© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/11 / 18. November 2011

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Werner Herzogs Film „Die Höhle der vergessenen Träume“ wird kein Kassenschlager und verschwindet rasch aus den großen Kinos. Das ist bedauerlich, denn ein Teil der Wirkung erklärt sich gerade aus dem Umstand, daß man die Grotte von Chauvet mit ihren Bildern, deren Schöpfer die natürlichen Formen, Wölbungen und Vorsprünge, Vertiefungen, ausnutzten, mittels 3D-Verfahren außerordentlich plastisch hervortreten lassen kann. Selbstverständlich geht es bei dem Film um Inszenierung, aber das entspricht auch der Intention der Künstler, die vor mehr als 25.000 Jahren darüber nachgedacht haben müssen, wie man welches Detail plaziert, welcher optische Eindruck auf welche Weise zu erzielen ist. Insofern mag das technische Niveau dieser fernen Vergangenheit primitiv gewesen sein, der Mensch war es nicht. Er ist uns nah wie irgendeiner der Zeitgenossen.

„Sie war ganz begeistert, als sie an einer Haltestelle auf dem Fahrplan sah, daß ein Bus um 12.38 Uhr abfahren sollte. Daß jemand das so genau ankündigte und daß er es dann auch einhält, anstatt die Leute warten zu lassen, bis irgendwann einmal ein Bus frei wird und Zeit hat, das mochte sie sehr.“ Yannis Theodorou, Angestellter, Grieche, über einen Besuch mit seiner Frau in Deutschland.

Die Grotte von Chauvet ist nicht nur wegen ihres Alters bedeutungsvoll – es handelt sich wahrscheinlich um die ältesten Höhlenzeichnungen und -malereien überhaupt – oder wegen der außerordentlichen Größe, des Reichtums verschiedener Tierarten, die dargestellt wurden und die man sonst kaum findet (Raubkatzen, Bären, Nashörner), oft paarweise oder mit verdoppeltem Umriß, vielleicht um Bewegung auszudrücken, sondern auch wegen der langen Dauer, in der sie – wohl für religiöse Zwecke – genutzt wurde. Man nimmt einen Zeitraum von fünf- oder sechstausend Jahren an. Ein erstaunliches Beispiel für Kontinuität und kulturelle Disziplin. Davon ist heute selbstverständlich keine Rede, aber beruhigend ist, daß dieses Erbe wenigstens bewahrt bleibt, trotz aller Hektik und Verwertungssucht, nachdem die Entscheidung fiel, die Höhle wieder zu verschließen und nicht der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Ankündigung in den kirchlichen Nachrichten, südniedersächsische Provinz, evangelisch: „Der Gottesdienst steht unter dem Titel ‘andere achten’. Gezeigt werden Ausschnitte aus dem Film ‘Ice Age’.“

Aufgrund der Erfahrungen im nationalsozialistischen Deutschland mit seinem ausgeprägten politischen Kult erklärte die Führung der Zeugen Jehovas in den USA den „Flaggeneid“, der in den Schulen gesprochen wurde, zum Götzendienst. Sie forderte alle Mitglieder auf, ihre Kinder dahingehend anzuleiten, daß sie den Flaggeneid verweigern sollten. Infolge dessen kam es zu Lynchversuchen, Akten des Teerens und Federns, körperlichen Attacken verschiedener Art, Schikanen und Vertreibungen aus dem Wohnort. Die Bevölkerung war der Überzeugung, daß die Mißachtung des Flaggeneids ein Beweis der Illoyalität sei. Während der europäische Krieg im Frühjahr 1940 seinen Höhepunkt erreichte, eskalierte die Situation. Man geht von etwa 1.400 Fällen aus. Die Behörden sahen sich kaum zum Eingreifen veranlaßt, Prozesse verliefen im Sande, der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten erklärte erst 1943, daß ein Zwang in bezug auf den Flaggeneid nicht ausgeübt werden dürfe.

Was wird das für ein Kommunismus, wenn Rosa Hollywoodbräune trägt?

Schwachköpfe in Führungspositionen haben immer noch jene Rest-intelligenz, die ihnen erlaubt, Geist festzustellen und dessen Träger zu eliminieren.

Im Mai 1990 wurde Ernst Jünger das Privileg eingeräumt, die sonst für Publikum gesperrte Höhle von Lascaux – die „Kathedrale der Steinzeit“ – mit ihren berühmten Bildern zu besichtigen. Er notierte danach: „Der Hintergrund, den wir vermissen, ist vor allem das Kultische. Wir fragen: wie hieltet ihrs mit der Religion? Wir würden keine Antwort darauf erhalten, weil ihnen Religion nicht nötig war: Die Welt war heilig, doch ohne Religion. Insofern vermissen wir einen Hintergrund, der nicht vorhanden war. Wir finden zuweilen schamanenhafte Verkleidung und Maskierung in Tiergestalten, doch Götter nicht. Das unterscheidet jene Bilder von anderen, die wir als Seefahrer entdeckt haben, so die aztekischen. Dort wimmelt es von Göttern, auch solchen, die in Tiergestalt auftreten; doch das ist bereits eine Erinnerung. Jeder Gott kann als Tier erscheinen; das ist mehr als eine heraldische Zuschreibung, und es reicht bis zum Lamm. In Lascaux war das überflüssig; das Tier war heiliger als der Mensch und präsent. Es stand sowohl dem Ursprung näher als auch der Ewigen Stadt.“ (Siebzig verweht IV)

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 2. Dezember in der JF-Ausgabe 49/11.

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