© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/11 / 18. November 2011

Die Orange der Kanzlerin
Parteitage: Die Basis von CDU und FDP wird unruhig
Hinrich Rohbohm

Die Geschichte des CDU-Bundesparteitages von Leipzig beginnt mit einer Orange. Zehn Aktivisten der Aktion Linkstrend stoppen (ALS) haben sich vor dem Eingang postiert, um das Obst an die Delegierten zu verteilen. Ihr Motto: „Vitamin C für eine gesunde Volkspartei“. Verteidigungsminister Thomas de Maizière erhält ebenso eine Apfelsine wie JU-Chef Philipp Mißfelder. Kurz vor Beginn des Parteitags sind alle 700 Orangen verteilt. Alle bis auf eine: die Kanzlerin-Orange. ALS-Sprecher Michael Nickel hat sie extra aufgehoben, will sie Angela Merkel persönlich überreichen. Doch während im Plenum der Messehalle sich bereits die gesamte Polit-Prominenz der CDU eingefunden hat, läßt die Kanzlerin auf sich warten.

Doch die hat den Hintereingang genommen und sich mittlerweile längst auf dem Podium eingefunden. Dabei hätte eine ordentliche Portion Vitamin C der Kanzlerin nicht schaden können. Zu sehr war dieser einst heilige Buchstabe, der für das Christliche der Union steht, vernachlässigt worden. Zu sehr stand bei christdemokratischen Funktionären stattdessen Vitamin B bevorzugt auf dem Speiseplan. Grundwerte der Union wurden bei den Delegierten zu oft aus reinen Karrieregründen entsorgt, landeten ebenso im Müll wie die Orangen, die die Delegierten später auf Anweisung des Sicherheitsdienstes wegwerfen müssen. „Die Demokratie landet im Abfalleimer“, empört sich Nickel.

Er ist nicht der einzige, der vom Linkskurs der Union enttäuscht ist. „An der Basis brodelt es“, meint auch die Bundesvorsitzende der Christdemokraten für das Leben (CDL), Mechthild Löhr, die wie Nickel für eine Schärfung des konservativen Profils eintritt. Beide werden von den Funktionären ihrer Partei ausgegrenzt. Und das Rumoren an der Basis wird größer. Vor einigen Jahren hatte sich bereits der Arbeitskreis Engagierter Katholiken (AEK) in der Union gebildet, kurz vor dem Bundesparteitag meldete sich die Initiative „Mach-Mit-Partei“ zu Wort, um sich gegen die „systematische Sozialdemokratisierung der Union“ auszusprechen. Tatsächlich ist die CDU inzwischen so sehr nach links abgedriftet, daß bei den jüngsten Wahlen zahlreiche CDU-Stammwähler dem Gang zur Wahlurne ferngeblieben waren. Konsequenzen? Keine. Die Delegierten applaudieren ihrer Vorsitzenden, deren Rede verdeutlicht: Es wird keine Abkehr von ihrem Kurs geben. Nicht in der Europapolitik, nicht in der Bildungspolitik und auch nicht in der Energiepolitik.

Auf die Rede der Kanzlerin angesprochen, antworten zahlreiche Funktionäre im üblichen Karrieristen- und Delegiertendeutsch. „Staatstragend“ sei sie gewesen. „Ernst“, „nachdenklich“, „betont sachlich“ sind die weiteren Adjektive, mit denen sie Merkels Auftritt bewerten. Was aus dem Funktionärssprech übersetzt meist soviel heißt wie: „langweilig“, „emotionslos“, „schlecht“. Beschreibungen, die zumeist nur die CDU-Mitglieder aussprechen, die als Gäste auf dem Parteitag zugegen sind. Die Parteitagsregie hat als erstem Redner Uwe Lehmann-Brauns das Wort erteilt, der sich für eine großartige Rede bei der Kanzlerin bedankte, um anschließend gegen die Konservativen zu holzen. „Schluß mit der Gauweilerei,“ rief der 73jährige in den Saal. 

Die Junge Union hat Anträge gestellt, die das konservative Profil der Union schärfen könnten. Verbot von DDR-Symbolen, Erklärung des 13. August zum nationalen Gedenktag für die Opfer der deutschen Teilung, keine Euro-Bonds, Erhalt der Kernenergie-Kompetenz, Vereinfachung des Steuersystems. Anträge, die allesamt von der Antragskommission abgeschwächt wurden.

Doch auch Merkel erkennt, daß die Geduld der Basis ausgereizt ist, spricht deshalb von der Verantwortung vor Gott, von christlichen Werten, streichelt die konservative Seele. „Sonst wäre der Beifall für sie deutlich kühler ausgefallen“, sagen zahlreiche Delegierte. Auch beim Vitamin C zeigte sich Merkel zuletzt versöhnlich. Als ALS-Pressesprecher Michael Nickel der Kanzlerin vom Malheur mit den Orangen erzählte, erhielt er 20 Minuten später einen Anruf aus dem Adenauerhaus. Große Entschuldigung und einen Rüffel für die Sicherheitsfirma, die nun ein paar Kisten Orangen an die Leipziger Tafel spenden soll.

Auch beim Koalitionspartner FDP fürchtet man den Zorn der Basis. Die Liberalen hatten am Wochenende einen Sonderparteitag in Frankfurt abgehalten, um sich intensiv mit der aktuellen Europapolitik auseinanderzusetzen. Grund zur Sorge bereitet der FDP derzeit ein Mann: der Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler, Gründer des Liberalen Aufbruchs und Hauptkritiker des Euro-Rettungsschirms. Im Oktober hatten er und seine Mitstreiter 3.650 Unterschriften von FDP-Mitgliedern gesammelt, die einen Mitgliederentscheid über den Euro-Rettungsschirm befürworten. Schäffler will den permanenten Euro-Rettungsschirm ESM stoppen, der FDP-Bundesvorstand hat einen Gegenantrag gestellt. Bis Weihnachten sollen die 64.000 Mitglieder ihr Votum abgeben. Ein Vorgang, der unter FDP-Funktionären Panik auslöst.

„Wenn Schäffler sich durchsetzt, dann ist es aus mit uns. Dann platzt die Koalition, es gibt Neuwahlen und wir sind raus aus dem Bundestag“, zeigt sich eine Delegierte aus Nordrhein-Westfalen entsetzt. In ihrem Bundesland sei die FDP schon einmal aus dem Landtag geflogen. „Das möchte ich nicht wieder erleben. Uns droht die Bedeutungslosigkeit, die Medien werden dann nicht mehr über uns berichten.“

„Wir haben uns für den Antrag des Bundesvorstands ausgesprochen“, sagt ein Vorstandsmitglied der Jungen Liberalen der JF. Aber: „Ein Drittel unserer Vorstandsmitglieder haben für Schefflers Antrag votiert.“ Zwar gebe es Landesverbände wie Sachsen oder Bremen, die sich mehrheitlich für den Schäffler-Antrag aussprechen. „Aber diese Verbände haben verhältnismäßig wenig Mitglieder. Bei den liberalen Frauen ist man über den Mitgliederentscheid besonders unglücklich. „Das Thema ist so komplex, das überfordert unsere Basis doch“, meint eine von ihnen. Und: „Wir müssen aufpassen, daß nicht wieder nationalliberale Kräfte bei uns hochkommen.“ Ihre Mitstreiterinnen nicken. „Dann wäre das nicht mehr unsere Partei“, meint eine Delegierte aus Hessen.

Foto: Orange der Aktion Linkstrend stoppen: „Schluß mit der Gauweilerei“

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