© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/11 / 11. November 2011

Zeitschriftenkritik: Fluter
Fünfe gerade sein lassen
Werner Olles

Dem Thema „Protest“ ist die aktuelle Ausgabe des Fluter (Herbst 2011/Nr. 40) gewidmet. Dabei stellt das Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) nicht nur verschiedene Formen des Protestes dar, sondern auch recht unterschiedliche Bewegungen. So lobt Chefredakteur Thorsten Schilling in seinem Editorial die Demonstrationen gegen die „Folgen der sogenannten Finanzkrise“, bei denen es – folgt man dem Autor – um „Verteilungsgerechtigkeit angesichts der herrschenden Austeritätspolitik“ geht. Geradezu „abgründig“ seien auch die Ausmaße der Jugendarbeitslosigkeit, die an den „Kern des Gesellschaftsvertrages“ rührten. Angesichts verzweifelter Arbeitgeber und Personalchefs, die händeringend nach ausbildungswilligen und -fähigen Jugendlichen suchen, aber immer wieder die Erfahrung machen müssen, daß die ihnen zugewiesenen Bewerber weder die einfachen Grundrechenarten noch die deutsche Sprache in Wort und Schrift einigermaßen beherrschen, ist eine derartige Aussage allerdings stark hinterfragbar.

Ziemlich geschmacklos ist es auch, die berechtigten Proteste chinesischer Wanderarbeiter, die gegen die brutalen Lebens- und Arbeitsbedingungen im sozialistischen China kämpfen, mit dem Kasperletheater zu vergleichen, das verwöhnte Wohlstandskinder oder kriminelle Migrantengangs in den westlichen Gesellschaften als „Protest“ gegen ihre angebliche Unterdrückung ausgeben. Genau diese konformistischen Protestformen sind es jedoch, für die unsere politische Klasse im Verein mit den etablierten Medien sehr viel Verständnis und Sympathie aufbringt. Der Grund ist klar: Von diesen Bewegungen, die für „universelle Werte“ und „große existentielle Themen“ (Klaus Hurrelmann) auf die Straße gehen, geht für die Herrschenden keinerlei Gefahr aus. Sehr schön und vor allem aufschlußreich gibt das Interview mit Jugendforscher Hurrelmann Auskunft darüber, was dieser Jugendprotest politisch beinhaltet: „Verbesserung der Lebensqualität im Hier und Jetzt, fünfe gerade sein lassen, Spaß haben.“

Große Sympathie zeigen die Fluter-Redakteure auch für den in Berlin ansässigen Türken Aydin Akin und dessen tägliche Fahrrad-Demonstration für das kommunale Wahlrecht. Daß das Wahlrecht natürlich eine Frage der Staatsbürgerschaft ist, scheint sich indes noch nicht bis zur Bundeszentrale für politische Bildung herumgesprochen zu haben. Mit deutlich weniger Solidarität dürfen dagegen islamkritische Bewegungen rechnen, denn die „schüren mit ihren Büchern, Artikeln und Internetblogs Vorurteile“, weiß Andreas Förster. Zwar muß auch er einräumen, daß die Autoren dieser Blogs nicht zur Gewalt aufrufen und sich in einem legalen Rahmen bewegen, doch sei dies nur taktischer Natur. So kann man also einen nachvollziehbaren demokratischen Protest gegen Islamisierung, Überfremdung und zunehmende Deutschenfeindlichkeit problemlos kriminalisieren und konservativ-patriotischen Bewegungen den Stempel des Rassismus und Extremismus aufdrücken. Fazit: Soviel Einseitigkeit und Manipulation auf 50 Seiten findet man selten.

Kontakt: Dummy-Verlag. Torstr. 109, 10119 Berlin. Das Abo ist kostenlos.  www.bpb.de

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