. Sie wünscht sich bessere Politiker und eine Gesellschaft ohne Korruption, aber im Herzen läßt niemand auf sein Land etwas kommen.

Nach der Generalprobe zur historischen Parade sprach ich mit einer jungen Frau in schwarzer Uniform mit Pelzkragen. Was das Spektakel für sie bedeute? Sie lächelt. Das sei doch mal was: mit blankgezogenem Säbel über den Roten Patz. Und der Krieg? Ihr Lächeln wurde ernster. Der Großvater hatte seine drei älteren Brüder verloren, er selber saß bis in die 1950er Jahre im Lager. Irgendwas Politisches, sie wußte es nicht.

Die Jugend trägt nicht schwer am Erbe blutig erkämpfter Siege. Sie geben ihr Zuversicht und Selbstvertrauen. Alles wird gut. Da kommt es auch nicht darauf an, wer sich gerade als Präsident installiert. Der Himmel ist hoch, und der Zar ist fern. Rußland bleibt das ewige Mütterchen. Die alten Regeln gelten auch im 21. Jahrhundert.

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