© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/11 / 18. November 2011

Stalinscher Stahlkoloß von der Stange
Dem sowjetischen Panzer T-34 hängt bis heute ein bedrohlicher Mythos an: Zu Unrecht, wie Ralf Raths vom Deutschen Panzermuseum Munster findet
Paul Leonhard

Knatternd springt der Motor an. Eine weiße Rauchwolke verhüllt das Fahrzeug. Dann rollen knapp 27 Tonnen Stahl laut und bedrohlich direkt auf die Besucher zu. Für eine multimediale Präsentation hat Oberst Matthias Rogg, Direktor des Militärhistorischen Museums Dresden, einen fahrbereiten Panzer vom Typ T-34/85 herangeholt. „Der Panzer T-34 – Technik, Einsatz, Sterben, Erinnerung“ heißt der dazugehörige Vortrag Ende Oktober von Ralf Raths. Der wissenschaftliche Leiter des Deutschen Panzermuseums Munster hinterfragt den Mythos des bekanntesten Tanks des Zweiten Weltkrieges.

Für den deutschen Landser war der T-34, zumindest in der Nachkriegsliteratur, ein Alptraum. Ins Gedächtnis europäischer Völker hat sich dieser Kampfwagen als Symbol eines repressiven kommunistischen Herrschaftssystems eingebrannt, das Volksaufstände wie den Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 in der DDR mit Panzerketten zermalmte. In den sozialistischen Satellitenstaaten erinnerten bis 1990 Panzerdenkmale die Bevölkerung daran, wer in ihrem Land eigentlich das Sagen hatte.

Militärtechnisch gilt der T 34 als der erfolgreichste Standardpanzer des Zweiten Weltkrieges, als die Siegesikone der Roten Armee. Allerdings wurden von 58.000 bis Kriegsende gefertigten Exemplaren 75 Prozent vernichtet – eine ungeheure Verlustquote. „Die Überlebenschancen der Panzerbesatzungen waren gering“, sagt Raths. War ein Panzer getroffen, verklemmten nicht selten die Ausstiegsluken. Brannte der wehrlose Panzer dann, was bei einem von vier Treffern der Fall war, bedeutete das für die Besatzung einen besonders qualvollen Tod.

Den Vorteilen des ab 1940 produzierten T 34/76, seine robuste, relativ flache Konstruktion mit einfachem Laufwerk, Dieselmotor, solider Panzerung und der hervorragenden Bewaffnung mit der Kanone F-34, standen gravierende Nachteile gegenüber: ein störanfälliges Getriebe, unausgereifte Zielfernrohre, fehlende Funkgeräte. Die sehr schräg angeordneten Panzerplatten engten den  Turm so ein, daß die Kanone kaum effektiv zu nutzen war. Auch waren die Besatzungen nur mangelhaft ausgebildet. „Man fuhr halbblind ins Gefecht, hatte kaum Platz zum Agieren und war durch den Dieselmotor extremen Temperaturen ausgesetzt“, faßt Ralf Raths zusammen. Überdies kämpfte zumindest anfangs jeder Panzer für sich allein.

Zum Mythos wurde der T-34 gleich am Anfang des Rußlandfeldzuges, weil die Pak ihn nicht knacken und der Panzer III, der bis 1942 verbreitetste deutsche Panzer, mit seiner schwächeren Kanone nur an den Seiten und am Heck gefährlich werden konnte. Unbeachtet bleibt dabei, daß Panzervernichtungstrupps ihre Sprengladungen unbemerkt an dem Stahlkoloß anbringen konnten, weil diesem bis 1943 eine Kommandantenkuppel mit Rundumsicht fehlte. Die Sowjets behalfen sich gegen die Haftladungen einzig damit, daß vor Angriffen die Außenpanzerung mit Dünnmörtel oder feuchtem Sand präpariert wurde.

Auch waren es nicht immer T-34, die die deutsche Infanterie in Angst und Schrecken versetzten. Wirklich unzerstörbar für Panzerjäger waren die 1941 schon veralteten KW-1. Richtig effektiv waren erst nach 1943 die Stalin-Panzer IS-1. „Das lief beim Landser alles unter T-34“, ist sich Raths sicher. Soldaten der Panzerjäger-Abteilung 128 konnten beispielsweise an zwei Tagen im Juni 1944 mit vier erbeuteten T-34 des Modells 43 sechs baugleiche der angreifenden Russen ohne eigene Verluste abschießen. Allerdings fiel den deutschen Fahrern der Umgang mit den primitiven russischen Fahrzeugen schwer: „Die Kompanie hatte zunächst an acht von neun Kampfwagen Getriebeschäden, die sich durch richtige Fahrweise hätten vermeiden lassen.“ Auch erscheine eine Höchstgeschwindigkeit von zehn bis zwölf Stundenkilometern angebracht. Eine Erfahrung, die Ralf Raths aus heutiger Sicht bestätigt. Die deutsche Infanterie habe den T-34 meistens im kurzen Sprint erlebt, bei dem er bis zu 56 Stundenkilometer schnell werden konnte. Anschließend seien die meisten Panzer wegen Motorschäden liegengeblieben, was die getürmte Infanterie aber nicht mehr bemerkt habe.

Daß dieser Panzer trotzdem als der beste des Zweiten Weltkriegs gilt, hänge mit der sowjetischen Propaganda zusammen. Und die Landsergeschichten über im Schlamm steckengebliebene deutsche Panzer? „Die T 34 sind ebenfalls steckengeblieben“, sagt Raths. Überdies sei die Qualität des russischen Stahls und damit der Panzer im Laufe des Krieges immer schlechter geworden. Aber die Sowjetunion hatte inzwischen eine Industrieproduktion erreicht, die ihr erlaubte, auf Neuentwicklungen zu verzichten und den inzwischen völlig unterlegenen T-34 in solchen Stückzahlen einzusetzen, daß Verluste keine Rolle mehr spielten. Immerhin war die Unterlegenheit gegenüber dem deutschen Tiger-Panzer so eklatant, daß der T-34 für diese oft nur „zum Scheibenschießen“ diente, wie Landser erzählten.

„Nach dem Krieg durfte sich der T- 34 weiter bewähren. Insgesamt wurde er von Armeen in 49 Ländern eingesetzt, teilweise sogar in Lizenz produziert. Der heutige Nimbus des T-34 als makelloser Sieger im Zweiten Weltkrieg ist für den Panzerspezialisten Raths auch eine Mentalitätssache: „Es gibt in der sowjetischen Armee keine Meckerkultur.“ Für ihn ist die Mär vom „Wunderpanzer“ T-34 aus deutscher Sicht nur „eine bequeme Entschuldigung für verlorene Schlachten“.

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