© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/11 / 18. November 2011

Putin verzeiht nie
Politthriller: „Der Fall Chodorkowski“ des Berliner Filmemachers Cyril Tuschi über den prominentesten Häftling Rußlands
Clemens Taeschner

Putin hat damals leider nur DDR-Fernsehen schauen können – er kennt keine andere Art von Me-dien“. Ein aus Moskau stammender Russe, der einst mit Michail Chodorkowski im selben Fitneßclub trainierte, teilt gegenüber der JF zumindest die anekdotische Lesart des Moskauer Focus-Korrespondenten Boris Reitschuster.

Letzterer kehrt nun nach über einem Jahrzehnt seinem Einsatzort Rußland den Rücken, weil die dortigen Umstände eher an Kafka, Orwells „1984“ und Huxleys „Schöne Neue Welt“ erinnerten. Denn der Rechtsnihilismus, so Reitschuster, sei gegenwärtig noch schlimmer als zu Sowjetzeiten. Hätten unter Breschnew zumindest noch allgemeine Werte existiert, habe sich nunmehr ein alles zerstörender Zynismus ausgebreitet. Dies zeige sich nicht zuletzt in der Justiz: „Wenn Putin einmal zwinkert, weiß der Richter schon, was er zu machen hat.“ Beredtes Zeugnis dafür ist Reitschuster eine Szene zwischen Blair und Putin, als letzterer während eines London-Besuches völliges Unverständnis zeigte, weil Blair es nicht vermochte, ihm persönlich den Oligarchen Beresowski auszuliefern.

Diese Erzählung vermittelt zwar eine Ahnung von der unter Putin reinstallierten „Vertikale der Macht“, doch das Schicksal von Michail Chodorkowski, der vom reichsten Mann Rußlands zu dessen prominentesten Häftling mutierte (JF 23/11), erklärt dieser Mechanismus allein noch nicht. Mehr Licht in diese Geschichte bringt die vom Berliner Filmemacher Cyril Tuschi nach mühevoller Recherche fertiggestellte Dokumentation über den „Fall Chodorkowski“, die diese Woche in die Kinos kommt. Sie gliedert Chodorkowskis Biographie in drei Abschnitte: die unbeschwerte Jugendzeit als Komsomolze, den Aufstieg des fleißigen, geschickten und offenbar auch skrupellosen Kapitalisten und schließlich dessen Engagement als gesellschaftspolitischer Visionär, das auch mit einer Verwandlung des äußeren Erscheinungsbildes einhergeht. Untermalt wird der Film durch die Musik von Arvo Pärt, der seine vierte Sinfonie Chodorkowski widmete.

Zusammengehalten wird die Geschichte durch sinnfällige Animationsszenen, die auch den Filmbeginn konturieren: In einer an „Sin City“ orientierten Figurenzeichnung wird die Erstürmung von Chodorkowskis Privatjetz nachgestellt, später sieht man den – eigentlich abwesenden – Protagonisten, wie er nach dem Vorbild Dagobert Ducks durch ein von Goldstücken gefülltes Schimmbecken krault. Doch selbst dieser Slapstick transportiert Spannung.

Dabei gemahnt nicht nur die Dramaturgie des Streifens an einen Politthriller. Dieser wurde bereits während der letzten Berlinale von der Realität eingeholt, als Unbekannte unmittelbar vor der Uraufführung Tuschis Computer mit der Endfassung des Filmprojekts stahlen. Zum Glück befand sich da bereits eine Filmkopie bei der Festspielleitung. Auch sonst war Tuschi das Glück des Tüchtigen beschieden: Ihm gelang es zufällig – in einer Gerichtspause während des zweiten Prozesses –, den im Glaskäfig stehenden Chodorkowski direkt zu sprechen. Hier erklärt der in sich ruhende Angeklagte – einstmals reichster Mann der Welt unter vierzig Jahren und größter Steuerzahler Rußlands –, daß er sich sehenden Auges ins Gefängnis begeben habe.

Bestätigt wird dies auch durch die anderen Gespräche des Films. Offenbar schätzte der – so Chodorkowskis Sohn – „beratungsresistente“ Vater die politischen Kräfteverhältnisse völlig falsch ein. Putins Angebot, einige Milliarden zu nehmen und das Land zu verlassen, hatte er dementsprechend bewußt ausgeschlagen.

So sehr sich der arrogante, im Glauben an eine Zivilgesellschaft befangene Yukos-Chef 2003 hinsichtlich der politischen Machtverhältnisse verrechnet hatte, so nüchtern ist indes seine Bilanzierung kurz vor der erneuten Verurteilung: Angesichts der absurden Anklage, der zufolge er sein eigenes Öl in einem Umfang von 350 Millionen Tonnen gestohlen haben soll, sagt Chodorkowski nur lakonisch, daß man sich dies einmal vorstellen solle: Das entspräche einem aus Öltanks bestehenden Güterzug, der dreimal um den Äquator reiche. Eine glaubwürdige Anklage sieht anders aus.

Deren Ausgangspunkt wird deutlich in der von Tuschi rekonstruierten Chronologie der Ereignisse, deren Showdown am 19. Februar 2003 beginnt. Damals klagt Chodorkowski den Präsidenten vor laufender Kamera wegen allgegenwärtiger Korruption an. In dieser Szene wird dem Betrachter klar, daß die geliehene Macht der Oligarchen – auch deren Entstehen erklärt der Film en passant – mit der Majestätsbeleidigung zwangsläufig ein Ende findet. Entsprechend wird Chodorkowski zum Opfer jenes Systems, das er einst selbst mit erschaffen hat, wie ein ehemaliger Miteigner Chodorkowskis im Londoner Exil mit Bitternis bekennt. Hat doch die Zerschlagung von Yukos die Aktionäre des Konzerns enteignet.

Vor allem aber ist Chodorkowski ein persönlicher Gefangener Putins. Nichts verdeutlicht dies stärker als der Umstand des zweiten Prozesses, zu dessen Beginn die beiden Angeklagten, neben Chodorkowski der einstige Yukos-Partner Platon Lebedew, höchstpersönlich mit der Präsidentenmaschine zum Gerichtstermin geflogen werden.

Tatsächlich spielten wohl mehrere Faktoren für die Verurteilung Chodorkowskis eine Rolle: Neben der öffentlichen Kritik an Putin, die dieser als Demütigung auffaßte, waren Chodorkowskis Plan, Yukos-Anteile an amerikanische Investoren zu verkaufen und die finanzstarke Unterstützung der politischen Opposition sowie die von ihm gegründete Stiftung mit dem programmatischen Namen „Open Russia“ ausschlaggebend.

Hinzu kam zuletzt Chodorkowskis Weigerung, das Spiel der Korruption und Erpressung aufrechtzuerhalten, als er die Zahlung einer unbegründeten Steuernachforderung verweigerte. Sein moralisierender Starrsinn, der sich heute ausgerechnet auf Pawel Kotschargin beruft, die einstige Leitfigur der kommunistischen Propagandaliteratur, kostete nicht nur Chodorkowski die Freiheit. Unmittelbar nach der Verhaftung verließen die sieben reichsten Russen zunächst fluchtartig ihre Heimat. Über zweihundert Yukos-Mitarbeiter taten es ihnen gleich oder wurden verhaftet.

Augenscheinlich, so das übereinstimmende Bild verschiedener Gesprächspartner – darunter der ehemalige russische Wirtschaftsminister Jewgeni Saburow – ist Putin ein „kleinmütiger Mensch“, der „nie verzeiht“. Der Rußlandexperte Alexander Rahr befindet denn auch in kühlen Worten, daß Chodorkowskis Freilassung – derzeit stünde sie im Jahr 2016 an – nicht denkbar sei, weil sie zwangsläufig als Schwäche gedeutet werde.

 www.derfallchodorkowski.de

Fotos: Computer-Animation Michail Chodorkowski in seiner Gefängniszelle: Mit der Präsidentenmaschine zum Gerichtstermin geflogen; Häftling Chodorkowski: Die Kräfteverhältnisse falsch eingeschätzt

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