© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/11 / 11. November 2011

Der Staatssozialismus ist schuld an der Krise
Eine Festschrift versammelt eindrucksvolle Plädoyers für eine Renaissance des Ordoliberalismus
Harald Seubert

Zum 60. Geburtstag von Gerhard Schwarz, dem langjährigen Wirtschaftsredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, einer der wenigen Zeitungen des deutschen Sprachraums mit klarem ordoliberalem Kurs, liegt eine gelungene Festschrift vor, in der der Liberalismus in seinen verschiedenen Facetten durch namhafte Beiträger gewürdigt wird.

Durch die aktuelle Krise der Europäischen Union gewinnen die Aufsätze an Aktualität: Dies gilt schon für den Anfang des Bandes, in dem Schweizer föderale Traditionen als Hort alter Freiheiten beschworen und gegen die Tendenzen zu Vereinigten Staaten von Europa verteidigt werden. Daß der Liberalismus eine zeitlose Idee sei, wird in der zweiten Abteilung in verschiedenen Varianten betont: Das Spektrum reicht von Analysen der Fruchtbarkeit des Wettbewerbs bis zu Vaclav Klaus’ Klage über die „schwierigen Zeiten“ für Liberale angesichts der Wiederkehr des Keynesianismus. Die übereinstimmende These ist, daß die orkanartige Finanz- und Wirtschaftskrise keineswegs auf ein Marktversagen zurückzuführen sei. Ursache des Desasters ist nach übereinstimmender Meinung der Staatssozialismus verbilligten und inflationierten Geldes.

Klassische westliche liberale Traditionen wie der Schutz von Person und Eigentum in der Folge von Locke (Harry Bouillon) werden klug aktualisiert, das Proprium des Neo- und Ordoliberalismus der Freiburger Schule gegenüber dem alten Laissez-faire-Liberalismus wird gegen die unsinnig polemische Begriffsverfälschung sichtbar gemacht. Necla Keleks Beitrag für einen Gesellschaftsvertrag, der offenen Streit einschließt, bereichert diese Überlegungen.  In der Folge von Röpke gewinnen der „Wirtschaftshumanismus“ und das Wissen um einen Lebensbereich jenseits von Angebot und Nachfrage Profil.

Nur auf dem Fundament wertorientierter Freiheit kann die soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert fortbestehen. Einem alles aufsaugenden „ökonomischen Imperialismus“ (Karl Homann) wird damit die Absage erteilt. In bemerkenswerten, gleichermaßen aktuellen und grundsätzlichen Analysen (Blankart, Gygi und andere) kommen die ordnungspolitischen Probleme der heutigen EU eindringlich zur Sprache: Macht ohne Verantwortung, ohne parlamentarische Kontrolle und Legitimierung und falsch verstandene Subsidiarität erkennen die Autoren als Wurzelsünden. Ein eigener Schwerpunkt gilt der Geldwert- und Finanzpolitik: Dabei werden Wege aus dem Staatsinterventionismus (Thomas Straubhaar) gesucht, und es wird gezeigt, daß Fiskal- und Geldpolitik zu den wichtigsten und letztlich nicht disponierbaren Momenten staatlicher Souveränität gehören.

Daß Globalisierung nicht notwendigerweise zu einem „Clash of civilizations“ führen muß, daß aber erst recht die Option des Weltstaates zu vermeiden ist, zeigen einschlägige Beiträge unter anderem von Erich Weede. So klug Urs Schöttli Asiens Renaissance als Problem für klassisch ordoliberale Konzeptionen untersucht, hat man doch mitunter den Eindruck, daß hier an die alte, aus dem 18. Jahrhundert stammende These angeknüpft werden soll, wonach „Commercium“ und wirtschaftliche Durchlässigkeit wie von selbst den Frieden befördere. Härtere geschichtliche Realitäten, auch die Präsenz der Religion auf der heutigen politischen Agenda wären unschwer gegen diese Rokoko-Idee ins Feld zu führen.

Die Beiträger glauben allesamt an die Zukunft des Liberalismus: Dabei ist es aufschlußreich, daß sie die „retroliberale Wende“ (Hans-Olaf Henkel) vor allem im Kleinstaat und im Dezentrismus sehen: Roger Köppel, Chefredakteur und Verleger der Weltwoche, akzentuiert auf diese Weise ein David-Goliath-Problem. Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein, der vor einiger Zeit mit einem originellen Staatsentwurf hervorgetreten ist, kann dazu einige besonders intelligente – und geschichtserprobte – Aperçus beisteuern.

Die Festschrift ist dem herausragenden publizistischen Œuvre des Laureaten würdig. Sie zeigt eindrucksvoll, daß ein klassischer Ordoliberalismus keineswegs tot ist und sie bietet intellektuell anspruchsvolle Gegenbilder zu der erbärmlichen Verfassung der parteipolitischen FDP der deutschen Bundespolitik. Nicht von ungefähr ist dieses liberale Festmahl mit einem Freimut und Humor versehen, und jeder kluge Konservative tut gut daran, solche Liberalität sich gründlich zu eigen zu machen. Obwohl der hier gebotene Chor manche Facetten bietet, ist er aber doch etwas unisono liberal.

Eine tieferreichende Auseinandersetzung mit sozialistischen und konservativen Ideen, aber auch mit Degenerationen und Gefährdungen des Liberalismus wäre hilfreich gewesen. Und: Eine zeitlose Idee ist der Liberalismus gerade nicht. Er ist in der Staatenwelt des 18. Jahrhunderts entstanden und hat sich mit den neuen nationenübergreifenden Märkten im Sinn der Lehre vom wohlverstandenen Eigeninteresse und der invisible hand weiter ausgebildet. Dies heißt aber keineswegs, daß er erledigt wäre. Es gilt, ihn weiterzuentwickeln. Dazu erbringt diese Festschrift, die weit mehr als eine Buchbindersynthese ist, einen wichtigen Beitrag.

 

Prof. Dr. Harald Seubert ist Ordinarius für Kulturphilosophie und Ideengeschichte des deutschen Sprachraums an der Universität Posen. Seit Juni 2011 ist er Vorsitzender der konservativen Denkfabrik „Studienzentrum Weikersheim“.  www.studienzentrum-weikersheim.de

Gerd Habermann, Marcel Studer (Hrsg.): Der Liberalismus – eine zeitlose Idee. Nationale, europäische und globale Perspektiven. Olzog Verlag, München 2011, gebunden, 462 Seiten, 58 Euro

Foto: Die Tür aufstoßen: Glaube an die Zukunft des Liberalismus

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