© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/11 / 11. November 2011

„Wacht auf“
Interview: Der Chefredakteur der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo über den Anschlag auf die Redaktion und die Gefahren des politischen Islam
Oliver Renault

Gegen ein Uhr morgens in der Nacht vom 1. zum 2. November, kurz vor Erscheinen der neuen Ausgabe der bekannten französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo, wurden zwei Menschen dabei beobachtet, wie sie einen Molotowcocktail in die Pariser Redaktionsräume der Zeitschrift warfen. Sie brannten völlig aus.  Die JUNGE FREIHEIT sprach mit Gérard Biard, dem Chefredakteur von Charlie Hebdo.

Herr Biard, ihre Zeitschrift, die sich besonders durch ihre humoristischen, spöttischen Zeichnungen einen Namen gemacht hat – ähnlich der „Titanic“ in Deutschland –, erschien diese Woche ausnahmsweise unter dem Titel Charia Hebdo. Auf dem Titel eine Karikatur des Propheten Mohammed und die Sprechblase: „Hundert Peitschenhiebe, wenn ihr euch nicht totlacht“. Eine Provokation gegenüber Muslimen?

Biard: „Das war kein Akt der Provokation, sondern vielmehr eine Reaktion auf die Wahl in Tunesien und die Ankündigung, in Libyen die Scharia einführen zu wollen. Vor allem ging es uns dabei auch um die Kommentare, die in Frankreich zum Scharia-Prinzip zu hören sind.

In welche Richtung gehen diese?

Biard: Man will uns weismachen, daß nicht alles an der Scharia unbedingt schlecht sei, daß es auch sanfte Versionen der Scharia gebe. In Anbetracht dessen haben wir ein Heft über die „sanfte Scharia“ gemacht. Wir fanden das sehr komisch. Wir haben beschlossen, den Propheten Mohammed als Gast-Chefredakteur einzuladen, nach dem Vorbild der Libération, die Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens einlädt, eine Ausgabe zu gestalten.

Doch die Illustrationen der „Charia Hebdo“-Ausgabe zeigen, daß es keine gemäßigte Scharia gibt, sondern lediglich ein strenges und äußerst hartes islamisches Gesetz, das vom demokratischen Gedankengut weit entfernt ist. Ein Alarmruf?

Biard: Ich sage den Franzosen, ich sage Europa und dem Westen insgesamt, aber ich sage auch den Journalisten: Wacht auf! Hört auf, den politischen Islam zu unterstützen. Seid nicht naiv, diese Leute kennen keine Toleranz und bedrohen sogar die Muslime, die ihrer Meinung nach zu moderat sind.

„Charlie Hebdo“ wurde bereits 2006 und 2007 von französischen Muslimorganisationen verklagt, die ein Verbot der Ausgabe erreichen wollten, in der die Mohammed-Karikaturen der dänischen „Jyllands-Posten“ nachgedruckt waren.

Biard: Die jetzige Situation unterscheidet sich erheblich von der damaligen. Beim Nachdruck der Karikaturen blieb es bei einer demokratischen Debatte. Wir standen unter Polizeischutz, aber die Sache spielte sich vor Gericht ab. Es kam nicht zu körperlichen Übergriffen. Heute stehen wir vor einer vollkommen anderen Situation. Niemand hat sich zu der Tat bekannt. Dennoch haben wir den starken Verdacht, daß eine Verbindung zu muslimischen Bewegungen besteht, denn wir haben bereits einen Hackerangriff auf unsere Website sowie Todesdrohungen auf Twitter und per E-Mail erlebt, die eindeutig von islamistischen Netzwerken ausgingen. Die Polizei hat uns Schutz zugesagt.

Zeit innezuhalten?

Biard: Wir sind entschlossen, unsere Arbeit zu machen. Wir lassen uns nicht von irgendwelchen fanatischen Eiferern beeindrucken. Wir werden nicht aufhören, unseren Ideen Ausdruck zu verleihen, denn dann würden wir nicht mehr in einer Demokratie leben. Das Problem ist das Bestreben einer politisch-religiösen Bewegung, in der Politik mitzuspielen. Da liegt das Problem. Wir leben in Frankreich in einer Demokratie, in einer laizistischen Republik. Wir haben es mit Leuten zu tun, die ein religiöses Gesellschaftsbild durchzusetzen versuchen. Diese Dinge muß man mit allen Mitteln bekämpfen.

Entsprechend kritisieren Muslime in Eu-ropa eine um sich greifende Islamophobie.

Biard: Es begann damit, daß die islamistischen Bewegungen das Wort Islamophobie benutzten. Dieses Wort gab es im französischen Rechtswesen zuvor nicht. Es handelt sich schlicht und einfach um Rassismus. Das Wort Rassismus gibt es. Damit ist der Sachverhalt hinreichend beschrieben. Denn das Wort Islamophobie suggeriert, daß es einen Rassismus gibt, der sich gegen eine Religion richtet. Man kann jedoch nicht rassistisch gegenüber einer Religion sein. Das Wort Islamophobie entstand im Zuge der Rushdie-Affäre, und es hat im Gegenzug dazu geführt, daß die katholischen Fundamentalisten von Christianophobie reden. Das ist Teil desselben Diskurses. Wir müssen uns dagegen wehren, daß dem Wort Islamophobie irgendein juristischer Inhalt zugeschrieben wird. Wenn es soweit käme, wäre der nächste Schritt, das Delikt der Gotteslästerung wieder einzuführen. Und dann hätten wir kein laizistisches Rechtssystem mehr.

 

weitere Interview-Partner der JF

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen